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Tomaten vom Marienhof. Giovanni Arvaneh spielte fast 17 Jahre lang in der Vorabendserie einen türkischen Gemüsehändler. Die Serienmacher ließen ihn 2010 in Folge 3952 an Krebs sterben. In einer Seifenoper gespielt zu haben sei in Deutschland ein „Stigma“, sagt Arvaneh heute. Er bildet sich jetzt zum Coach fort. Foto: ARD/Rosi Reiter

© ARD/Rosi Reiter

Wirtschaft: Kulissenwechsel

Bald beginnt die Berlinale. Dann dreht sich wieder alles um Schauspieler - allerdings nur um die Stars. Doch viele der mehr als 10 000 deutschen Mimen können von ihrem Beruf kaum leben. Ihnen helfen Weiterbildungen.

Wenn am 7. Februar die diesjährige Berlinale eröffnet wird, dann startet wieder das übliche Defilee von Stars und Sternchen auf dem roten Teppich. Wer hier in großer Robe und Anzug vorbeischreitet am Blitzlichtgewitter der Fotografen, der schafft es als Schauspieler in alle Zeitungen und TV-Shows. Doch was ist mit den vielen Schauspielern, die auf der Berlinale nicht auf dem roten Teppich zu sehen sind? Einer von ihnen ist Giovanni Arvaneh. Der 48-Jährige kennt die unterschiedlichen Facetten des Berufs. Er stand auf der Theaterbühne, spielte in Musicals und wurde bekannt als Darsteller in der Serie „Marienhof“. Fast 17 Jahre lang war er mit Unterbrechungen Teil des Marienhofs und spielte die Rolle des Sülo Özgentürk. „Such dir einen anderen Job, das würde ich wahrscheinlich angehenden Schauspielern heute raten“, sagt er und lacht. Schauspieler müssten sich oft früher oder später nach einem zweiten Standbein umschauen: „Wenn der Geldbeutel es erfordert.“

Auch Arvaneh baut sich so ein zweites Standbein auf: Er macht zurzeit eine Weiterbildung zum Coach an der Internationalen Akademie der Freien Universität Berlin. Auf der Suche nach Aufträgen als Schauspieler steht ihm vor allen Dingen das Stigma „Soap“, also kitschige Seifenoper ohne Anspruch, im Weg. „Wir haben damals geschuftet und aus vollem Herzen dem Marienhof Leben eingehaucht. Aber wenn man als Schauspieler in einer Soap spielt, wird das in Deutschland leider immer noch mit wenig Respekt betrachtet.“ Seine Kollegen aus Marienhof-Tagen haben ähnliche Probleme. „In Deutschland treffe ich leider immer wieder auf Schubladen-Denken“ , fährt er fort. Auch, wenn es um seine Herkunft geht: Mutter Italienerin, Vater Perser, geboren und aufgewachsen in München, fühlt sich Arvaneh als Deutscher. „Doch hier bin ich ’der Ausländer’. Das ärgert mich.“

Für ihn ist die Fortbildung zum Coach eine ideale Ergänzung zum Schauspielberuf. „Ich erlebe beim Coaching die Reaktionen unmittelbar. Ich arbeite ganz direkt mit den Menschen. Auf der Bühne oder beim Dreh bekomme ich das Feedback auf meine Arbeit nicht mit.“ Parallelen zwischen der Arbeit als Coach und Schauspieler gibt es ebenfalls: „Bei der Methode des Spiegelns stelle ich meinem Gegenüber seine Haltung dar – ohne diese zu bewerten. Das fällt mir als Schauspieler natürlich leicht.“ Außerdem muss Arvaneh auch fürs Coaching räumlich flexibel sein: „Ich gehe dahin, wo die Jobs sind.“ Gleiches gilt fürs Schauspielern. So führte ihn sein aktuelles Filmprojekt aus Deutschland heraus: Arvaneh spielte 2010 im türkischen Spielfilm „Zenne - Dancer“ eine Hauptrolle und entdeckt die Türkei als neues Auftragsland.

„Theater - das bedeutet Wanderleben“, sagt Beate Darius von der ZAV-Künstlervermittlung. Befristete Engagements fordern Flexibilität. Im Klartext heißt das oft: Alle zwei Jahre umziehen – und immer wieder nur einen befristeten Arbeitsvertrag, wenn es denn überhaupt mit einem Anschlussengagement klappt. Auch bei einem Intendantenwechsel wird die Besetzung aus Schauspielern, Dramaturgen und Regisseuren ausgetauscht. Beständigkeit gibt es wenig im Berufsfeld des Schauspielers. „Man sollte es sich gut überlegen, ob man diesen Beruf ausüben möchte“, sagt Beate Darius.

10 000 Schauspieler sind bundesweit in der Datenbank der ZAV-Künstlervermittlung gespeichert. Wie viele davon in den Job finden, lässt sich nicht sagen. „Die Zahlen sind fließend und können nicht konkret gefasst werden. Es gibt so viele freiberufliche Schauspieler, die nicht in unserer Datenbank erfasst sind“, Beate Darius von der ZAV in Berlin. Wie viele Schauspieler von ihrem Beruf leben können, lässt sich ebenfalls nicht in Zahlen festhalten. „Gerade die häufigen Ortswechsel führen dazu, dass sich Schauspieler an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben oft nach beruflichen Alternativen umsehen“, so die ZAV-Vermittlerin. Etwa wenn die Familienplanung zum Thema wird oder schon Kinder da sind. Auch der Partner muss schließlich die Flexibilität mitbringen, alle paar Jahre die Stadt zu wechseln. Zudem arbeiten Theaterschauspieler in den Abendstunden, geregelte Tagesabläufe gibt es nicht.

