Wirtschaft: Peter Georg Janisch
(Geb. 1961)||„Trauer’ nicht über dein Sterben, trauer’ über dein Leben!“
„Trauer’ nicht über dein Sterben, trauer’ über dein Leben!“ Seine letzte Flasche war eine Flasche Brennspiritus. Er hat es nicht mehr gepackt runterzugehen. An den Kiosk, eine Flasche Schnaps kaufen wie in den Tagen und Wochen zuvor. Essen brauchte er nicht. Er wollte sich in den Tod saufen. Das hat er geschafft. Sonst nicht allzu viel.
Sein Vater, ein Goldkettchenträger, der den Benz nur aus der Garage holte, wenn es galt, Frauen zu beeindrucken. Ansonsten fuhr er Moped. Er hat seinen Sohn nicht geliebt. Er hatte kein Herz und empfand das nicht als Mangel. Der eine weiß, was Liebe ist. Der andere nicht. Zur Tragödie wird das erst, wenn beide aufeinandertreffen.
Die Ehe der Eltern ging früh in die Brüche. Bruder und Schwester galten forthin als verschiebbare Konkursmasse. Peter hat sich damit nie abfinden können: nicht mit der Gedankenlosigkeit der Zeugung, nicht mit dem Verrat der Trennung.
Immer wieder hat er darüber gegrübelt, immer wieder darüber geschrieben: „Bitte höre, was ich nicht sage …“
Die Lehre als Fernmeldemonteur brach er ab. Da war er kaum 20 und heroinsüchtig. Von der Sucht kam er los, als er seine krebskranke Mutter pflegte und zu Grabe trug, da war er 21.
Eine regelmäßige Arbeit wollte er nicht. Er hatte ja immer was zu tun. Für Kumpels gearbeitet, in der Hasenheide getrommelt. Er hätte auch gern gemalt, wäre auch gern Ökobauer geworden. Immer hoch hinaus in den Träumen: den Meister machen, den Techniker, den Ingenieur – und dann eine Firma gründen. „Eigentlich hab’ ich gigantische Potenziale.“
Er wusste, dass er sich in die Tasche log. Und trank. Er war süchtig nach einem besseren Ich und entfernte sich immer mehr davon.
Der Weg aller Trinker führt irgendwann in die Gosse. Da wurde er gefunden, er kam auf die Intensivstation, anschließend in Therapie.
„Ich hoffe, dass ich wieder auf die Beine komme und etwas ‚Sinnvolles‘ entdecke. Das fehlt mir, Lust + Sinn. Ich muss weiter suchen.“
Aber er konnte kein Vertrauen fassen, weder zu sich selbst, noch zu anderen, noch zum Leben überhaupt.
Ein verratenes Kind. Das Kindliche, das war sein Charme. Und sein Unheil. Denn es hielt ihn fern von der Liebe. Er wollte keine Verantwortung für andere übernehmen. Vielleicht wollte er auch einfach nur das Unglück in der Welt nicht vermehren.
Er machte gern Urlaub auf einem Campingplatz am Comer See. Verliebte sich in eine junge Frau, und sie sich in ihn. Sie wollte nach Berlin kommen, hier studieren, er lehnte ab. Zu nah. Zu fern. „Ich möchte mich so gerne erwachsen fühlen, und stelle immer wieder Gefühle eines Kindes her.“
Eine wirkliche Vertraute gab es, „Tante-Freundin“, keine leibliche Verwandte, sondern eine des Herzens. Mit ihr konnte er über alles reden, über die Unsterblichkeit der Maikäfer und die Unzahl seiner Wünsche. Als es dem Ende zuging, und er einen Platz in der Therapiegruppe ablehnte, da sagte sie sich los. Sie ertrug seinen Niedergang nicht mehr. „Trauer’ nicht über dein Sterben“, rief sie ihm nach, „trauer’ über dein Leben.“
Ihm wurde ein Einzelfallhelfer zur Seite gestellt. Auch der konnte ihn nicht mehr aufrichten.
„Ich möchte mich so gerne finden, und ich will mich genauso gerne auch verlieren.“
Er schloss sich in seine Wohnung ein und begann das finale Saufen.
„Ich will meine Träume leben, und ich gestalte mir einen Albtraum.“
Aber eins hat er geschafft. Es steht ein Nussbaum auf der Insel Wollin im Garten seiner Tante-Freundin, den hat er gepflanzt. Eine kleine Grube hat er ausgehoben und drei Kastanien und drei Walnüsse hineingeworfen. Er wollte ganz sichergehen. Die Tante-Freundin nahm die überzähligen Keimlinge heimlich heraus. So konnte ein Baum wachsen. In seinem Todesjahr trug dieser Baum erstmals Früchte. Drei Walnüsse.