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Wirtschaft: Jobsuche mit Atmosphäre

Die deutschen Arbeitsämter sollen moderner werden – Großbritannien ist bei Service und Beratung Vorbild

Von Antje Sirleschtov

London. Wer einmal gezwungen ist, das Job-Center-Plus im Londoner Stadtteil Streatham zu besuchen, spürt sofort, dass er hier keine namenlose Nummer bleiben wird. Hell gestrichene, offene Räume und bequeme Sitzmöbel in den Wartebereichen sorgen für eine freundliche Atmosphäre. Zuvorkommende Mitarbeiter, die die Kunden schon beim Eintritt in die Großraumbüros mit einem Blick begrüßen können, geben das Gefühl von intensiver Betreuung. Dabei ist das Job-Center-Plus eigentlich nichts anderes als ein Arbeits- oder ein Sozialamt, wie es Hunderte davon auch in Deutschland gibt.

Und doch unterscheidet sich die britische Institution stark von ihrem deutschen Pendant. Kein langes Warten auf finsteren Fluren, keine Beamten, die sich hinter Bürotüren verstecken. Wer im Königreich arbeitslos ist, soll hier nicht nur bei der Jobsuche Unterstützung finden. Er soll auch Hilfe bekommen, um wieder arbeiten zu können – von Zuschüssen für die Kinderbetreuung über Weiterbildung bis zur Gesundheitsfürsorge.

Ein Modell auch für Deutschland? Ein Blick über den Kanal lohnt für all jene, die hier zu Lande das Betreuungssystem aufbauen, mit dem ab 2004 die Bezieher von Arbeitslosengeld I und II, also alle „arbeitsfähigen“ Arbeitslosen, bei der Suche nach einem Job unterstützt werden sollen. Denn die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, das wissen alle, kann sich nicht in der Verschmelzung zweier Ämter erschöpfen. Die Briten praktizieren das System seit Jahren.

Ob das Jobcenter Ursache für die geringere Arbeitslosigkeit in England ist, ist fraglich. Denn das deutsche und das britische System sind sehr verschieden. Die Menschen knüpfen auch sehr unterschiedliche Erwartungen an ihr Sozialsystem. Zwar speist sich die Unterstützung Arbeitsloser wie in Deutschland aus einem Versicherungs- und einem Steueranteil. Doch auf der Insel orientiert sich die Arbeitslosen-Unterstützung nicht am letzten Einkommen. Vom ersten Tag an steht den Beziehern nur eine Pauschale von 75 Euro pro Woche zu, Ingenieuren wie Bandarbeitern gleichermaßen. Hinzu kommen Weihnachtszuschuss, Wohn- oder Kindergeld.

Allein dieser Einschnitt, sagen die Briten, führe dazu, dass sich die Leute verstärkt selbst um einen neuen Job kümmern. Zwei von drei Briten haben spätestens drei Monate nach dem Verlust ihres Jobs eine neue Stelle. Nur drei Prozent sieht man nach 18 Monaten immer noch auf dem Arbeitsamt. „Flexibilität“ nennt das die Regierung und verweist auf die Arbeitslosenrate, die nur bei fünf Prozent liegt. Mehr Flexibilität heißt in London auch, mehr Halbtagsarbeit oder Minijobs. Weit mehr Menschen als hier wollen eher halbtags arbeiten als von der Stütze leben. Partielle Steuerfreiheit für Kleinverdiener und Familien sichert ihnen einen akzeptablen Verdienst, und ein Mindeststundenlohn von sieben Euro verhindert Dumpinglöhne.

Wer seinen Job verliert und keinen neuen in Aussicht hat, um den kümmert sich der Staat dennoch intensiv. Denn gerade die hohe Jugendarbeitslosigkeit beweist auch in England, dass ein flexibler Arbeitsmarkt und Strafen für Arbeitsverweigerer allein nicht helfen – der Staat muss einspringen. Wer ihn in Anspruch nehmen will, muss sich rasch nach dem Jobverlust beim Job-Center einfinden. Dort sind Telefonkabinen aufgestellt, in denen der Kunde seine Daten über ein Call-Center abgibt und einen persönlichen Termin innerhalb von vier Tagen vereinbart. Geöffnet sind die Job-Center täglich von neun bis 18 Uhr, sonnabends bis zur Mittagszeit. Keiner soll länger als zehn Minuten warten.

Die ersten persönlichen Termine lassen die Job-Center-Agenten erkennen, ob jemand leicht zu vermitteln sein wird, Familienhilfe braucht, eine Jugendbetreuung erhalten muss oder nicht arbeitsfähig ist. In den meist einstündigen Anschlussgesprächen können die Vermittler dann individueller auf die Arbeitslosen eingehen.

Auch bei der Suche nach Jobs gehen die Job-Center andere Wege. Große Arbeitgeber in der Region werden ausfindig gemacht und speziell betreut. Auf keinen Fall sollen Firmen verärgert werden, weil sich ungeeignete Jobsuchende bei ihnen vorstellen. Vorgespräche und Auswahltests führen die Job-Center daher in Eigenregie durch.

Dass ein solches System bald auch die muffigen deutschen Arbeits- und Sozialämter ablösen könnte, daran wird schon seit Monaten gearbeitet. Job-Center, Zeitarbeit und virtuelle Computer-Arbeitsmärkte sollen entstehen. Wie schnell der Aufbau solcher Strukturen funktioniert und welche Hürden zu überwinden sind, zeigt das britische Beispiel aber auch. Allein drei Milliarden Euro hat die Regierung in den Aufbau der Center investiert, Auswahl und Bildung der Vermittler, die weit weniger Arbeitslose als in Deutschland zu betreuen haben, kommen hinzu. Und dennoch, geben die Chefs des Job-Center-Plus in London-Streatham augenzwinkernd zu, funktioniere es noch nicht überall so reibungslos wie in der Hauptstadt.

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