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Wirtschaft: Knisternde Bedrohung

Die Plastiktüten-Verschmutzung bringt Naturschützer auf die Barrikaden / Bremen plant nun eine Steuer

Düsseldorf - Bremens Vorbild heißt Modbury und ist ein 700-Seelen-Städtchen im Südwesten Englands. Dessen Bewohner haben geschafft, was Umweltsenator Reinhard Loske für seine Hansestadt noch vorschwebt: Der Ort ist seit diesem Winter plastiktütenfrei. Nach einem sechsmonatigen Versuch haben alle 43 Geschäftsinhaber versprochen, dauerhaft keine Tüten an die Kunden abzugeben, weder kostenlos noch gegen Gebühr. So wollen sie die Landschaft vor den zuvor tausendfach herumwehenden Beuteln bewahren. „Es ist unglaublich, was wir hier geschafft haben“, sagt Rebecca Hosking, Tierfilmerin und Initiatorin der Kampagne.

Bremen hingegen setzt weniger darauf, dass die Händler freiwillig mitmachen. Umweltsenator Loske plant eine drastische Steuer von bis zu 1,50 Euro pro Plastiktüte, um Chancengleichheit mit Baumwoll- und Jutetaschen herzustellen. „Unsere Juristen prüfen die Abgabe“, sagte Loske dem Tagesspiegel am Sonntag. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Wegwerftüten sei viel zu hoch. „Die Alkopops-Sondersteuer hat gezeigt, dass es wirkt, wenn es an den Geldbeutel der Leute geht.“

Loske wie auch die Plastiktüten-Rebellen von Modbury sind mit ihren Vorstößen nicht allein. Immer mehr Städte, Regionen, ja ganze Staaten wollen sich weltweit aus dem Würgegriff eines Wegwerfproduktes befreien, das über Jahrzehnte als Symbol von Fortschritt und Wohlstand fast jeden Winkel der Erde eroberte. Mindestens 500 Milliarden Beutel stoßen die Fabriken jedes Jahr aus, schätzt die US-Umweltorganisation Worldwatch. Mittlerweile werden sie sogar als Bedrohung empfunden.

„Die Tüten werden vor allem in armen Ländern immer gebräuchlicher“, sagt Brian Halweil von Worldwatch. So lassen sich in Afrika die Menschen ihre Einkäufe gern in die Billigbeutel aus Asien packen. Weil ein leistungsfähiges Müllentsorgungssystem vielerorts jedoch fehlt, fliegen die Tüten durch die Steppe. In der Massai Mara, dem berühmtesten Nationalpark Kenias, flattern die bunten Plastikfetzen in den Akazien. Die Südafrikaner sprechen angesichts üppig behängter Bäume bei den Tüten von der „Nationalblüte“, die auch im Winter nicht aufhört zu blühen.

Die Tüten sind nicht nur ein ästhetisches Problem. „Plastikmüll blockiert Gullys und Abwasserleitungen und führt zu ernsthaften Überflutungen“, heißt es in einem Unep-Bericht zur Entsorgungssituation in Kenia. In Bangladesch hätten Tüten Flutkatastrophen bereits mehrfach verschärft.

Tödlich sind die Tüten auch für Tiere. In der Steppe Afrikas verenden Jahr für Jahr Vögel und Säuger, die einen Beutel gefressen haben. Meeresbewohner leiden besonders, denn Plastikmüll absorbiert im Wasser Chemikalien. „Im Pazifik vergiftet Kunststoff massenhaft Albatrosse“, sagt Meeresbiologe Stefan Lutter vom World Wildlife Fund (WWF).

Sogar die chinesische Regierung machte das Thema jüngst zur Chefsache: Von Juni an ist es Supermärkten in dem Land per Verordnung verboten, Plastiktüten umsonst abzugeben. Besonders dünne, nur einmal verwendbare Tüten werden sogar ganz verboten. Auch die australische Regierung kündigte ein Verbot an. Uganda und Kenia folgten im vergangenen Sommer dem Vorbild Tansanias und führten hohe Steuern auf dünne Tüten ein. Dicke Beutel dürfen gar nicht mehr benutzt werden.

Mit Bremens Senator Loske erinnert sich der erste Politiker der aus den 70er Jahren stammenden Parole „Jute statt Plastik“. Lange galt die Problematik als entschärft – dank Mülltrennung und Recycling. Bei den Umweltschutzorganisationen fühlte sich kaum jemand für das Thema zuständig. Doch auch die Klimadebatte hat der Sache Auftrieb gegeben. „Der Energieaufwand ist viel zu hoch und das Verrotten dauert viel zu lange“, kritisiert Loske Herstellungs- und Entsorgungsprozess. Es sei aber auch weiterhin eine symbolische Frage. „Plastiktüten regen zum Wegwerfen an. Sie sind das Symbol schlechthin für die Wegwerfgesellschaft.“

Die Supermarktbetreiber reagieren erwartungsgemäß allergisch auf die Vorschläge aus dem Hause Loske. „Diese alte ideologische Auseinandersetzung ist vorbei“, sagt Einzelhandelssprecher Hubertus Pellengahr. „Das ist in Deutschland kein Problem mehr, seit es den Grünen Punkt gibt“. Wie für Verpackungen zahlten die Händler auch für die Tüten Gebühren, um das Recycling sicherzustellen. „Die Ökobilanz der Plastiktüten ist gar nicht so schlecht.“

Davon lässt sich Loske nicht beeindrucken. „Nur weil wir heute den Müll besser bearbeiten können, heißt das nicht, dass man unendlich davon produzieren sollte.“

In manchen Teilen Afrikas zeigt sich, dass sich das Problem partiell von allein lösen kann. Dort haben Baumwollbauern in den herumfliegenden Tüten inzwischen eine neue Einnahmequelle entdeckt. Sie „ernten“ die Beutel und flechten daraus Taschen – die sich dann mehrfach verwenden lassen.

Nils-Viktor Sorge

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