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Driving instructor explaining traffic situation to students

© PantherMedia / Arne Trautmann

Tagesspiegel Plus

Modernisierung abgesagt: Fahrschul-Theorie bald wieder ausschließlich analog vor Ort

Eigentlich will die FDP mit dem Verkehrsministerium alles digitalisieren. Doch an den Fahrschulen scheitert sie. Drei Bundesländer wollen das ändern.

Noch bis zum 31. März ist es Fahrschülerinnen und Fahrschülern in Baden-Württemberg erlaubt, digital am Online-Theorieunterricht teilzunehmen. Danach sind sie angehalten, wieder persönlich in den Lehrräumen der Fahrschulen zu erscheinen, um zu lernen, was Verkehrsschilder bedeuten und wie man den Bremsweg seines Fahrzeugs errechnet.

Denn dann läuft die in Baden-Württemberg geltende Ausnahmeregelung aus, die es Fahrlehrern erlaubt, wegen der Corona-Pandemie den Unterricht zeitweise ins Digitale zu verlegen. In Berlin ist der Stichtag Ende Juni.

„Das passt nicht mit Corona zusammen - auch nicht mit den Erfahrungen, die wir im Laufe der Pandemie gemacht haben“, sagt Rainer Zeltwanger, Vorsitzender des Bundesverbands deutscher Fahrschulunternehmen (BDFU) und selbst Fahrschulleiter. Zeltwanger plädiert dafür, weiterhin die Möglichkeit eingeräumt zu bekommen, den Theorieunterricht in der Fahrschule auch über ein Videokonferenztool abhalten zu dürfen - bei eingeschalteter Kamera, sodass die Fahrschüler:innen ihre Lehrer:innen auch sehen und mit ihnen per Video sprechen können.

Drei Länder fordern eine Neufassung

Dafür setzt sich auch Hessens grüner Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir ein. Es gebe keinen Grund, „die Ausnahme auslaufen zu lassen, gerade in der gegenwärtigen Pandemielage“. Al-Wazir kritisiert den Ende Dezember vom Bundesverkehrsministerium vorgelegten Vorschlag, der Online-Unterricht nur unter Einschränkungen vorsieht.

Der Führerschein gilt für viele noch immer als Ticket in die Freiheit.
Der Führerschein gilt für viele noch immer als Ticket in die Freiheit.

© imago images/Shotshop

Gemeinsam mit den Verkehrsministern aus Baden-Württemberg und Hamburg verlangt Al-Wazir eine Neufassung, die digitale Angebote grundsätzlich erlaubt und dafür Rahmenbedingungen definiert. Der aktuelle Verordnungsentwurf geht auf einen Referentenentwurf von August vergangenen Jahres zurück, den der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte erarbeiten lassen.

„Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Herangehensweise, theoretischen Online-Unterricht nur eingeschränkt zuzulassen, grundsätzlich nicht mehr zeitgemäß ist und die guten Erfahrungen der Fahrschulen mit der Erprobung des digitalen Präsenzunterrichts während der Pandemie rasch dauerhaft verankert werden sollten“, heißt es in einem von den drei Bundesländern eingebrachten Antrag, dem der Verkehrsausschuss der Länderkammer vergangene Woche angenommen hat.

Es gibt keinen Grund, die Ausnahme auslaufen zu lassen, gerade in der gegenwärtigen Pandemielage.

Tarek Al-Wazir (Grüne), Verkehrs- und Wirtschaftsminister Hessens

Auch Berlin hatte dem zugestimmt, um sicherzustellen, „dass auch nach dem 30.Juni 2022 aufgrund von möglichen pandemischen Einschränkungen Onlineunterricht möglich ist“, teilte ein Sprecher des Verkehrssenats mit.

Die Frage der Qualitätsmaßstäbe

Online-Kurse bieten eine zusätzliche Möglichkeit, sollen den Präsenz-Unterricht aber nicht einfach ablösen, macht Al-Wazir die Haltung der Länder deutlich, schränkt jedoch ein: „Selbstverständlich bedarf es dafür klarer Qualitätsmaßstäbe.“ Bei ihrer Erarbeitung sollte der Bund die Expertise der Länder einbeziehen, fordert Al-Wazir.

Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg, pflichtet seinem Parteikollegen auf Anfrage bei: „Eine Expertenkommission soll schnellstmöglich Vorschläge erarbeiten, wie der Fahrschulunterricht auf der Höhe der Zeit gebracht werden kann.“

Die Verbände machen mobil

Der Vorstoß der drei Länder dürfte auf den Druck einiger Branchenverbände zurückgehen, darunter der Verband Innovativer Fahrschulen Deutschland (VIFD), und der von Zeltwanger geleitete BDFU, die seit Ende Dezember gegen die aktuellen Pläne des Verkehrsministeriums mobil machen.

