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Der Jurist und Philosoph Jörg Antoine (47) ist seit Mai 2015 Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz und damit der Leiter der landeskirchlichen Verwaltung und deren Chefjurist.

© EKBO/Rolf Zoellner

Die Kirche und die Flüchtlinge: "Diakonische Träger wären sicherlich bereit zu bauen"

Die Evangelische Kirche ist enttäuscht, dass Berlin auf Angebote zur Flüchtlingsunterbringung nicht reagiert. Die Diakonie betreibt rund die 100 Not- und Gemeinschaftsunterkünfte für knapp 8000 Flüchtlinge. Neubauten könnten auf ehemaligen Friedhofsflächen entstehen.

Die evangelische Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ steht in diesem Jahr unter dem Motto „Großes Herz! – Sieben Wochen ohne Enge“. Es geht also um Barmherzigkeit. Warum tut sich die Evangelische Kirche in Berlin schwer damit, Flüchtlinge in größerer Zahl unter den Dächern der Kirche unterzubringen? Welche Rolle spielt, dass die weit überwiegende Zahl der Flüchtlinge keine Christen sind?

Die Arbeit unserer Diakonie und unserer Kirche ist immer ohne Ansehen der Person auf die Notbedürftigen ausgerichtet. Deshalb spielt es keine Rolle, woher jemand kommt, welche Nationalität, Religion, Rasse oder Hautfarbe er hat. Entscheidend ist für uns die Not des Menschen. Und die ist in der Tat jetzt eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft und meine Kirche.

Es kommen sehr viele Flüchtlinge zu uns, die unsere Hilfe brauchen. Unsere Landeskirche, die Kirchenkreise, die Gemeinden und unsere diakonischen Einrichtungen helfen vielfach: durch die Aufnahme von Flüchtlingen, in der Beratung, mit therapeutischen Angeboten und mit Sprachkursen, durch Kleidersammlungen, Essensausgaben, durch die Begleitung bei Arztbesuchen, Behördengängen und vielen anderen Angeboten, um diese Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen und bei der Integration in diesem Land zu unterstützen.

Der Evangelische Friedhofsverband will in Berlin bis zu 2000 Plätze zur Flüchtlingsunterbringung neu schaffen. Ist der Beitrag, den Sie in dieser Größenordnung leisten können, angesichts der Gesamtzahl von knapp 55.000 Flüchtlingen, die 2015 in Berlin geblieben sind, nicht etwas kleinteilig? Warum unternimmt die Evangelische Kirche nicht mehr?

Wir als Kirche können angesichts der vielen Flüchtlinge nur zum Teil zur Lösung beitragen. Wir sind aber ganz klar auch gefordert, uns mit unseren Möglichkeiten einzusetzen. In der Diakonie betreiben wir gegenwärtig um die 100 Not- und Gemeinschaftsunterkünfte für knapp 8000 Flüchtlinge. Mehrere hundert Flüchtlinge sind in Wohnungen und Gemeindehäusern der Kirche untergebracht. Wir haben unser Rüstheim in Wünsdorf für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.

Auch das ehemalige Studentenwohnheim in der Goethestraße haben wir bereits im September letzten Jahres dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, LaGeSo, zur übergangsweisen und kostenlosen Nutzung angeboten. Dann hat es auch eine Besichtigung gegeben und Gespräche mit Vertretern des LaGeSo. Das Objekt ist aber nicht geeignet für die Flüchtlingsunterbringung. Es steht seit Jahren leer, weil die Umnutzung wegen bauplanungsrechtlicher Schwierigkeiten lange Zeit stockte. Der Gesamtzustand des Gebäudes lässt es nicht zu, dort zu wohnen.

Wir planen, das Gebäude zu sanieren und dorthin unsere Mitarbeitenden, die im Amt für kirchliche Dienste an diesem Standort arbeiten, umziehen zu lassen, sodass wir das große Quergebäude an der Goethestraße freibekommen. Dieses Gebäude brauchen wir dann für einen kirchlichen Zwischennutzer, der selbst ein Gebäudeproblem hat. Eine Nachnutzung kommt damit erst ab 2021/2022 in Betracht. Hinsichtlich der zukünftigen Nutzung dieses Gebäudes stehen wir erst am Anfang der Überlegungen. Die Unterbringung von Flüchtlingen an diesem Standort ist selbstverständlich auch eine Möglichkeit, die wir mit dem Bezirk und LaGeSo prüfen wollen.

Das Studentenwohnheim am Haus der Kirche in Charlottenburg steht seit Jahren leer.
Das Studentenwohnheim am Haus der Kirche in Charlottenburg steht seit Jahren leer.

© Reinhart Bünger

Könnten Sie als Konsistorialpräsident für Ihre Kirche nicht auch selbst als Bauherr aktiv werden? Abgesehen von der Bereitstellung von bereits bestehenden Bauten und Friedhofsflächen?
Die Landeskirche selbst hat ja nicht viele Flächen, auch nicht solche, die einfach entwicklungsfähig sind. Wir sind unsere Möglichkeiten durchgegangen und haben dem Senat zur Errichtung von mobilen Unterkünften im Herbst letzten Jahres Flächen angeboten. Teilweise handelt es sich dabei um Friedhofsflächen, die als Wirtschaftsflächen vorgesehen waren und die umgewidmet werden könnten. Leider hat das Land noch nicht auf unser Angebot reagiert.

Aber auf diesen Flächen könnten Sie ja dann auch selber bauen!
Zunächst müsste von staatlicher Seite der Bebauungsplan geändert werden. Erst dann könnte gebaut werden.

