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Nur noch Fassade? Früher war Konsum eine Institution, nach der Insolvenz kämpfte es sich nun langsam wieder zurück.

© Jens Kalaene/dpa

Konsumgenossenschaft Berlin: Ja, die gibt's noch

Die Konsumgenossenschaft Berlin kannte jedes Kind, sie ging pleite, berappelte sich wieder. Jetzt wechselt die Führungsspitze.

Heiderose Reimer hat ihren Schreibtisch bereits geräumt. Am Donnerstag hatte sie den letzten Arbeitstag ihres Lebens, zum Jahreswechsel gibt sie ihren Posten als Vorstand der Konsumgenossenschaft Berlin ab und geht in den Ruhestand. Nach 21,5 Jahren, wie sie betont. Halbe Jahre zählt nach so einem langen Berufsleben wohl nur mit, wer ein wirklich enges Verhältnis zu seinem Arbeitgeber hat. Für Reimer und die Konsumgenossenschaft trifft das ganz sicher zu.

Die wohl größte Überraschung an der Geschichte ist, dass Konsum – die Betonung liegt auf der ersten Silbe, wer das falsch macht, outet sich als Ahnungsloser – überhaupt noch existiert. Gegründet wurde die Genossenschaft bereits 1899, im zweiten Weltkrieg wurde sie vorübergehend eingestampft, bevor sie nach Kriegsende 1945 zurückkehrte. In der DDR kannte jedes Kind die Konsum-Geschäfte. Davon gab es 785, außerdem 62 Kaufhallen und elf Kaufhäuser. Wer hier einkaufte, bekam Wertmarken, die man am Jahresende gegen Bargeld umtauschen konnte. Nach dem Mauerfall und dem Ende der Planwirtschaft lief es erstmals schlecht, 1992 schloss der letzte Laden.

Die Genossenschaft aber blieb. Ab da beschränkte sie sich auf die Vermietung von Handelsimmobilien. Zu der Zeit stieß auch Reimer dazu. Die gelernte Juristin abreitete damals in einer Wohnungsbaugesellschaft, als der Prokurist von Konsum sie abwarb.

Der damalige Vorstand verzockte sich durch Ahnungslosigkeit

Ende der 90er Jahre verzockte sich der damalige Vorstand, investierte in Wohnungsbau und andere Sparten, von denen er schlicht keine Ahnung hatte. „Der zentrale Fehler war damals, sich vom Kerngeschäft zu lösen. Und das liegt doch im Handel“, beklagt Reimer. Am Ende standen Schulden von 141 Millionen Euro und der Insolvenzantrag 2003. Ausgerechnet da übernahm Reimer den Vorstand. „Ich habe damals gesagt: Ich gehe mit euch in die Insolvenz, aber ich gehe auch mit euch wieder raus aus der Insolvenz!“

Sie hielt Wort. 2007 wurde die Insolvenz aufgehoben. Zu einem hohen Preis. Banken und Gläubiger mussten auf einen Teil ihres Geldes verzichten, die Geschäftsanteile der Genossenschaftsmitglieder wurden von 56 Millionen Euro auf Null herabgesetzt. Viele Mitglieder verloren damit ihr Erspartes. In der Hochphase hatte die Genossenschaft mehr als 280.000 Mitglieder, heute liegt die Zahl noch bei etwas mehr als 50 000. Deren Geschäftsanteile werden nun nach und nach wieder aufgestockt, allerdings nur sehr langsam. Zwei Millionen sind bisher geflossen, gut 40 Millionen fehlen noch.

Der einstige Riese scheint heute ein Zwerg zu sein. So klein, dass viele frühere Kunden nicht einmal wissen, dass die Konsumgenossenschaft überhaupt noch existiert. Allein die Zahl der Mitarbeiter macht das deutlich. Einst arbeiteten hier 13.000 Angestellte, die an den Kassen saßen, Regale auffüllten, die Läden am Laufen hielten. Heute sind sie noch 14 Mitarbeiter, darunter Techniker, Hausmeister, Vorstand. Konsum Berlin ist keine Handelskette mehr. „Wir verstehen uns heute eher als Bestandshalter“, sagt Reimer. Der Bestand, das sind 20 Immobilienstandorte, die der Genossenschaft ganz oder teilweise gehören. Deren Mieter sind zum größten Teil Rewe-Märkte, ein paar Netto-Filialen und ein Fressnapf. Konsum stellt heute nur die Gebäude und das Grundstück, um den Rest kümmern sich die Mieter selbst.

Das Unternehmen betrachtet sich heute selbst als saniert

Diese radikale Selbstbeschneidung war notwendig, um wieder auf die Beine zu kommen. „Die Sanierung ist abgeschlossen, darauf kann das Unternehmen jetzt wieder aufbauen“, sagt Reimer. Konsum soll wieder wachsen. Langsam, behutsam. Zwei Grundstücke sind bereits im Bau und sollen 2019 fertig werden, Mieter sind schon gefunden. Zwei weitere Grundstücke sollen folgen, da fehlt bislang noch die Baugenehmigung.

Das wird dann aber buchstäblich nicht mehr Reimers Baustelle sein. Ihr wird Andre Gubarew nachfolgen. Der stammt aus dem Bankwesen und wurde bereits im vergangenen Juni vom Aufsichtsrat bestellt. Das vergangene halbe Jahr nutzten er und Reimer, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten.

Im kommenden Sommer wird es außerdem einen Personalwechsel an der Spitze des Aufsichtsrats geben. Karl Kauermann wird bei der nächsten Vertreterversammlung nicht mehr zur Wahl stehen. Kauermann kam 2008, da war das Insolvenzverfahren gerade ein Jahr beendet. Ein Personalwechsel an zwei Schlüsselposten binnen eines halben Jahres wird erneut eine Zäsur in der langen Geschichte der Genossenschaft darstellen. Ein Risiko sieht Reimer darin indes nicht: „Es rücken ja fähige Leute nach.“ Außerdem könne der neue Vorstand ja jederzeit um Rat fragen. „Ich schlage hier nicht die Tür zu. Der neue Vorstand kann mich jederzeit anrufen, wenn er das möchte.“

Erst einmal hat Reimer allerdings andere Pläne für ihren Ruhestand. Sie will sich einen lange gehegten Wunsch erfüllen: Meine neu gewonnene freie Zeit will ich nutzen, um Klavier spielen zu lernen.“ Wenigstens die Tonleitern dürften ihr dabei nicht schwer fallen. Mit Höhen und Tiefen kennt Reimer sich schließlich bestens aus.

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