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Die Ostsee-Fischer dürfen 2018 fast 40 Prozent weniger Hering aus der Ostsee holen.

© imago/snapshot

Hering aus der Ostsee: Fischer fürchten die geringeren Fangquoten

Fischer dürfen 2018 weniger Hering in der Ostsee fangen. Viele sind deshalb verzweifelt, wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.

Von Carla Neuhaus

Die Robben kann Dirk Baumann nicht ausstehen. Ebenso wenig wie die Kormorane. „Die fressen uns den Hering weg“, sagt er. Seit über dreißig Jahren fährt Baumann nun schon jeden Morgen früh mit dem Kutter auf die Ostsee raus. Mit seinen Stellnetzen fängt er vor Usedom Dorsch, Sprotte und vor allem jede Menge Hering. „Brotfisch“ nennen sie den Hering an der Ostsee auch, weil er für Fischer wie Baumann so wichtig ist. 70 Prozent ihres Jahresfangs macht er aus. Doch ausgerechnet der Hering wird nun in der Ostsee knapp. Ob das an den Robben liegt, wie Baumann meint, oder am Klimawandel, wie Forscher vermuten – am Ergebnis ändert es nichts. Als Konsequenz haben die EU-Landwirtschaftsminister jetzt die Fangquoten für den Hering in der westlichen Ostsee um fast 40 Prozent gekappt. Statt wie zuletzt 15 700 Tonnen dürfen Baumann und seine Kollegen 2018 nur knapp 9600 Tonnen Hering an Land bringen.

Eine Katastrophe ist das, sagt der Fischer. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass die Beamten die Quoten nach unten anpassen. Seit über zehn Jahren gehe das nun schon so, sagt Baumann. „2008 war das letzte gute Jahr für uns.“ Zuletzt war es der Dorsch, bei dem die Fangquoten stark gekürzt wurden. „Früher konnten wir wenigstens noch Dorsch durch Hering ersetzen oder Hering durch Dorsch“, sagt Baumann. Doch inzwischen seien für beide Sorten die festgelegten Fangmengen so gering, dass es knapp würde. Hätten die Fischer anfangs noch Rücklagen gehabt, seien die mittlerweile aufgebraucht. „Da ist nichts mehr“, sagt Baumann.

Die Umsätze der Fischer fallen drastisch

Wie das nun im nächsten Jahr gehen soll, weiß er nicht. Zwischen 40.000 und 45.000 Euro werden ihm an Umsatz durch die Quotenkürzung beim Hering verloren gehen, hat Baumann ausgerechnet. An seinen Kosten ändert sich derweil nichts. „Wo soll ich denn sparen?“, fragt er. Etwa am Ölzeug, das ihn auf dem Schiff vor Wind und Wetter schützt und das in der Saison gerade einmal zwei bis drei Monate hält?

Baumann sagt, ihn würde es daher nicht wundern, wenn manch ein Fischer pleite geht oder hinwirft. So wie es in den letzten Jahren immer wieder der Fall war. 1200 Fischer gab es in Mecklenburg-Vorpommern zur Wendezeit – heute sind es gerade einmal noch 234. Die verbliebenen Fischer sind inzwischen gar froh, wenn einer der Konkurrenten aufgibt. Denn das heißt, dass sie ihre Schiffe und damit auch ihre Fangquoten übernehmen können. Nur so gelingt es ihnen, ihre Betriebe über Wasser zu halten.

Dabei ist auch das eine Rechnung, die nicht immer aufgeht. Baumann zum Beispiel hat erst vor zwei Jahren ein „neues Fahrzeug“ gekauft, wie er seine Kutter nennt, und so auch die damit verbundene Quote erworben. 210.000 Euro hat ihn das gekostet. „Ein Jahr später haben sie dann die Quote für Dorsch um mehr als 50 Prozent gesenkt“, sagt er. „Da hätte ich das Geld auch gleich aus dem Fenster werfen können.“

Einfach andere Fische zu fangen, ist keine Lösung

Michael Schütt kann den Unmut der Fischer verstehen. Er leitet die Genossenschaft, die neben Baumann 25 weiteren Fischern aus dem Dorf Freest ihren Fang abnimmt und ihn vermarktet. Insgesamt rechnet Schütt bei seinen Fischern durch die Kürzung im nächsten Jahr mit Einbußen von 350.000 Euro. Mehr als ein Viertel ihres Jahresumsatzes falle so weg. „Das ist gewaltig“, sagt Schütt.