Ein Training als Sprecher ist eine beliebte Weiterbildung. Immerhin bringt ein Schauspieler Sprecherfahrung mit und kann seine Stimme als Instrument nutzen, etwa beim Hörfunk für Features oder Hörspiele. „Einige gehen auch den Weg in die Körperarbeit: Pilates- oder Yogalehrer ist ein mögliches zweites Standbein. Denn Schauspieler sind sich ihres Körpers bewusst. Sie wissen: Wie bewege ich mich richtig auf der Bühne, wie bekomme ich ein selbstbewusstes Standing und wie präsentiere ich mich“, erklärt Darius. Schauspieler setzen sich täglich Kritik und einer Bewertung ihrer Person aus – an der Schauspielschule, bei Vorsprechen oder auf der Bühne. „Man kann das nur aushalten, wenn man für den Beruf gemacht ist“, sagt Beate Darius.

Entscheiden sich Schauspieler für einen alternativen Beruf oder ein zweites Standbein, bringen sie viele Kompetenzen aus ihrer Schauspielausbildung für den Arbeitsmarkt mit. „Unser Vorteil ist, dass wir gelernt haben, unsere Wirkung zu reflektieren und fremde Inhalte zu transportieren", sagt der Schauspieler Norbert Ghafouri. „Ein Schauspieler weiß viel über Kommunikation - und letztlich ist ja alles Kommunikation.“ Ghafouri spielte in vielen Fernsehserien wie „Edel & Starck“ und „SOKO Leipzig“, stand auf der Freien Volksbühne Berlin und spielte bei den Salzburger Festspielen.

Zeiten ohne Engagement und Drehtage kennt aber jeder Schauspieler. Wichtig ist, diese sinnvoll zu überbrücken. „Ein Schauspieler muss dranbleiben, ständig seine Fähigkeiten schulen“, so Ghafouri, „außerdem brauchen wir für Bewerbungen immer wieder aktuelles Demo-Material.“ Bei Weiterbildungen und Workshops zum Thema Schauspiel bekommen die Teilnehmer am Ende meist DVDs mit aktuellen Arbeitsproben mit. Schauspiel ist zudem nicht gleich Schauspiel. Jedes Medium erfordert eine eigene Annäherung. Wer in Deutschland an einer Schauspielschule den Beruf erlernt, hat es klassischerweise mit dem Schauspiel fürs Theater zu tun. „Wenn man dann vor der Kamera steht, merkt man, dass das Spiel von der Theaterbühne viel zu viel ist. Ich war selbst in der Situation und suchte nach einer Fortbildung, doch es gab damals nichts dergleichen für Schauspieler“, erinnert sich Norbert Ghafouri. Der Mangel an Möglichkeiten führte dazu, dass er Anfang der neunziger Jahre mit Kollegen aus der Branche Workshops organisierte. Die Nachfrage war riesig und so gründete Norbert Ghafouri 1995 die Coaching Company Berlin, ein Weiterbildungsinstitut für Schauspieler. Heute ist das „Camera Acting“ einer der begehrtesten Kurse, in dem Grundlagen für das filmische Schauspiel vermittelt werden. „Auf der Bühne muss ich als Schauspieler große Distanzen überwinden, um auch den Zuschauer in der letzten Reihe zu erreichen. Im Film kommen Kamera und Mikro zu mir. Man muss seine Mittel wohl dosiert einsetzen, gekonnt reduzieren, sonst gibt es ein overacting.“ Mittlerweile bietet die Coaching Company auch Weiterbildungen für andere Berufe in der Theater- und Filmbranche, auch Selbstmarketing, denn ein Schauspieler muss sich permanent am Markt beweisen. „Man muss ständig in Bewegung bleiben, wenn man erfolgreich sein will“, sagt Ghafouri.

Viele Schauspieler setzen auf ihrem beruflichen Weg immer stärker auf Alternativen, etwa die Theaterpädagogik oder das Synchronsprechen. Doch auch hierfür sind fachkompetente Fortbildungen nötig. Dabei habe Deutschland mit seinem Angebot an Weiterbildung lange Zeit hinterhergehangen, sagt Jutta Wiegmann. „In der USA hat man schon viel früher erkannt, wie wichtig es ist, regelmäßig Workshops zu besuchen.“ Sie war in den Neunziger Jahren Programmbereichsleiterin der Volkshochschule Tiergarten und wunderte sich, warum es keine Angebote für Schauspieler gab. Sie stellte die ersten Seminare auf die Beine. Daraus entstand das heutige iSFF-Institut für Schauspiel-, Film- und Fernsehberufe an der VHS Berlin Mitte. Zielgruppe sind Schauspieler, die nach einem Engagement die Lücke zum nächsten Auftrag füllen wollen - oder müssen. „Die Arbeit als Schauspieler bietet viele Freiheiten, aber natürlich auch viele Unsicherheiten. Fakt ist aber, dass ein Schauspieler seinen beruflichen Weg gut planen sollte. Das tut sonst niemand für ihn“, sagt Jutta Wiegmann. Eine Weiterbildung lohnt sich: „Mehr als 70 Prozent unserer Absolventen findet innerhalb der nächsten Monate nach dem Seminar den Weg in ein neues Engagement“, sagt Wiegmann.

Die Weiterbildungen für Schauspieler sind aber generell nicht billig. Für einen vierwöchigen Camera-Acting-Kurs an der Coaching Company zahlt man etwa 1320 Euro. Wie finanziert ein arbeitsloser Schauspieler das? Wer Glück hat, der erhält eine komplette Kostenübernahme durch die Bundesagentur für Arbeit, denn sowohl die Kurse an der iSFF als auch an der Coaching Company sind hierfür zertifiziert.

Am 10.2. geht es anlässlich der Berlinale auf der Karriere-Seite um Berufe hinter der Kamera

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