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Ministerin Reiche will bei der Energiewende die Kosten auf den Prüstand stellen.

© dpa/Kay Nietfeld

Kurswechsel wegen hoher Kosten: Reiche will Subventionen für Energiewende auf den Prüfstand stellen

Die Energiewende kostet zu viel Geld, findet Katherina Reiche. Sie will die Energiewende neu ausrichten und dabei Milliarden sparen. Doch in der Koalition regt sich bereits Widerstand.

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Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche spricht sich mit Blick auf hohe Kosten für einen Kurswechsel bei der Energiewende aus. Die CDU-Politikerin sagte in Berlin, das Energiesystem müsse so effizient gestaltet werden, dass Industrie, Verbraucher und öffentliche Haushalte nicht überfordert werden. An gesetzlichen Zielen beim Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne will sie festhalten. Der Ausbau müsse aber besser gesteuert werden. Staatliche Förderungen will Reiche auf den Prüfstand stellen.

Die Energiewende stehe an einem Scheidepunkt, sagte Reiche. Damit die Energiewende ein Erfolgsmodell bleibe, müssten Verlässlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kostentragfähigkeit des Energiesystems für den Wirtschaftsstandort ins Zentrum rücken. 

Auf Grundlage eines Monitoringberichts zur Energiewende – also des schrittweisen Abschieds fossiler Energien aus Öl, Gas und Kohle – schlägt Reiche zehn „Schlüsselmaßnahmen“ vor. Bis Ende des Jahres will sie Gesetzesänderungen auf den Weg bringen. 

Mit Spannung erwarteter Bericht

CDU, CSU und SPD hatten im Koalitionsvertrag ein Monitoring zum Stand der Energiewende angekündigt. Die Schlussfolgerungen daraus sollen Grundlage für die künftige Energiepolitik sein. Reiche beauftragte mit dem Bericht die beiden wissenschaftlichen Institute BET und EWI.

Wir haben aber auch versucht, deutlich zu machen, dass wir die Kosten ein bisschen aus dem Auge verloren haben.

BET-Geschäftsführer Alexander Kox

In dem Bericht geht es zum Beispiel um den erwarteten Strombedarf sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze. Aufgezeigt werden auch Potenziale für mehr Kosteneffizienz. „Wir haben versucht, deutlich zu machen, wir sind on track, was Ausbauziele angeht“, sagte BET-Geschäftsführer Alexander Kox. „Wir haben aber auch versucht, deutlich zu machen, dass wir die Kosten ein bisschen aus dem Auge verloren haben.“ 

Hebel Strombedarf

Eine wesentliche Kenngröße bei der Energiewende ist der prognostizierte Stromverbrauch in den kommenden Jahren. Die Institute sprechen im Bericht von einer Spannbreite von 600 bis 700 Terawattstunden im Jahr 2030. Reiche sagte, bisher liege man bei 510 Terawattstunden.

Reiche geht davon aus, dass man sich bei der Prognose in der Bandbreite eher am unteren Ende bewegen werde. Die Elektrifizierung in der Industrie komme nicht so schnell voran. Auch beim Hochlauf der Elektromobilität im Verkehr und der Einbau von Wärmepumpen in Gebäuden hinke man Zielen hinterher.

Reiche sagte bereits, dass sie Prognosen der früheren Ampel-Regierung zur Entwicklung des Stromverbrauchs für zu hoch hält. Sie machte deutlich, mit dem heutigen Strombedarf und einer Anpassung des Bedarfs in den kommenden Jahren könne das Ziel 2030 gehalten werden, dass 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien kommt – im ersten Halbjahr 2025 lag der Anteil bei 54 Prozent. Auch am Ziel, dass Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreichen soll, will Reiche nicht rütteln. 

Hohe Kosten

Reiches Amtsvorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte mit verschiedenen Maßnahmen den Ausbau des Ökostroms vor allem aus Wind und Sonne vorangetrieben. Es kommt aber wegen eines zu langsamen Netzausbaus zunehmend zu Eingriffen ins Netz, damit dieses nicht überlastet wird. Diese Eingriffe kosten viel Geld und erhöhen die Netzentgelte als Bestandteil des Strompreises. Reiche sagte, bisher habe keine Regierung auf die Gesamtkosten der Energiewende Wert gelegt.

Ausbau besser steuern

Der zentrale Hebel aus Sicht Reiches ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze „systemdienlich“ erfolgt. Das wichtigste Entscheidungskriterium für die Zukunft sollten die Systemkosten sein – die Summe aus den Kosten für Erzeugung, Netze, Speicher und Versorgungssicherheit. „Damit muss gelten, wir bauen so viel zu, wie wir tatsächlich brauchen und es ökonomisch effizient ist“, sagte die Ministerin. „Wir vermeiden somit ineffiziente Überkapazitäten.“ 

Reiche sprach zum Beispiel von einer Anpassung beim Ausbau der Windkraft auf See. Zudem müsse der Zubau von Erneuerbaren-Anlagen und Speichern besser räumlich gesteuert werden – auch um den der Netzausbau bedarfsgerecht zu optimieren. Es gehe nicht um einen „Abgesang“ von Zubauzielen, sondern um eine intelligente Steuerung. Das soll auch helfen, den massiven Investitionsbedarf zu verringern.

