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Der Lockdown im Gastgewerbe betrifft vor allem Beschäftigte mit niedrigen Einkommen.

© dpa

Kluft zwischen Arm und Reich wird größer: Corona belastet vor allem niedrige Einkommen

Verteilungsbericht der Böckler-Stiftung des DGB: Folgen der Pandemie vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich.

Berlin - Corona vergrößert den Abstand zwischen Arm und Reich. Wer vor der Krise ein geringes Einkommen hatte, muss in diesem Jahr mit noch weniger Geld zurechtkommen. Dagegen kommen die Bezieher höherer Einkommen in der Regel unbeschadet durch Lockdown, Kurzarbeit und Rezession. „Erwerbspersonen mit niedrigen Einkommen sind im bisherigen Verlauf der Coronakrise fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkommen“, heißt es im jüngsten Verteilungsbericht des sozialwissenschaftlichen Instituts der Böckler-Stiftung (WSI).

Damit setzte sich ein Trend fort, der die zehn Wachstumsjahre nach der Finanzkrise 2008/09 gekennzeichnet hat: Die 20 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkünften bleiben von einer insgesamt positiven Einkommensentwicklung weitgehend abgekoppelt. So lagen im „untersten“ Zehntel der Haushalte die mittleren Nettoeinkommen im Jahr 2017 – für spätere Jahre gibt es noch keine Daten – um knapp drei Prozentpunkte unter dem Niveau von 2010. Gleichzeitig legten die Nettoeinkommen der Haushalte im obersten Zehntel der Einkommensverteilung um knapp acht Prozentpunkte zu.

Die aktuelle WSI-Studie basiert auf zwei Datenquellen: Dem Sozio-ökonomischen Panel, mit dem langfristig die Einkommens- und Vermögensverteilung untersucht wird, sowie der Befragung von 6300 Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden im April und Juni dieses Jahres, um die Coronafolgen zu ermitteln.

Ob die Pandemie ohne „tiefe gesellschaftliche Risse“ überstanden wird, hängt nach Einschätzung des gewerkschaftlichen Instituts von der Verbreitung von Tarifverträgen und der sozialen Sicherung ab sowie vom Schutz der Haushalte mit geringen Einkommen. Gelinge das nicht, könnte die Identifikation „erheblicher Teile der Bevölkerung mit der Demokratie“ beschädigt werden. Menschen mit Einkommensverlusten „zeigen sich empfänglicher für Verschwörungsmythen zur Pandemie“, schreiben die Sozialwissenschaftler.

Konkret haben im Durchschnitt aller Befragten bis Juni knapp 32 Prozent Einkommenseinbußen erlitten. Beschäftigte mit prekären Arbeitsverhältnissen, etwa als Leiharbeiter oder Minijobber mussten größere Einbußen verkraften. Freiberufler und Selbstständige waren stark betroffen, Beamte kaum. Erwerbstätige im Gastgewerbe, die oftmals nur in Teilzeit arbeiten oder als Minijobber, hatten besonders häufig Einbußen.

Die wesentliche Ursache für hohe Einkommenseinbußen während der Krise ist die Kurzarbeit. Im April lag der Anteil der Personen in Kurzarbeit mit 18 Prozent, das waren rund sechs Millionen, auf einem historischen Höchststand. Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen waren und sind deutlich häufiger in Kurzarbeit: Das Gastgewerbe war überdurchschnittlich stark betroffen, ebenso die Verkehrs- und Logistik-Branchen. „Somit traf die Krise insbesondere die Betriebe und Sektoren, die bereits vorher unterdurchschnittliche Löhne hatten“, heißt es in der Böckler-Studie. Kaum Kurzarbeit gab und gibt es im öffentlichen Dienst oder im Finanzsektor.

Die Bedeutung von Tarifverträgen für die Einkommen wird am Beispiel Kurzarbeit deutlich. 58 Prozent der Beschäftigten, die nach einem Tarifvertrag bezahlt wurden, bekamen eine Aufstockung der gesetzlichen 60 Prozent des Nettoeinkommens (mit Kindern 67 Prozent). In Unternehmen ohne Tarifbindung waren es hingegen lediglich 34 Prozent.

Während „die bereits Bessergestellten über die Krise hinweg kaum Einbußen haben“, würden die unteren Einkommen, die schon vor der Krise eine negative Sparquote aufwiesen, sich vermutlich weiter verschulden. Die Ungleichheit der Vermögensverteilung nehme zu. „Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt 35 Prozent des Gesamtvermögens“, schreibt das WSI und macht der Politik Vorschläge für die Zeit der Pandemie, aber auch darüber hinaus.

Das Kurzarbeitergeld sollte erhöht werden und „die Grenze von 1200 Euro“ nicht unterschreiten. Der gesetzliche Mindestlohn müsste auf zwölf Euro steigen; derzeit sind es 9,35 Euro, bis Mitte 2022 steigt der Mindestlohn auf 10,45 Euro. Schließlich plädieren die Sozialwissenschaftler für eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen, „um ein weiteres Ansteigen der Vermögenskonzentration zu vermeiden“. Alfons Frese

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