
© Verband Privater Bauherren/dpa
Gaspreise: „Der Staat muss einspringen“
Die Energiepreiskrise sollte so bewältigt werden wie die Weltfinanzkrise 2008, rät die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes GdW. Ein Interview
Stand:
Frau Esser, Sie werden in diesen Wochen viele besorgniserregende Mitteilungen und Anfragen erhalten. Was treibt die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW um?
Das momentan beherrschende Thema sind die bereits eingetretenen und die noch zu erwartenden Preiserhöhungen beim Gas.
Und was raten Sie dann?
Wir motivieren unsere Mitgliedsunternehmen, die Mieterinnen und Mieter aufzufordern, alles zu unternehmen, um den Verbrauch von Heizenergie und Warmwasser zu senken. Gleichzeitig haben wir aber auch die Vorauszahlungen für die Betriebskosten und Heizkosten anzupassen, damit dann mit der Abrechnung im kommenden Jahr nicht der erste große Schock kommt.
Wir haben beim Lesen der aktuellen Nachrichten den Eindruck, dass nicht nur in der Bauwirtschaft, sondern auch in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft etwas ins Rutschen gerät. Sie auch?
Bei einigen unserer Mitgliedsunternehmen kommen jetzt schon massive Preissteigerungen an. Wir haben einzelne Kommunen, die bereits Gaspreissteigerungen von 400 Prozent weitergeben. Das wird im Winter wahrscheinlich noch mehr werden. Und für uns ist überhaupt nicht erkennbar, wie wir da eine Refinanzierung über die Mieten realisieren können. Das heißt, dass wir bei einzelnen Unternehmen – kleineren Unternehmen in schwächeren Märkten – sehen, dass die wahrscheinlich im Herbst/Winter in Zahlungsschwierigkeiten hineinlaufen werden, weil sie selber eine hohe Leerstandsquote haben. Sie können sich über die Mieten einfach nicht mehr refinanzieren. Deswegen haben wir uns auch an die Politik gewandt und die Einrichtung eines Hilfsfonds für Härtefälle vorgeschlagen, so dass die Wohnungsunternehmen ihre Mieter – natürlich einkommensabhängig – gar nicht erst belasten müssen.
Heute sprechen wir über Nebenkostensteigerungen, Versorgungssicherheit, über mögliche Mietenmoratorien, Kündigungsstopps bei Zahlungsschwierigkeiten und Darlehen für Vermieter, die Energiekosten nicht vorstrecken können. Worüber sprechen wir morgen? Sind die Dimensionen der kommenden Hiobsbotschaften schon voll erfasst?
Natürlich wissen wir alle nicht, wie es im Jahr 2023 weitergeht. Wenn das russische Gas nicht mehr fließt und wir die Versorgungssicherheit generell über andere Lösungen sicherstellen müssen, dann werden die Preise nicht mehr nach unten gehen. Vor allem nicht in den nächsten Jahren. Dann werden wir dauerhafte Lösungen brauchen. Und die werden sehr, sehr viel Geld kosten.

© GdW/Urban Ruths
Stehen wir vor einer Zeit sinkender Kaltmieten, weil die realistischen Mieten von Mietern mit kleinen und mittleren Einkommen gar nicht mehr bezahlt werden können? Wir hörten von Unternehmen in Sachsen, deren Kaltmiete niedriger als der Betriebskostenanteil ist.
Das wäre jetzt erst mal die logische Konsequenz. Aber das geht natürlich nicht auf. Der inflationären Entwicklung lässt sich so nicht begegnen. Auch die Instandhaltungskosten gehen aktuell massiv nach oben und die Zinsen steigen. Wir haben zwei Positionen, die jetzt schon massiv die Kosten treiben. Und wir haben häufig – je nach dem regionalen Markt – dann nicht mehr die Möglichkeit, das in der Miete abzubilden, weil dieser Weg durch die Mietengesetzgebung versperrt ist. Wir haben also die Situation, dass die Kosten gar nicht mehr durch Mietsteigerungen aufgefangen werden können. Aber wenn wir jetzt die Kaltmiete senken müssten? Das würde nicht nur zulasten der Wirtschaftlichkeit gehen, sondern das würde den Unternehmen die Refinanzierungsmöglichkeit nehmen und zu Liquiditätsengpässen führen.
Aber wer zahlt denn da am Ende? Der einzelne Vermieter, das Wohnungsunternehmen werden es auf Dauer nicht sein können und die Mieter auch nicht.
Die Situation ist mit der Finanzkrise von vor über zehn Jahren vergleichbar. Da mussten wir ja über ganz große Beträge und Lösungen nachdenken. Über einen Stabilitätsfonds. Und am Ende wird es in der heutigen Situation wahrscheinlich nicht anders gehen. Denn man wird groß denken und einen Verteilmechanismus über einen langen Zeitraum finden müssen. Das heißt tatsächlich, dass der Staat erstmal einspringen muss und die Belastungen, die hier entstehen, über einen langen Zeitraum gestreckt werden müssen, sodass sie den einzelnen Endverbraucher nicht überfordern.
Lassen Sie uns noch einen Moment bei den Mieten verweilen. Es gibt nicht nur die Kaltmiete, es gibt auch die Warmmiete. Natürlich geht die Warmmiete von bestimmten Voraussetzungen aus, die sich aktuell immer stärker ändern. Die Energiekosten sind ja völlig unberechenbar. Vielleicht müssen wir zu komplett neuen Modellen der Vorauszahlung bzw. bei der kurzfristigen Anpassung von Warmmieten kommen.