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Beim Ausbau der großen Stromnetze strebt Reiche wie im Koalitionsvertrag angelegt Änderungen an. Bisher gilt ein Vorrang für Erdkabel. Die Nutzung von Freileitungen bei neuen Vorhaben aber würde zu erheblichen Einsparungen führen, heißt es in einem Papier des Ministeriums. Vorantreiben will Reiche den Einbau digitaler Stromzähler, auch als Smart Meter bezeichnet. Sie ermöglichen die Übermittlung aktueller Verbrauchsdaten. 

Förderungen

Zum Zehn-Punkte-Plan Reiches zählt, das „Förderregime“ der Energiewende zu überprüfen und Subventionen „systematisch“ zu senken. Die bisherige Förderung kostet jedes Jahr viele Milliarden.

Reiche bekräftigte ihre Pläne, dass neue, kleine Solaranlagen auf dem Dach keine Förderung mehr bräuchten, weil sie sich für die Verbraucher rechneten. Generell soll bei den erneuerbaren Energien im Zuge von EU-Plänen die bisherige fixe Einspeisevergütung für Neuanlagen abgeschafft und durch „differenzierte Finanzierungsmodelle“ ersetzt werden.

Neue Gaskraftwerke

Eine große Rolle, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sollen neue Gaskraftwerke spielen. Sie sollen im Zuge des Kohleausstiegs künftig als Backups einspringen, wenn der Strombedarf durch erneuerbare Energien nicht zu decken ist – in „Dunkelflauten“, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Geplant ist eine staatliche Förderung, die Milliarden kosten dürfte. Reiche bekräftigte, bis Ende des Jahres sollten erste Ausschreibungen starten. 

Reaktionen auf Reiches Pläne

Innerhalb der Koalition dürfte es zu Debatten kommen. „Wir dürfen uns keinesfalls künstliche Hürden bei der soliden Versorgung mit erneuerbarer Elektrizität für Industrie, Verkehr und Wärme aufbauen“, sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD). Der Strombedarf insbesondere im Gebäude- und Verkehrsbereich müsse deutlich wachsen, um die Klimaziele zu erreichen, erklärte er.

„Für eine realistische Betrachtung des Strombedarfs muss allerdings noch stärker auf die Bereiche Heizen und Elektromobilität geachtet werden“, erklärte Schneider. „Es geht jetzt darum, den Zubau erneuerbarer Energien dynamisch zu halten, den europäischen Strommarkt weiter zu stärken und den Netzausbau besser damit zu synchronisieren.“

Wir dürfen uns keinesfalls künstliche Hürden bei der soliden Versorgung mit erneuerbarer Elektrizität für Industrie, Verkehr und Wärme aufbauen.

Bundesumweltminister Carsten Schneider

Der Umweltminister führte aus, dass der Monitoringbericht für ihn vor allem zeige, dass die Energiewende „auf gutem Weg“ sei. „Klimaneutralität bis 2045 bleibt erreichbar“, betonte er. Mit der deutlich gestiegenen Produktion von erneuerbarer Energie hätten sich aber „neue Herausforderungen“ ergeben. „Diese gilt es nun anzugehen.“

Der SPD-Fraktionsvize Armand Zorn warnte, bei den Annahmen über den prognostizierten Strombedarf zu konservativ zu sein. „Wir brauchen weiterhin ein Energiesystem, in dem der Ausbau dem Bedarf vorausgeht. Das Energiesystem darf in zehn Jahren nicht die Wachstumsbremse der deutschen Wirtschaft sein.“

DIHK-Präsident Peter Adrian sagte, es sei richtig, dass Reiche stärker auf Kosteneffizienz setze. Der aktuelle Kurs führe zu einer Belastung für Unternehmen und Haushalte, welche die Volkswirtschaft nicht stemmen könne.

Umweltverbände wie Greenpeace dagegen warfen Reiche vor, sie wolle an fossilen Energieträgern festhalten und den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Der Grünen-Energiepolitiker Michael Kellner sagte, je mehr Erneuerbare ausgebaut würden, desto kleiner werde der Bedarf an teuren Gaskraftwerken. Die Denkfabrik Agora Energiewende kritisierte, den Erneuerbaren-Ausbau auf Basis einer niedrigeren Stromverbrauchsprognose für 2030 zu bremsen, sei „kurzsichtig, kostspielig“ und sende das falsche Signal an die Wirtschaft. (dpa/AFP)

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