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Kolonnaden sind ein prägendes Element beim Blick auf die Museumsinsel Berlin. Den Säulengang von Friedrich August Stüler (1800-1865) griff zuletzt der britische Architekt David Chipperfield für die James-Simon-Galerie, die als Besucherzentrum und zentraler Eingang auf die Museumsinsel locken soll, in einer modernen Fassung auf.

© Simon Menges/D. Chipperfield

Architektur: „Es ist ein bisschen wie beim Arzt“

Sir David Chipperfield erklärt zur Art Week in Berlin, warum Architekten nichts Besseres passieren kann, als Häuser für die Kunst zu bauen

Vor einem Jahr wurde die James Simon-Galerie in Berlin eröffnet. Was bedeutet das Gebäude für das Gesamtensemble?
Die Museumsinsel wurde nicht für den großen Besucheransturm gebaut, den wir heute erleben. Es gab bislang keinen zentralen Eingangsbereich, das heißt, Besucher mussten nach dem Besuch des Pergamonmuseums um die Häuser herumlaufen, um ein weiteres Museum anzusehen. In der James-Simon-Galerie können sie Tickets kaufen, ihre Garderobe abgeben oder eine Führung buchen. Außerdem bietet es Raum für ein Auditorium und Wechselausstellungen jenseits der permanenten Ausstellung. Das ist besonders für Berliner und wiederkehrende Besucher spannend, die die Dauerstellung schon kennen. Bei der Planung haben wir darauf geachtet, dass sich das neue Empfangsgebäude, das nach einem der bedeutendsten Mäzene der Staatlichen Museen zu Berlin benannt ist, zurückhaltend in das historische Ensemble einfügt und Elemente der bestehenden Architektur aufnimmt, wie zum Beispiel den Sockel.

Gleich daneben steht das nach Ihren Plänen umgebaute Neue Museum.
Es war klar, dass wir dieses Projekt nicht von London aus betreuen können, sondern vor Ort sein müssen. Von zwei Baucontainern aus steuerten meine Mitarbeiter und ich von 1998 bis 2009 den umfangreichen Wiederaufbau des Neuen Museums, ein nicht unumstrittenes Projekt, denn wir ergänzten die klassizistische Formsprache des Gebäudes um moderne Materialien und gestalterische Elemente. Es folgten weitere Aufträge, darunter die Galerie Bastian am Kupfergraben. Wir zogen mit unserem Büro von der Museumsinsel aus noch zwei Mal innerhalb von Mitte um, bevor wir uns mit David Chipperfield Architects in der Joachimstraße niederließen. Von dort aus planen aktuell rund 130 Mitarbeiter Projekte in Berlin, Deutschland und der Welt.

Um das Neue Museum gab es viele Diskussionen. Einige Kritiker fanden Ihre Herangehensweise zu modern. Wenn Sie es heute besuchen, würden Sie es anders gestalten?
Man sieht immer wieder Dinge, die man anders machen würde in der Ausführung. Aber generell bin ich der Ansicht, dass wir die richtige Idee, den richtigen Ansatz verfolgt haben und die Menschen das Gebäude nicht nur visuell, sondern auch physisch wahrnehmen können. Das war mein Anspruch und ist auch gelungen.

Ein weiteres großes Projekt ist die Sanierung der Neuen Nationalgalerie. Worin liegt die Herausforderung?
Schäden im Beton und an der Glasfassade machten eine Generalüberholung nötig. Mit den heutigen Mitteln und Materialien wären sie leicht zu beheben, doch würde das einen fundamentalen Eingriff in die Erscheinungsweise des Baus bedeuten – eine Gratwanderung. Die Herausforderung bei diesem Projekt liegt darin, der Materialität von Mies van der Rohe treu zu bleiben. Aber wie erhält man ein Design und behebt zugleich die Probleme, die es verursacht? Zwischen diesen beiden Widersprüchen bewegten wir uns, arbeiteten mit Original-Materialien und Restaurierungstechniken, die man üblicherweise an einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert anwenden würde. Wenn die Besucher nach der Fertigstellung einen Unterschied zum Original bemerken, dann haben wir versagt.

Inwiefern haben Sie die Ideen der Bauhaus-Schule beeinflusst?
Meine Generation, die in den späten 70ern und frühen 80ern Architektur studierte, wurde nach den Prinzipien der modernen Architektur ausgebildet, für die das Bauhaus eine wichtige Grundlage lieferte. Es brach mit den historischen Vorgaben und war eine sehr aufregende Phase für die Architektur, von der auch soziale und künstlerische Impulse ausgingen. Auf diese Weise hat sich das niemals wiederholt. Allerdings muss man auch sagen: Das Bauhaus wird oft als Entschuldigung für schlechte Architektur herangezogen. Deshalb muss die Frage immer wieder neu gedacht werden: Was ist das Verhältnis eines Architekten zur Gesellschaft?

Der Entwurf des River and Rowing Museum in Henley-on-Thames in der Grafschaft Oxfordshire machte Sie 1997 in Ihrer Heimat berühmt. Es folgten das Literaturmuseum der Moderne in Marbach, das Museum Folkwang in Essen und das Kunsthaus Zürich. Welche Art von Räumen braucht die Kunst?
Es kommt natürlich auf die Exponate an, ob es sich um ein archäologisches oder ein Kunstmuseum handelt. Der Grund, warum Architekten gerne Museen gestalten und Museen so etwas wie der letzte Schutzraum für sie sind, ist, dass sie das tun können, was sie am liebsten tun: große, helle Räume entwerfen, durch die man gerne geht. Eine pure Art der Architektur, die verglichen mit einem Flughafen oder einem Bürogebäude relativ wenige praktische Anforderungen stellt.

