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Warnstreiks gab es immer wieder in den vergangenen Monaten.

© Marcus Brandt/dpa

Mehr Geld und mehr Freizeit für öffentlichen Dienst: Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln Schlichtungsergebnis

Am Samstag verhandeln Arbeitgeber und Gewerkschaften das Ergebnis der Schlichtung. Ein Scheitern ist kaum eine Option – ansonsten drohen unbefristete Streiks.

Stand:

Wer hätte das gedacht: Der frühere CDU-Rechtsaußen Roland Koch verschafft den SPD-Politikerinnen Nancy Faeser und Karin Welge einen ordentlichen Abschied von der tarifpolitischen Bühne.

Innenministerin Faeser (für den Bund) und die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Welge (für die Kommunen) haben sich in den vergangenen Monaten vergeblich um einen Kompromiss mit den Gewerkschaften bemüht. Die beiden Verhandlungsführerinnen der Arbeitgeber erklärten am 17. März das Scheitern der Gespräche und baten die Schlichter um Hilfe.

Das Schlichtungsverfahren unter der Leitung von Koch endete am 29. März mit einer Empfehlung, die als Vorlage für die finalen Verhandlungen am kommenden Samstag in Potsdam dient. Es ist das vierte Treffen seit Januar. Wenn Faeser und Welge sich auch dieses Mal im Kongresshotel am Templiner See nicht verständigen, mit Verdi-Chef Frank Werneke und Volker Geyer vom Beamtenbund, ist ein Arbeitskampf unvermeidlich.

Der von den Arbeitgebern berufene Koch, von 1999 bis 2010 hessischer Ministerpräsident, leitete gemeinsam mit dem Gewerkschaftsvertreter Hans-Henning Lühr, ehemals SPD-Politiker in Bremen, die Schlichtung. Zwar billigte die mit zwei Dutzend Arbeitgebern und Gewerkschaftern paritätisch besetzte Schlichtungskommission mehrheitlich das Schlichtungsergebnis, doch auf beiden Seiten gab es Gegenstimmen und Vorbehalte. Die Tarifpartner haben also Gesprächsstoff am kommenden Wochenende.

15
Milliarden Euro würde die Umsetzung der Gewerkschaftsforderung die Kommunen im Jahr kosten.

Bereits im vergangenen Oktober hatten die Gewerkschaften ihre Forderungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigen der Kommunen sowie weiteren 154.000 Beschäftigten beim Bund beschlossen: Acht Prozent mehr im Monat, mindestens jedoch 350 Euro, drei freie Tage zusätzlich sowie noch ein vierter für Verdi-Mitglieder, ferner höhere Zuschläge für Schichtarbeiter und ein neues „Meine-Zeit-Konto“ für individuelle Arbeitszeitsouveränität.

Alles in allem umfasste der Katalog 28 Forderungen; allein die Entgelterhöhungen und die drei freien Tage hätten die Kommunen im Jahr knapp 15 Milliarden Euro gekostet. Aufgrund der prekären Finanzsituation war und ist das für die Arbeitgeber unvorstellbar. 2024 stieg das Defizit der Kommunen auf knapp 25 Milliarden Euro – der höchste Stand seit 1990.

Einige ostdeutsche Landesverbände der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) waren mit dem Ziel einer Nullrunde in die Tarifverhandlungen gegangen. Das war indes realitätsfern, wie die zahlreichen Warnstreiks und schließlich die Schlichtung zeigen. „Angesichts der sehr weit auseinandergehenden Positionen war ein Ausgleich für beide Seiten herausfordernd“, kommentierte Koch das Schlichtungsergebnis.  

Nach der Schlichtungsempfehlung steigen die Tarifeinkommen ab April 2025 um drei Prozent, mindestens aber um 110 Euro monatlich, und im Mai 2026 um weitere 2,8 Prozent. Besonders die drei Prozent in diesem Jahr, mitten in der Rezession, schmerzen die Arbeitgeber, dazu der Mindestbetrag, der die unteren Einkommen um bis zu 4,7 Prozent erhöht.

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Verdi dagegen kann mit den Prozenten gut leben, obgleich der neue Tarifvertrag eine ungewöhnlich lange Laufzeit von 27 Monaten hat. Die nächste Gehaltserhöhung kommt frühestens im April 2027.