Natürlich werden wir uns da intensiv Gedanken machen müssen. Wir fordern aktuell unsere Unternehmen auf, jetzt über den Sommer sämtliche Heizungsanlagen zu überprüfen und effizient einzustellen. Wenn es um einen wirklich systematischen, überwachten, digital gesteuerten Betrieb der Heizungsanlagen geht, brauchen wir natürlich Fachkräfte. Und da gibt es Engpässe. In vielen Gebäuden können wir aber noch 15 bis 20 Prozent herausholen. Das zweite Thema, das wir jetzt kurzfristig vorgeschlagen haben – an das sich Politik nicht so richtig herantraut – sind die zugesicherten Temperaturen. Hier müssen wir mehr Spielraum bekommen.
Da würde Ihnen jetzt aber Herr Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagen, dass Sie Panikmache betreiben. Der größte Teil des Schadens, der uns derzeit wirtschaftlich entstehe, sei nicht das Resultat einer Energieknappheit, sondern die Folge explodierender Preise, sagte er. Sehen Sie das auch so? Nicht der Energiemangel ist das Problem, sondern es sind die Preise?
Nein. Momentan haben wir einen Füllstand der Gasspeicher von 66 Prozent. Wenn es darum geht, über den Winter zu kommen, müssen wir im November aber bei 90 Prozent sein. Gelingt das nicht, dann ist es keine Frage der Preise, sondern eine Frage der Versorgungssicherheit. Dann geht es auch darum, wann und für wen Abschaltungen erfolgen müssen. An dieser Stelle denkt Herr Fratzscher vielleicht nicht zu Ende. Das wäre für die Mieterinnen und Mieter in unseren Gebäuden der Supergau.
Die Bundesregierung plant in den nächsten Jahren mit einer energetischen Gebäudeförderung von 13 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr. Die einzelnen Fördersätze für die Gebäudesanierung wurden gekürzt. Das kritisieren Sie wie auch der BFW Bundesverband und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe. Der Schwerpunkt soll auf Sanierungen liegen, ein kleinerer Teil von einer Milliarde entfällt auf den Neubau. Statt einer Zuschussförderung gibt es nun Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass die Gebäudeförderung in großem Stil in Anspruch genommen wird – haben Vermieter und Mieter momentan nicht ganz andere finanzielle Probleme zu bewältigen? Ist Energieeffizienz der Gebäude aktuell unser Thema?
Nach dem Förderstopp im Januar ist der Neubau mehr oder minder eingestellt worden. Jetzt passiert im Endeffekt das gleiche für die Bestandsförderung – bis auf die jetzt laufenden Maßnahmen, die bereits begonnen worden sind und die natürlich nach den alten Konditionen durchgeführt werden. Bei den Zahlen, die ich mir aus den Informationen der KfW bzw. des Ministeriums angesehen habe, da muss sich jeder überlegen, ob er in diesen Bereich jetzt überhaupt noch investiert. Zumal ja, wie Sie richtig feststellen, die Möglichkeiten, die Kaltmiete überhaupt noch wegen investiver Maßnahmen anzupassen, eigentlich nicht vorhanden sind. Wenn die Heizkosten statt 1,20 Euro pro Quadratmeter bei 4 oder 5 Euro pro Quadratmeter liegen – wie soll da noch eine Mietanpassung der Kaltmiete wegen Investitionen erfolgen? Das wird zum Erliegen kommen.
Sie veranstalten als GdW einmal im Jahr ein „Bankenfrühstück“ – im Berliner Hilton am Gendarmenmarkt. Bisher waren die Tische immer reich gedeckt. Nach Angaben der Hüttig & Rompf AG vom Mittwoch sank die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal. Können Banken künftig noch mit Immobilien Geld verdienen?
Es ist wirklich ein vielschichtiges Thema. Wir haben jetzt Effekte – oder Infekte, muss ich sagen. Einerseits steigen die zu finanzierenden Volumina durch die Kostensteigerungen im Neubau massiv an. Das macht die Projektentwicklung für private Bereiche sehr, sehr unattraktiv. Gleichzeitig müssten die Kaufpreise ja weiter steigen. Die Zinsen steigen aber massiv an, sodass die Finanzierungskosten für viele potenzielle Erwerber überhaupt nicht mehr tragbar sind. Besonders makaber finde ich, dass die BaFin (die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, d. Red.) dann auch noch einen Risikokapitalpuffer für Immobilienfinanzierungen eingeführt hat. Demzufolge müssen die Banken, jetzt bei Immobilienfinanzierungen noch mehr Eigenkapital unterlegen, was sich dann in nochmal höheren Kapitalkosten, also Zinsen, niederschlagen wird. Das ist ein Dreifach-Negativ-Effekt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Immobilienfinanzierung massiv nach unten geht.
Wir fassen noch einmal zusammen: Sie sehen den Staat hier in der Pflicht, wie in der Finanzkrise 2008 auf lange Zeit alles abzufedern und die finanziellen Folgen der explodierenden Energiepreise für alle Seiten und alle Beteiligten zu tragen und diese finanziellen Belastungen des Staates dann über die Folgejahre wieder abzutragen.
Ja. Anders wird es wahrscheinlich nicht gehen.
Erlauben Sie zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Wir fragen nicht danach, wie lange Sie duschen. Aber wie stellen Sie sich mit Ihrer Familie auf einen kalten Winter ein?
Tatsächlich dusche ich kürzer. Eigentlich müssten Sie meinen Mann fragen, der mir jeden Abend vorraunt, wie schrecklich kalt das doch bei uns zuhause ist. Ich habe tatsächlich die Heizung sehr früh in diesem Jahr mehr oder minder vollständig heruntergefahren und wir werden das so lange wie möglich auch so belassen.
Wie sieht es mit einem Kamineinbau aus, mit Radiator und Co. ?
Der Radiator steht noch im Keller für den Notfall und ein Bio-Ethanol-Kamin im Wohnzimmer ist auch da.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: