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Wirtschaft: Knorke statt cool

Wilmersdorf und Charlottenburg sind begehrte Wohnlagen im Westteil der Stadt

So nah ist der Kurfürstendamm und gleichzeitig so fern. An der Württembergischen Straße 40–49, einen Steinwurf vom weltberühmten Boulevard entfernt, erstreckt sich eine riesige Brache, die den Blick auf die vom Zahn der Zeit gezeichneten Seitenflügel gegenüberliegender Gründerzeitbauten freigibt. Hier sind keine Gucci- und keine Hermès-Filialen zu bestaunen und auch keine Touristen mit Stadtplan in der Hand, sondern nur Rentner, die ihren Hund Gassi führen.

Aber Berlin, man weiß es, ändert sich stetig. Und so sollen in diesem Jahr in der Württembergischen Straße die Baumaschinen auffahren. Das Berliner Unternehmen Bauwert will eine Wohnanlage mit 140 Eigentums- und 70 Mietwohnungen in 13 individuell gestalteten Häusern errichten. Im März will Bauwert das auf den Namen Rosengärten getaufte Projekt detailliert vorstellen, doch so viel verrät das Unternehmen schon jetzt: 85 bis 165 Quadratmeter groß sollen die Wohnungen werden. Geplant sind drei Höfe, von denen einer öffentlich zugänglich sein soll. Fertig wird die von den Architekturbüros Patzschke sowie Bonanni entworfene Anlage den Ankündigungen zufolge im Jahr 2013. Während die Vermarktung der Eigentumswohnungen jetzt beginnt, ist die Bauwert die wirtschaftliche Sorge um die Mietwohnungen bereits los: Die hat nämlich im Herbst vergangenen Jahres ein Immobilienfonds erworben.

„Gehobenes, bezahlbares Wohnen und keine Luxuswohnungen“ sollen an der Württembergischen Straße entstehen, heißt es bei Bauwert. Wobei sich manche Berliner unter bezahlbarem Wohnen möglicherweise etwas anderes vorstellen als der Bauträger: Den durchschnittlichen Kaufpreis beziffert dieser auf 4150 Euro pro Quadratmeter, die Durchschnittsmiete auf 12,50 Euro pro Quadratmeter.

Ohne Probleme verläuft das Projekt nicht. Im Oktober 2010 erklärte das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan für unwirksam, da dieser die zulässige Obergrenze für das Maß der baulichen Nutzung überschritten habe. „Die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens bleibt von dieser Entscheidung unbeeinflusst bestehen“, sagt jedoch Bauwert-Sprecher Henning Hausmann. Denn das jetzige Projekt, argumentiert Hausmann, weise nur etwa zwei Drittel der Baumasse auf, die bei vollständiger Ausnutzung des Bebauungsplans zulässig wäre.

Sehr wohl Auswirkungen hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts jedoch auf ein anderes Bauvorhaben in Wilmersdorf: auf die geplante Wohnbebauung in der Gerhart-Hauptmann-Anlage. Das Bezirksparlament von Charlottenburg-Wilmersdorf hat nämlich die geplante Verabschiedung des Bebauungsplans verschoben, um die Auswirkung des Urteils zu prüfen. Damit hängt das Projekt zwischen Schaper- und Meierottostraße nunmehr seit über einem Jahrzehnt in der Warteschleife. Jetzt ist ein deutlich niedrigerer Baukomplex geplant, der sich an die Berliner Traufhöhe hält und aus vier einzelnen Wohngebäuden besteht. Doch auch dagegen hält der Widerstand an – von Anwohnern, die eine Bürgerinitiative gegründet haben, ebenso wie vom Haus der Berliner Festspiele, dessen Intendant Joachim Sartorius bereits 2008 vor einer Beeinträchtigung des Spielbetriebs warnte. Entsprechend zurückhaltend mit Informationen ist man bei der Hochtief Projektentwicklung GmbH, die nach eigenen Angaben eine Option auf den Kauf des Grundstücks hat. Voraussetzung für die Übernahme sei die Verabschiedung des Bebauungsplans, sagt Gabriele Stegers, Pressesprecherin von Hochtief Projektentwicklung.

