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Immobilien: Farnkraut wächst am Esstischbein

Japanische Gartendesigner zeigen, wie sich auch kleine Freiflächen gestalten lassen

Der Garten ist „ein Raum, der dem Geist dazu dient, seine Empfangsbereitschaft für die einfachen, kleinen Dinge neu zu sensibilisieren, die häufig vom täglichen Leben überdeckt werden“, schreibt Shumyo Masuno in seiner Einleitung zu Michiko Rico Nosés Buch „Der moderne japanische Garten. Von der Schönheit der Leere“. Denn nach alter japanischer Tradition ist der Garten ein Abbild der Natur und als solches heilig. Und auch heute noch ist der Garten nach japanischer Auffassung ein Kunstwerk – und das unterscheidet ihn grundsätzlich von seinem europäischen Gegenstück.

Denn in einem Land, in dem nicht nur Tieren und Pflanzen, sondern auch Steinen eine Seele zugesprochen werden, kommt man zu einem ganz anderen Umgang mit Materialien. So symbolisiert beispielsweise der Stein – ohne Pflanzen, ohne Wasser – die Natur in geläuterter Form. Und auch die heutige, moderne Gestaltung verdeutlicht die in der japanischen Ästhetik gepflegte Reduktion auf das Wesentliche, das Einfache. Das Buch zeigt eindrucksvoll, dass die japanische Gartenarchitektur sich dem 21. Jahrhundert stellt und ein Gartendesign anbietet, das aus dieser Zeit ist und sich nicht scheut, moderne Materialien wie Glasfiber und Metall einzusetzen.

Für den gestressten japanischen Großstadtmenschen ist der Garten ein Ort des Ausgleichs, der Besinnung, oft aber auch nur der Betrachtung, weil die Enge des gestalteten Ortes es nicht zulässt, den Garten zu betreten. So liegt für den Zen-Priester Shumyon Masuno aus Yokohama, einem gefragten Garten- und Landschaftsdesigner, gerade in dem äußerst beschränkten Raumangebot japanischer Metropolen die Herausforderung, mit wenigen Mitteln die Aufforderung zu einer einfachen Weltsicht herzustellen. Und wenn die Verschmelzung von Haus und Garten gelingt, ist das ein großer Erfolg.

Man muss vielleicht nicht immer so weit gehen, wie die Keramikerin Suiko Nagakura . Sie hat ihr Speisezimmer praktisch in den Garten gesetzt, oder anders herum gesagt, der Raum liegt auf Gartenniveau und das Farnkraut wächst üppig am Bein des Esstisches. Der eigentliche Wohnbereich mit seinen Tatami-Matten liegt eine Stufe höher und ist dadurch vom äußeren Bereich getrennt. Wie ein langes L schmiegt sich der Garten um den eigentlichen Wohnbereich und schafft so eine diffuse Grenze zwischen drinnen und draußen.

Michiko Rico Nosé hat eine Reihe von besonderen Privatgärten aufgesucht und vorgestellt und Michael Freeman hat sie meisterhaft ins Bild gesetzt, so dass die typischen Eigenarten des japanischen Gartens sofort augenfällig werden.

Ein Element, das von vielen Designern benutzt wird, ist die Einschränkung des Blickfeldes. Die Architektur gibt den Rahmen vor, der Garten erscheint als Bild, ob mit „geborgter Landschaft“ oder als eine Illusion von Natur, wie in dem Teegarten in Kisho Kurokawas Appartement im elften Stock eines Hochhauses im Vergnügungsviertel Akasaka in Tokio. Der Blick aus der Wohnung schließt die hässliche Stadtkulisse aus. Wer von der Wohnung aus in den Garten mit seinen dichten Hecken, den Trittsteinen im Kiesmeer und auf den Bambuszaun blickt, erliegt der Illusion eines Gartens aus dem 17. Jahrhundert auf dem Lande.

Viele der in dem Buch vorgestellten Gartenkonzepte lassen sich auch bei uns verwirklichen, und zwar dort, wo enge Lichthöfe oder kleine Freiflächen scheinbar keine Gestaltung mehr zu lassen. Ein paar Schatten liebende Pflanzen, etwas Kies und Stein, und schon lässt sich ein beruhigendes Ambiente schaffen. Etwa wie in dem Hofgarten von Michimasa Kawaguchi. Er pflanzte eine Kamelie, Himmelsbambus und eine Schusterpalme, aber auch Talg-Sumach und den bei uns bekannten Seidelbast.

Manchmal genügt es, einen einzigen Baum im Innenhof zu haben. Denn auch den kann man inszenieren. Gerade in der Reduktion der Möglichkeiten liegt die Herausforderung für den Gestalter. Entscheidend ist der Blick aus dem Haus auf den Garten. Da wird die Sicht auf Bäume oder andere Pflanzen angeschnitten wie auf einem klassischen japanischen Tuschbild.

Viele der vorgestellten Gärten sind bisher öffentlich nicht gezeigt worden. Mit diesem Band unterstreicht die Autorin wunderbar die Lebendigkeit gestalterischer Traditionen und legt damit Zeugnis ab von der Sensibilität der Japaner in puncto Natur.

Der moderne japanische Garten. Von der Schönheit der Leere. Text von Michiko Rico Nosé. Fotografiert von Michael Freeman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2002. 176 Seiten. 49,90 Euro.

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