Friedrichswerdersche Kirche: Eine "Zerstörung mit Ansage"

Eingezwängt zwischen Neubauten und Baustellen ist die Friedrichswerdersche Kirche.
Eingezwängt zwischen Neubauten und Baustellen ist die Friedrichswerdersche Kirche.

©  Reinhart Bünger

Das ließe sich bestimmt machen. Jeder Investor bespricht mit dem Bezirk, was er vorhat. Können Sie sich das denn vorstellen, für diesen Zweck zu bauen? Es gibt viele Organisationen bis hin zu Versicherungen und Pensionskassen, die ihr Geld – sofern vorhanden – in eine solch relativ sichere Anlagemöglichkeit investieren.

Wer letztlich baut, das müsste man sehen, wenn der Senat unseren Vorschlag unterstützen würde. Es ist aber nicht zwingend, dass die Kirche selbst baut. Ich glaube, es ist dann besser, die Profis in der Flüchtlingshilfe bauen zu lassen. Diakonische Träger wären dazu sicherlich bereit.

Über diese Flächen sind Sie also jetzt nicht im Gespräch, oder das Land ist mit Ihnen darüber nicht im Gespräch?

Leider hat es keine konkrete Rückmeldung mehr dazu gegeben.

Sie haben – wenigstens für die Evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz – ausgeschlossen, Flüchtlinge in Kirchen und Gemeinderäumen unterzubringen. Können Sie sich Zeiten vorstellen, zu denen Sie diese Haltung revidieren müssen?

Die Unterbringung von Flüchtlingen in Kirchen und Gemeinderäumen schließen wir nicht aus. Auch für die Kältehilfe öffnen wir über den Winter Kirchenräume, um Menschen über Nacht unterbringen zu können. Ende letzten Jahres wurden wir von der Politik gefragt, ob wir dem LaGeSo eine Kirche als Außenstelle zur Verfügung stellen können, damit die Menschen nicht mehr vor dem LaGeSo draußen in der Kälte warten müssen.

Unsere Gemeinden in Mitte haben das beraten und dann die Heilandskirche, eine erst kürzlich renovierte Kirche, dem LaGeSo angeboten. Auch mietzinsfrei, aber mit der Bedingung, dass die eingesparten Mieten für Beratungsarbeit an diesem Ort zur Verfügung gestellt werden müssen.

In dieser Kombination wäre es eine ganz hervorragende Hilfe für Flüchtlinge gewesen und ein großes Opfer unserer Tiergarten-Gemeinde. Wir sind enttäuscht, dass auch dieses Angebot nicht angenommen wurde.

Ob aber Kirchen gute Wohnorte für Flüchtlinge sind, da habe ich erhebliche Zweifel. Die Kirchen sind kalt und oft feucht, bieten räumlich im Grunde keine Intimsphäre, haben – wenn überhaupt – nur ein bis zwei Toiletten, keine Wasch- und Duschräume. Auch in Gemeindesälen fehlen die erforderlichen sanitären Einrichtungen, und die Herstellung von Privatsphäre ist dort nicht möglich. Das sind Unterbringungsorte in höchster Not. Da glaube ich, dass Berlin bessere Orte hat.

Ist der Flughafen Tempelhof ein besserer Ort?

Ich war nicht da und hoffe aber sehr, dass er besser als unsere Kirchen zur Flüchtlingsunterbringung geeignet ist, denn sonst wäre er schlichtweg ungeeignet.

Eine „Zerstörung mit Ansage“ – so nennt der Pfarrer Stephan Frielinghaus das, was mit der Friedrichswerderschen Kirche von Karl Friedrich Schinkel derzeit passiert. Der Neubau von Luxuswohnungen in unmittelbarer Nähe führt zu irreversiblen Schäden. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Sie, dem Treiben Einhalt zu gebieten? Und hätte die Kirche nicht viel früher Alarm schlagen müssen?

Wir haben sehr frühzeitig im Rahmen der Anhörungen mitgeteilt, dass wir ein Bauvorhaben in diesem Ausmaß und in dieser Nähe zur Kirche für eine Gefährdung der Friedrichswerderschen Kirche halten. Dem hat offensichtlich seinerzeit keiner glauben wollen. Jetzt ist der Schaden eingetreten.

Sie müssen sehr erbost sein.

Wir sind entsetzt, sowohl wie man eine solche Kirche im Stadtbild verschwinden lässt, über diese nahe Bebauung, als auch welchen Belastungen man sie damit aussetzt, wenn in drei Meter Entfernung 15 Meter in die Erde gebaut wird. Das dürfte beides nicht sein. Rechtlich ist der Spielraum für uns nicht so groß. Wir könnten gerichtlich nur angreifen, wenn die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung des Landes Berlin nicht gegeben wäre. Dort haben wir in der Vergangenheit nicht die richtigen Ansatzpunkte gesehen.

Was können Sie jetzt noch machen?

Jetzt hat das Land Berlin bei jeder Senkung des Fundaments eine denkmalrechtliche Zusatzauflage festgelegt, dass dann ein Baustopp eintreten muss, und dann muss konkret geschaut werden, wie Schäden verhindert werden können.

Sie melden aber sicher schon mal Schadenersatzansprüche an…

Das, was wir geltend machen können, ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes, der natürlich nur teilweise gelingt. Optisch kann man den ursprünglichen Zustand wiederherstellen. Die statische Grundstabilität kann nicht wiederhergestellt werden. Wir hoffen sehr, dass es in aller Zukunft nicht mehr zu Bodenerschütterungen bei dieser Kirche kommt. Denn von den statischen Reserven der Kirche ist nur noch wenig da, um sie zusammenzuhalten.

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