Will eigentlich alles digitalisieren, was geht: Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr.
Will eigentlich alles digitalisieren, was geht: Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr.

© Robert Rieger

Unterstützung kommt vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Vorstandssprecher Dirk Engelhardt sieht in dem aus dem Ministerium Ende Dezember veröffentlichten Entwurf eine verpasste Chance „zur Umsetzung der im Koalitionsvertrag selbst gesteckten Ziele, die Qualifizierung zur Bekämpfung des Fachkräftemangels im Güterverkehr zu modernisieren.“

Ähnlich formuliert das der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (Bdo): „Gerade vor dem Hintergrund des akuten Fahrpersonalmangels müssen alle Maßnahmen getroffen werden, um die Erlangung eines Busführerscheins zu vereinfachen“, sagte ein Sprecher.

Und der größte deutsche Automobilclub stellt klar, dass der aktuelle Verordnungsentwurf nur ein erster Schritt sein könne: In seiner jetzigen Form greife die Vorlage aus dem Ministerium „perspektivisch zu kurz und ist als Zwischenschritt zu sehen, der unter bestimmten Umständen einen Engpass lindern, nicht aber neue Bedarfe zufriedenstellen kann“, kritisiert der ADAC.

„Alles digital machen, was digital geht“

Das Kuriose: Auch das von FDP-Minister Volker Wissing geführte Haus sieht Nachholbedarf bei der Digitalisierung der Fahrschulbranche. Schließlich hat sich das neue Digital- und Verkehrsministerium auf die Fahnen geschrieben, „alles digital zu machen, was digital geht“. Denn digital sei in der Regel auch besser. Verkehrsminister Wissing gibt an, auch im Fahrschulbereich „so viel Digitalisierung wie möglich“ haben zu wollen. „Alles, was vertretbar und sinnvoll ist, sollten wir digital machen.“

Wer nach einer Erklärung sucht, warum dennoch Ende Dezember, kurz nachdem die FDP das Verkehrsministerium übernommen hatte, ein eher rückwärtsgewandter Änderungsvorschlag zur Fahrerlaubnis-Verordnung veröffentlicht wurde, muss sich tief in die Eigenheiten der Fahrschulbranche eingraben. Der Streit um die Digitalisierung beschäftigt die Branche seit Langem. Bund und Länder sowie verschiedene Lobbyverbände liefern sich seit Jahren eine Diskussion über das Für und Wider verschiedener Konzepte.

Während der noch junge Verband Innovativer Fahrschulen Deutschland (VIFD) - und nach den Pandemie-Erfahrungen auch der BDFU - digitale Angebote unter bestimmten Prämissen begrüßen, sieht dies sowohl der Verband Moving als auch die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF) skeptisch.

Die Fahrschul-Theorie vor Ort könnte bald ein Auslaufmodell sein.
Die Fahrschul-Theorie vor Ort könnte bald ein Auslaufmodell sein.

© Foto: Swen Pförtner/dpa

„Wir sollten das, was wir in jahrzehntelanger Arbeit erreicht haben, nicht auf dem Corona-Altar opfern“, sagte ein BVF-Sprecher im Corona-Sommer 2020 dem „Hamburger Abendblatt“. Zwar biete die Digitalisierung eine Chance für einen modernen Unterricht, aber es gebe noch keine Konzepte, und nicht überall seien die technischen Voraussetzungen gegeben. Zudem sei die Kontrolle der Schüler schwieriger, und auch die Sozialkompetenz könne nicht so geschult werden wie im Präsenzunterricht, so die Bedenken.

Die FDP wird Druck machen

Dass die BVF den im Dezember vom Verkehrsministerium veröffentlichen Verordnungsentwurf begrüßt, überrascht deshalb nicht: „Eine übereilte unwissenschaftliche Änderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt wünschen wir auf keinen Fall“, heißt es auf Nachfrage. Traditionell haben die etablierten Verbände wie die BVF als auch der Verband Moving einen guten Draht in das seit 2009 bis zu dieser Legislatur von der CSU geführte Verkehrsministerium.

Dass der Digitalisierungsdruck auf die Branche unter der neuen FDP-Hausleitung steigt, gilt allerdings als sicher. Beeinflussen lässt sich vermutlich nur das Tempo, dem sich die Fahrlehrer und die wenigen Fahrlehrerinnen mit einem Durchschnittsalter von aktuell 56 Jahren ausgesetzt sehen. Zunächst geht die Branche davon aus, dass die Länder dem aktuell digital eher rückwärtsgewandten Verordnungsentwurf - gegebenenfalls mit kleinen Änderungen - in der Bundesratssitzung im Februar zustimmen werden. Für weitreichendere Änderungen wird es eine weitere Novelle geben müssen.

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