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Die Fluglinie KLM wagt sich aus der Klima-Defensive.

© imago/Westend61

Fliegen ist wie Alkohol trinken: Fluglinie KLM startet ungewöhnliche Klima-Kampagne

Fluglinien suchen fieberhaft nach Antworten auf die Flugscham-Frage. KLM wagt sich mit einer Klima-Kampagne aus der Deckung, die an Bier-Werbung erinnert.

"Enjoy responsibly" – die Bitte steht auf jeder Bierflasche aus dem Hause Heineken. „Alkohol sollte stets in Maßen und aus den richtigen Gründen getrunken werden", lautet die Botschaft dazu. Die Bierbrauer sind damit fein raus. Soll keiner sagen, sie hätten nicht darauf hingewiesen. Mit diesem Kniff wirbt nun auch ein anderer niederländischer Konzern um Wohlwollen.

Die Fluglinie KLM fordert zukünftig ihre Passagiere auf, öfter mal den Zug zu nehmen und mehr Videokonferenzen abzuhalten statt ins Flugzeug zu steigen. "Fly responsibly" lautet der Slogan der Werbung, die jetzt auch auf dem deutschen Markt läuft. Fliegen ist demnach wie Alkohol: Schöne Sache, aber giftig, also bitte in Maßen.

Die Kampagne ist ein kleiner, kommunikativer Befreiungsschlag, nachdem die Branche monatelang von Klimaaktivisten in die Flugscham-Defensive gedrängt wurde und die Politik den Fluglinien inzwischen fast täglich die Folterinstrumente zeigt. Am gestrigen Dienstag waren wieder die Grünen an der Reihe.

Grüne wollen Inlandsflüge überflüssig machen

Die Einführung einer Kerosinsteuer auf Inlandsflüge schlägt die Partei vor, die in Umfragen aktuell zwischen 22 und 24 Prozent der Wähler hinter sich versammelt. Sie soll schrittweise angehoben werden und irgendwann so hoch sein wie die Mineralölsteuer, die aktuell bei 65 Cent pro Liter liegt.

Bis 2035 wollen wir Inlandsflüge weitestgehend obsolet machen", heißt es in der Grünen-Bundestagsfraktion, berichtete die „Süddeutsche Zeitung". Dafür soll die Bahn gestärkt werden, etwa mit drei Milliarden Euro jährlich für den Ausbau des Schienennetzes, damit die zuletzt 23,5 Millionen Inlandsflug-Passagiere pro Jahr umsteigen.

KLM ist zwar – wie alle Airlines – gegen nationale Sonderwege in Steuerfragen, weil sie deren Nutzen anzweifeln und Wettbewerbsverzerrungen befürchten. Doch grundsätzlich geben sich die Niederländer nach außen deutlich aufgeschlossener als andere Airlines, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Regel Nummer eins in der Krisenkommunikation lautet schließlich: Anerkennen, dass es ein Problem gibt und dann überkompensieren – und so das Image retten.

Biokerosin als Zukunftsversprechen

„Für uns ist diese Kampagne kein Auftakt oder Neubeginn", beteuert KLM-Deutschland-Chef Stefan Gumuseli im Gespräch mit Tagesspiegel Background, „die Werbung spiegelt vielmehr unsere langjährige Strategie wider." Klar, die Airline wolle auch weiterhin Tickets verkaufen, alles andere würde ihr auch niemand abnehmen.

„Aber gleichzeitig dazu aufzurufen, bewusster zu fliegen, ist für uns kein Widerspruch", findet Gumuseli. Deshalb hoffe die Fluglinie auch, dass sich andere Branchengrößen an der Aktion beteiligen und etwa bei Passagieren dafür trommeln, öfter Flüge zu kompensieren oder gemeinsam an Ideen wie der Einführung von Biokerosin zu arbeiten.

Nun geben sich selbst Ölkonzerne inzwischen einen grünen Anstrich. Mit etwas Bling-bling werden sich auch „Fridays for Future", „Stay Grounded" und andere Klimabewegungen kaum davon abhalten lassen, die Airlines weiter mit Kohlekonzernen zu vergleichen. KLM will die Kampagne deshalb nicht nur als Reaktion auf den gesellschaftlichen Druck verstanden wissen und hat tatsächlich auch mehr als schöne Worte vorzuweisen.

Airlines und Reedereien bieten Öko-Tarife an

Bereits seit sechs Jahren bietet KLM Unternehmenskunden ein spezielles Programm an: Gegen Aufpreis fliegen deren Mitarbeiter deutlich klimafreundlicher. Die Airline kauft dafür Biokerosin und mischt es unter den normalen Kraftstoff. Fun Fact: Einer der ersten Kunden für den Sondertarif war Heineken. „Auch Banken wie ABN Amro und Unternehmensberatungen wie Accenture nutzen das Angebot", berichtet Gumuseli. KLM will den Ansatz jetzt auch nach Deutschland bringen.

Ein ähnliches Modell testet auf dem Wasser auch gerade die weltgrößte Reederei Maersk: Wer seine Container CO2-arm übers Meer bringen will, zahlt einen Aufschlag für teurere Öko-Kraftstoffe. Als Pilotkunde ist die Textilkette H&M mit an Bord. Ein Modell, das Schule machen könnte, wenn immer mehr Unternehmen auf grüne Lieferketten achten.

Noch steht die Entwicklung ganz am Anfang. Bei unter einem Prozent liegt der Biokerosin-Anteil bei KLM. Dafür kauft die Airline aber schon den halben Weltmarkt leer. Um die Produktion anzukurbeln, entsteht in den Niederlanden gerade die erste Fabrik ihrer Art in Europa.

Die Fluglinie hat sich verpflichtet, drei Viertel der Produktion zu kaufen – 75.000 Tonnen pro Jahr ab 2022. Das soll den CO2-Ausstoß um 200.000 Tonnen reduzieren, was 1000 Flügen zwischen Amsterdam und Rio de Janeiro entspreche, so das Unternehmen.

Mit kühnen Visionen zum Gesprächsthema werden

Mitunter reichen auch große Ankündigungen, um aus der Klima-Defensive zu kommen, siehe die deutschen Autobauer und ihre Elektro-Offensive. Ähnlich machen es auch die Niederländer: Mit viel Tamtam wurde neulich ein Flugzeug der übernächsten Generation angekündigt. Das Flying V kommt mit seiner V-Form futuristisch daher und soll durch sein aerodynamisches Design viel Kerosin sparen.

Zwar ist KLM kein Flugzeugbauer und ob es die Studie jemals auf die Startbahn schafft, ist reine Spekulation. Aber allein die Ankündigung reichte, um die Aufmerksamkeit weg von der Debatte über Kerosinsteuer und Flugverzicht zu lenken.

Bis zum Oktober, wenn die Airline als erste Fluggesellschaft der Welt 100 Jahre alt wird, werden sicher noch weitere großspurige Zukunftsversprechen folgen. Die Party-Einladung steht jedenfalls: Geht es nach KLM, kaufen bald weitere europäische Fluglinien das Biokerosin aus den Niederlanden.

Felix Wadewitz

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