Umstrittene Arbeitszeit

Umstrittener noch als die Entgelterhöhung ist die Arbeitszeit. Verdi war mit drei zusätzlichen freien Tagen an den Start gegangen und erreichte schließlich einen Urlaubstag von 2027 an. Ferner verständigten sich die Parteien in der Schlichtung auf einen komplizierten Mechanismus: Die Jahressonderzahlung, zu der im öffentlichen Dienst Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammengefasst sind, wird für die Beschäftigten in den Kommunen ab 2026 auf 85 Prozent eines Monatsgehalts angehoben und vereinheitlicht.

Dazu haben die Beschäftigten künftig die Möglichkeit, die Sonderzahlung in bis zu drei zusätzliche freie Tage umzuwandeln. Allerdings musste Verdi an dieser Stelle eine fette Kröte schlucken: Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind von der Tauschoption ausgenommen. Die Arbeitgeber hatten sich dagegen gesperrt, da zusätzliche freie Tage den Pflegenotstand verschärften.

Die Gewerkschafter Volker Geyer (Beamtenbund, links) und Frank Werneke treffen sich am Samstag zum vierten Mal mit den Arbeitgebern um Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

© Christophe Gateau/dpa

Als Kompensation für die Schlechterstellung bei den freien Tagen steigt die Sonderzahlung für Krankenschwestern und Altenpfleger auf 90 Prozent, also fünf Prozent mehr als für die übrigen kommunalen Beschäftigten.

Uns fehlen die meisten Leute in Führungspositionen, da wir teilweise finanziell mit der Privatwirtschaft kaum mithalten können.

Karin Welge, Präsidentin der kommunalen Arbeitgeberverbände

Die allgemeine Erhöhung der Sonderzahlung auf 85 Prozent kommt vor allem den oberen Einkommen zugute, die bislang nur 52 respektive 70 Prozent eines Monatsgehalts erhielten. Das war den Arbeitgebern wichtig. „Uns fehlen die meisten Leute in Führungspositionen, da wir teilweise finanziell mit der Privatwirtschaft kaum mithalten können“, hatte VKA-Präsidentin Welge vor der Tarifrunde im Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt.

Auch beim Thema Arbeitszeit stellte Welge eine Gegenforderung, die von der Schlichtungskommission aufgegriffen wurde: „Was uns fehlt, ist die Möglichkeit, auch mehr arbeiten zu können. Wenn jemand freiwillig mehr als 39 Stunden arbeiten möchte, dann sollten wir das ermöglichen.“

Längere Arbeitszeiten sind für Gewerkschaften ein Tabu. Eigentlich. Als Preis für die zusätzlichen freien Tage musste Verdi diese Position räumen. Künftig kann die Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst auf bis zu 42 Stunden erhöht werden, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte das möchten.

Zwei Sonderregeln erleichtern Verdi die Zustimmung zu diesem arbeitszeitpolitischen Sündenfall: Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit ist auf 18 Monate befristet. Und für jede Stunde Mehrarbeit bekommen die Beschäftigten je nach Entgeltgruppe einen Extrazuschlag von zehn bis 25 Prozent.

Höhere Zuschläge sieht die Schlichtungsempfehlung auch für Schichtarbeitende vor: Diese Sonderzahlung für ständige Wechselschichtarbeit steigt von 105 auf 200 Euro; im Bereich der Krankenhäuser, Pflege- und Betreuungseinrichtungen erhöht sich die monatliche Zulage von 155 Euro auf 250 Euro. 

Die Länder verhandeln Ende des Jahres

Alles in allem kommt Verdi auf eine Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen um 7,6 Prozent, das ist nicht weit weg von der Ausgangsforderung von acht Prozent (ohne Effekte der freien Tage, höherer Zuschläge und anderer Forderungen). Einen zusätzlichen freien Tag für Gewerkschaftsmitglieder haben die Arbeitgeber verweigert.

Bei der Laufzeit setzten sich die Arbeitgeber ebenfalls durch. Der neue Tarifvertrag gilt mit 27 Monaten drei Monate länger als üblich, was eine Verschiebung künftiger Gehaltserhöhungen bedeutet. Für Verdi war das in diesen Krisenzeiten akzeptabel.

Nach dem Tarifabschluss ist vor dem Tarifkonflikt: Mit besonderem Interesse schauen die Finanzminister der Bundesländer am Wochenende nach Potsdam. Der dort beschlossene Vertrag ist ein Muster für die im Dezember anstehenden Verhandlungen mit Verdi. Dann geht es um die Einkommen und Arbeitszeiten von rund 900.000 Mitarbeitenden der Länder.

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