Nicht umsonst gelten Museumsbauten oft als Meilensteine der Architektur.
Bei Museen geht es vor allem um die Erfahrung, wie man sich durch die Räume bewegt, welche Beziehung man zu ihnen und den Exponaten aufbaut. Dadurch ist es die perfekte, vielleicht die reinste architektonische Aufgabenstellung. Natürlich stellt sich dabei die Frage nach der Balance zwischen Kunst und Architektur. Besucht man das Museum wegen seiner Architektur oder wegen der Ausstellung? Gestaltet man ein nichtssagendes Gebäude und lenkt den Fokus auf die Kunst oder zeigt man sie in einem starken Gebäude, das möglicherweise von der Ausstellung ablenkt? Da gilt es, die Balance zu halten. An dieser grundlegenden Fragestellung hat sich in den letzten Jahrhunderten wenig verändert.

Sir David Chipperfield (66) gründete sein Architekturbüro 1985 in London. Er vollendete auf der Museumsinsel nach fast zehn Jahren der Planungs- und Bauzeit den Aufbau des Neuen Museums
Sir David Chipperfield (66) gründete sein Architekturbüro 1985 in London. Er vollendete auf der Museumsinsel nach fast zehn Jahren der Planungs- und Bauzeit den Aufbau des Neuen Museums

© Benjamin McMahonz/David Chipperfield

Sie gelten als „Star-Architekt“. Mögen Sie dieses Label?
Ich denke nicht, dass ich ein Star bin oder zu dieser Gruppe gehöre. In der ersten Hälfte des Lebens konnte man viel erzählen und die Leute haben nicht auf einen gehört, in der zweiten zählt plötzlich das, was man sagt. Ich wünschte, das wäre gerechter verteilt. Wir haben uns einen gewissen Ruf erarbeitet und das ist manchmal ganz hilfreich, nicht nur in der Architektur, sondern auch für ein gesellschaftliches Engagement. So habe ich 2017 die Fundacíon RIA ins Leben gerufen. Die Stiftung kümmert sich an der Nordküste Galiciens um die nachhaltige Entwicklung der Ría de Arousa, fördert Natur-Forschung und Umweltprojekte in der Region. Ich besitze dort ein Haus mit Blick auf den Atlantik, in dem ich so viel Zeit wie möglich verbringe.

Wie viel Chipperfield steckt in Ihren Projekten?
Neben London ist Berlin unser größter Standort. Dann haben wir noch kleinere Standorte in Mailand und Schanghai. Ich versuche, zu Beginn jedes Projektes dabei zu sein. Durch die Manager und Designchefs lasse ich mich durchgehend informieren und halte mich über den Fortschritt auf dem Laufenden. Insofern kümmere ich mich auch darum, dass unsere Projekte einer gewissen Linie folgen und einen Anspruch haben.

Wie gehen Sie an ein neues Projekt heran?
Normalerweise klären wir erst die Möglichkeiten, die ein neues Projekt hat. Die Limitierungen zeigen sich oft sehr schnell. Man versucht, die Situation hinsichtlich des Bauherrn, des Ortes und der Bestimmung zu diagnostizieren. Wenn es gut läuft, wird daraus ein Konzept.

Woher bekommen Sie Ihre Inspirationen?
Die Aufgabe inspiriert mich. Das ist ein bisschen wie bei einem Arzt, der aus einer Diagnose die weiteren Schritte ableitet. Nehmen wir zum Beispiel das Neue Museum, da bringt der Ort die weitere Vorgehensweise mit sich.

Inwiefern integrieren Sie nachhaltige Aspekte in Ihre Projekte?
Das spielt bei jeder Planung eine Rolle. Besonders in den deutschsprachigen Ländern sind die Regularien inzwischen sehr streng, sodass wir auch gesetzlich dazu verpflichtet sind, auf Umweltaspekte zu achten. Ob wir es wollen oder nicht, diese Themen sind jetzt wichtig und nicht erst in der Zukunft. Ein Gebäude löst nicht alle Probleme, aber wir können zum Beispiel darauf achten, dass es gut gedämmt ist und dadurch weniger Energie verbraucht. Durch eine höhere Lebensqualität in den Städten verhindern wir, dass Pendler, die im Zentrum arbeiten und außerhalb wohnen, die Straßen verstopfen und der Umwelt schaden.

Sie haben Berlin zum ersten Mal Anfang der achtziger Jahre besucht. Was war Ihr erster Eindruck?
Es war ein einziger Schock. Auf dem Kudamm stellte ich fest, dass das wahre Zentrum der Stadt jenseits der Mauer liegt. Natürlich wusste ich das vorher, aber es ist immer anders, es mit eigenen Augen zu sehen. Als ich den Osten besuchte, schockierten mich die kaputten Straßen und bescheidenen Geschäfte. Zugleich entstanden zu dieser Zeit viele neue Bauwerke wie die Philharmonie. Das war schon aufregend.

Wie erklären Sie Besuchern heute die Stadt?
Ich nehme sie mit auf eine Stadtrundfahrt entlang der Karl-Marx-Allee bis zum Alexanderplatz vorbei an der Museumsinsel und dem Tiergarten übers Hansaviertel hin nach Wannsee und zum Schloss Glienicke. Die unterschiedlichen Facetten der Stadt offenbaren sich auf diese Weise am besten. Das reiche Kulturleben, die Kontraste und die Geschichte der Stadt faszinieren mich bis heute. Allerdings muss Berlin aufpassen, dass es nicht die gleichen Fehler macht wie London. Ein Zentrum, das sich kaum jemand als Wohnlage leisten kann, verkommt zu einer toten Kulisse. Es ist Aufgabe der Stadt, bezahlbare Wohnungen zu bauen.

Das Interview führte Judith Jenner.

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