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Europa unter einem US-Präsidenten Trump: Ideen für eine progressive Wirtschaftspolitik
Die Friedrich-Ebert-Stiftung diskutiert über Wege aus der Krise, europäische Integration und die Rolle des Staates. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zur Kapitalunion.
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Das Verhalten hat sich in Tausenden Konflikten bewährt: Mit dem Ziel einer effektiveren Verteidigung schließen sich die Angegriffenen zusammen. Gilt das auch für die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedern? Die „Idee von Europa“, nämlich die Kooperation von Staaten auf Augenhöhe, „wird massiv angegriffen“, meint Martin Schulz, von 2012 bis 2017 Präsident des EU-Parlaments und inzwischen Präsident der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).
Schulz plädiert für Integration: „Wir müssen den Binnenmarkt effektiver und geschmeidiger machen.“ Der SPD-Politiker war in dieser Woche Gastgeber einer Tagung der FES zu „progressiver Wirtschaftspolitik“ in Deutschland und Europa. „Was wir erleben, ist der Versuch, die bisherige Wirtschaftsordnung zu zerschlagen“, kommentierte Schulz den „Wirtschaftsimperialismus“ von US-Präsident Donald Trump. Er fühle sich erinnert an „die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts“.
Enrico Letta, 2013 bis 2014 italienischer Ministerpräsident, Präsident des Instituts Jacques Delors und Autor eines Reports über Europa („Much more than a Market“), setzt große Hoffnung in die nächste deutsche Regierung, die als „Gamechanger“ wirken könnte bei der Etablierung einer „energieunabhängigen Union“ sowie auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion.
Wir treten für eine bessere Mobilisierung von privatem Kapital ein und gehen dazu Schritte hin zu einer echten Spar- und Investitionsunion.
Koalitionsvertrag von Union und SPD
„Eine starke Finanzindustrie ist gut für unsere Sicherheit und Unabhängigkeit von den USA“, sagte Letta. „Wenn wir mit Kreditkarte zahlen, dann zahlen wir mit amerikanischen Marken“, erläuterte der Italiener. Das sei „eine Machtübertragung an die USA aufgrund der Zersplitterung der Europäer“.
Mit einer Kapitalmarktunion respektive einer „Spar- und Investitionsunion“ werde das anders. Derzeit legten Europäer rund 300 Milliarden Euro im Jahr in den USA an, mit dem Geld finanzierten die Amerikaner unter anderem Weltraumforschung und KI.
Dabei werde das Geld in Europa gebraucht, um öffentliche Güter wie eine klimaschonende Energieversorgung oder das Militär auszubauen. Die von Letta reklamierte „deutsche Führung“ könnte beim Thema Kapitalunion wahr werden, sofern Union und SPD den Koalitionsvertrag umsetzen: „Wir treten für eine bessere Mobilisierung von privatem Kapital ein und gehen dazu Schritte hin zu einer echten Spar- und Investitionsunion (Kapitalmarkt- und Bankenunion).“
Ähnlich klingt der Anspruch in der Energiepolitik. „Wir brauchen außerdem eine echte Energieunion mit Fokus auf Entwicklung und Genehmigung gemeinsamer, grenzüberschreitender Energienetze einschließlich Wasserstoff sowie eine stärkere Vernetzung nationaler Energiemärkte, um eine wettbewerbsfähige Industrie zu ermöglichen“, schreiben CDU/CSU und SPD.
Das Ziel ist unstrittig, doch es fehlen Umsetzungsschritte. Konkreter sind die Absichten auf der nationalen Ebene. Die Koalitionäre möchten „einen Investitionsfonds für die Energieinfrastruktur auflegen“ zur „Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen im Zusammenspiel von öffentlichen Garantien und privatem Kapital“.
Ein Fonds für die Energiewende
Die Idee eines auch mit privatem Kapital gespeisten Energiewendefonds ist nicht neu. Aufgrund staatlicher Garantien könnte der Fonds Kredite mit geringeren Zinsen ausgeben, als auf dem Kapitalmarkt fällig wären.
Die Dimensionen sind gewaltig, wie Tanja Utescher-Dabitz vom Energieverband BDEW bei der FES-Tagung ausführte: Bis 2030 kostet die Energiewende 730 Milliarden Euro und bis 2035 rund 1,2 Billionen Euro, ungefähr gleichmäßig verteilt auf Erzeugung (Erneuerbare, Gaskraftwerke, Wasserstoff-Elektrolyseure) und Infrastruktur (vor allem Netze und Speicher).
Tom Krebs, Ökonom an der Uni Mannheim und aufseiten der Gewerkschaften wissenschaftlicher Berater in der Mindestlohnkommission, warnte vor privatem Kapital bei der Finanzierung der kritischen Infrastruktur, die grundsätzlich vom Staat zur Verfügung gestellt werden müsse.
Private Geldgeber hätten Renditeerwartungen von acht bis zehn Prozent, deshalb sei es deutlich günstiger, wenn der Staat, etwa über die bundeseigene KfW, den Netzausbau finanziere. Zumal sich die KfW auf den Kapitalmärkten mit einem geringen Zinssatz refinanzieren könne. Doch der Keynesianer Krebs ahnt Böses: „Parteien sprechen von öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, und dann lassen sie die Privaten ran, die hohe Rendite kassieren; wir sind immer noch neoliberal.“

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Das klingt im Koalitionsvertrag anders – zumindest teilweise. „Wir prüfen strategische staatliche Beteiligungen im Energiesektor, auch bei Netzbetreibern.“
Es gibt vier Übertragungsnetzbetreiber hierzulande: Amprion, 50Hertz, TransnetBW und Tennet. Vor einem Jahr verhandelte die Bundesregierung mit der niederländischen Regierung über den Kauf der Deutschlandtochter von Tennet.
Die staatliche Tennet möchte das Deutschlandgeschäft loswerden aufgrund des hohen Investitionsbedarfs von knapp 100 Milliarden Euro bis 2033. Wegen des Chaos in der Ampel kam es nicht zu einem Deal.
Der Bund hält über die Förderbank KfW bereits einen Anteil von 20 Prozent an 50Hertz und 24,95 Prozent an TransnetBW. RWE sucht derzeit Käufer für seine Beteiligung an Amprion.
„Die Netzregulierung ist Planwirtschaft“, sagt der Ökonom Krebs. Demnach wäre es folgerichtig, wenn der Staat durch eine Beteiligung die Finanzierungsbedingungen der Übertragungsnetzbetreiber verbessern würde.
Womöglich durch einen als neoliberal geltenden Politiker wie Carsten Linnemann, der als CDU-Minister für Wirtschaft und Energie gehandelt wird.
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