Dass die Meierottostraße eine begehrte Wohnlage ist, zeigt die gerade laufende Sanierung eines in den 1960er Jahren errichteten Wohnhauses in der Meierottostraße 4: Die Makler von der Ziegert Bank- und Immobilienconsulting verkaufen die Einheiten für Preise zwischen 2650 und 4860 Euro pro Quadratmeter. Doch es geht noch teurer: In der Fasanenstraße bot das Unternehmen Chamartín Meermann vor kurzem eine 270 Quadratmeter große, luxuriös sanierte Gründerzeitwohnung zum Kauf an – Kostenpunkt: 1,3 Millionen Euro. Der nahe Fasanenplatz zählt zusammen mit dem Ludwigkirchplatz zu den begehrtesten Wohnlagen in Wilmersdorf. Repräsentative Altbauten, alt eingesessene italienische Restaurants und kleine Läden aller Art versprechen ein entspanntes urbanes Leben weitab von der Aufgeregtheit von Mitte und von der Coolness von Prenzlauer Berg.

Bauträger versuchen derweil, die hohe Nachfrage nach Wohnungen zu bedienen. In der Emser Straße 31 beispielsweise errichtet das Berliner Unternehmen Artprojekt ein vom Architekten Stephan Höhne entworfenes Gebäude mit 17 Wohnungen. Das sogenannte Ludwigkirchpalais umfasst Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 70 und 170 Quadratmetern, allesamt in sehr gehobenem Standard ausgestattet.

Direkt daneben, an der Emser Straße, Ecke Lietzenburger Straße, befindet sich ein in den 1930er Jahren errichtetes Bürogebäude. Darin sollen bis Mitte kommenden Jahres 27 Luxuswohnungen entstehen, die das Kölner Unternehmen Pantera AG vermarktet. Versprochen werden eine Ausstattung vom Feinsten, eine Raumhöhe von bis zu vier Metern und ein Doorman-Service. Entsprechend sind die Preise: Sie beginnen bei 3935 Euro pro Quadratmeter und erreichen in der obersten Etage 6850 Euro pro Quadratmeter.

Freie Grundstücke sind in diesem Bezirk rar. So erstaunt es denn auch nicht, dass mittlerweile selbst weniger bevorzugte Lagen ins Blickfeld geraten. Die Bürgerstadt AG etwa plant in der Eisenzahnstraße 37b/38 einen vom Architekten Eckhard Feddersen entworfenen Neubau mit 36 Wohnungen, die sich besonders an ältere Interessenten richten. Noch stehen alte Schuppen auf dem Baugrundstück, und auch die Umgebung ist mit hässlichen Verwaltungsgebäuden und dem lauten Hohenzollerndamm alles andere als lauschig. Dafür haben die Initiatoren ein pfiffiges Vermarktungskonzept entwickelt: Interessenten können ihre Wohnung entweder kaufen oder über eine eigens gegründete Genossenschaft mieten.

Noch waghalsiger wirkt ein Vorhaben des Berliner Bauträgers Sanus Beteiligungs AG: An der Seesener Straße 40–47 möchte er für 50 Millionen Euro ein Haus mit rund zweihundert hochwertigen Wohnungen bauen – direkt an der S-Bahn- Trasse und nahe an der Stadtautobahn. Den Lärm abschirmen will der Bauträger mittels einer mit Palmen bepflanzten Orangerie. Für 2013 hofft Sanus-Vorstand Siegfried Nehls auf die Fertigstellung des Vorhabens.

Noch etwas edler dürfte es künftig am ehemaligen Güterbahnhof Grunewald zugehen. „Grunewald Villa“ nennt das Unternehmen Aurelis sein Wohngebiet, das neben der Gedenkstätte Gleis 17 – sie erinnert an die Deportation von Juden während des NS-Regimes – entsteht. Etwa 70 Baugrundstücke ab einer Größe von 450 Quadratmetern stehen für Einfamilien- und Doppelhäuser zur Verfügung; der Preis beträgt 520 bis 690 Euro pro Quadratmeter Grund und Boden. Eine 7000 Quadratmeter große Teilfläche hat die Aurelis bereits Ende 2010 auf einen Schlag verkauft, und zwar an die cds Wohnbau Berlin GmbH, die dort Doppelhäuser errichten will. Eine Bebauung vorgesehen ist auch für einen weiteren ehemaligen Bahnhof, nämlich den einstigen Güterbahnhof Halensee am oberen Ende des Kurfürstendamms – ein Areal, für das es seit Jahren unterschiedliche Pläne gibt, die immer wieder scheiterten. Dort sollen jedoch nicht Wohnungen entstehen, sondern ein großer Baumarkt.

Ganz in der Nähe muss sich einst der Schriftsteller Walter Hasenclever aufgehalten haben. 1928 schrieb er in Paris von seiner Sehnsucht nach Berlin: „Ich weiß nicht warum. Ich möchte auf der Brücke in Halensee stehen, die grünen Vorortbäume sehen, den Lindenduft im Grunewald atmen“ – und das alles, würde ein heutiger Wohnungsmakler wohl anfügen, in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums.

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