Dass die Fischer das irgendwie kompensieren können, daran glaubt auch er nicht. Schon jetzt fangen Baumann und seine Kollegen neben Hering und Dorsch möglichst viele Fischsorten, für die es bislang noch keine Quote gibt – zum Beispiel Barsch, Plötz oder Flunder. Noch viel mehr als jetzt würden sie davon aber gar nicht loswerden. Eindämmen könnten sie die Verluste deshalb höchstens durch höhere Preise, meint Schütt. Doch die durchzusetzen, werde schwer. Die Heringe werden an der Ostsee in der Regel in Stellnetzen gefangen, aus denen jeder Fisch einzeln per Hand herausgepuhlt werden muss. Deshalb sei Ostsee-Hering schon jetzt nicht gerade billig.

Gehandelt werden die Heringe auf dem Weltmarkt

Verstärkt wird der Druck durch die Konkurrenz aus dem Ausland. „Wir müssen auf dem Weltmarkt mithalten können“, sagt Schütt. Nur ein Bruchteil des Herings, den die Fischer von Freest aus der Ostsee ziehen, bleibt in der Region oder auch nur in Deutschland. 90 Prozent geht in den Export, vor allem nach Dänemark. Schütt erklärt das damit, dass es hierzulande schlicht zu wenig verarbeitende Betriebe gebe, die ihnen den Fisch abkaufen. Auch deshalb können die Deutschen den Preis für ihren Hering nicht beliebig anheben. Denn wird den Dänen der deutsche Hering zu teuer, kaufen sie einfach woanders ein: bei Fischern aus Polen, den Niederlanden oder Irland.

Baumann und seine Kollegen rufen deshalb nach einem staatlichen Hilfsprogramm. Das hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den Ostsee-Fischern bereits in Aussicht gestellt. Schon im letzten Jahr haben sie eine Unterstützung erhalten, um den drastischen Quotenrückgang beim Dorsch zu kompensieren.

Die staatliche Hilfe hilft den Fischern nur bedingt

Auch Fischer Baumann hat diese Unterstützung damals angenommen. 3300 Euro waren es, die er vom Staat bekommen hat. Im Gegenzug musste er allerdings seinen Betrieb für einen ganzen Monat stilllegen. Außerdem sei die Antragsstellung kompliziert gewesen. Der Steuerberater, der ihm half, habe dafür 800 Euro genommen. Und seine Verluste hat er mit der Hilfe auch nicht komplett ausgleichen können, sagt Baumann.

Manche seiner Kollegen haben die Ausgleichszahlung deshalb im letzten Jahr auch erst gar nicht angenommen. Schütt, der Chef der Fischereigenossenschaft, sagt, es gebe ein großes Problem mit der Hilfe: nämlich, dass sie nur dann gezahlt werde, wenn die Fischer ihren Betrieb zeitweise ruhen lassen. Denn das heißt, sie dürfen in dieser Zeit noch nicht einmal Fisch fangen, für den es keine Quote gibt. Viele hätten jedoch Angst, auf diese Weise einen Teil ihrer Kunden zu verlieren. Die verlassen sich schließlich darauf, von den Fischern regelmäßig beliefert zu werden. Setzt nun einer von ihnen einen ganzen Monat lang aus, könnten die Kunden zur Konkurrenz wechseln – und nicht wieder kommen. Aus der Angst heraus, Kunden zu verprellen, verzichten manche Fischer so auf Hilfe, die ihnen eigentlich zusteht.

"Fischer haben keine Lobby"

Warum es keine andere Lösung gibt, darauf hat Baumann eine einfache Antwort. „Der Fisch hat eine Lobby“, sagt er. „Die Fischer haben keine.“ Politikern und EU-Beamten wirft er vor, zu wenig Rücksicht auf die Fischer zu nehmen. Dabei sind die ausgehandelten Fangquoten schon ein Kompromiss. Die EU-Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen, die Fangquote für Hering in der westlichen Ostsee nicht nur um 39 sondern sogar um 54 Prozent zu senken. „Die notwendigen Quotenkürzungen sind schmerzlich für die deutschen Ostseefischer“, sagt Minister Schmidt. „Aber nur gute Bestände sichern langfristig die wirtschaftliche Perspektive der Ostseefischerei.“

Baumann will trotz allem Frust nicht aufgeben. „Wir versuchen alle so lange durchzuhalten wie möglich“, sagt er. Er selbst hat schon mehrere Bandscheibenvorfälle hinter sich. Ginge es nach seinem Arzt, dürfte er längst nicht mehr arbeiten. „Nur wovon soll ich dann leben?“, fragt er. Aus der Rentenkasse bekäme der 51-Jährige zum jetzigen Zeitpunkt gerade einmal 400 Euro im Monat. Zwar könnte er seine Kutter verkaufen, ihren Wert schätzt er auf einen Millionenbetrag. „Doch wer von den anderen Fischern soll mir den zahlen?“

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