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Wirtschaft: Pflegefall Pflegeversicherung

Die finanziellen Reserven sind bald aufgebraucht, und jeder weiß: Eine Reform ist unumgänglich – aber wie soll sie aussehen?

Eigentlich sollte sie bei Pflegefällen helfen, doch jetzt ist die gesetzliche Pflegeversicherung selbst ein Pflegefall: Die 1995 eingeführte Pflichtversicherung steuert auf ihren Kollaps zu. Schon seit 1999 macht sie jedes Jahr Miese – gut 820 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Bis zum Jahr 2008 werden die Reserven aufgebraucht sein, sagen Experten. Der Grund: Immer mehr Menschen werden zu Pflegefällen, und die Einnahmen halten nicht Schritt. Die Situation wird sich noch verschärfen. Gut zwei Millionen Menschen beziehen derzeit Leistungen aus der Pflegekasse, 2,7 Millionen werden es 2020 sein, 4,7 Millionen im Jahr 2050, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Auf der anderen Seite reichen die Leistungen der Pflegeversicherung für die Betroffenen nicht mehr aus. Da sie im Gesetz nominal festgeschrieben sind und nicht dynamisiert werden, werden die Leistungen von Jahr zu Jahr weniger wert (siehe Grafik).

Doch wie soll die Reform der Pflegeversicherung aussehen? Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) will dafür sorgen, dass die Leistungen nicht weiter schleichend entwertet werden. Dafür sollen die bisher konstanten Leistungssätze dynamisiert werden. Außerdem sollen in Zukunft Demenzkranke mehr Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Möglich wäre, dafür eine zusätzliche Pflegezeit von einer halben Stunde für Demenzkranke einzuführen. Außerdem soll die ambulante Pflege gestärkt werden. Die Pflegearbeit soll entbürokratisiert und neue Wohnformen gefördert werden. Diese Eckpunkte finden auch in der Opposition Unterstützung.

Strittig ist aber vor allem, wie eine Pflegereform finanziert werden könnte. Ministerin Schmidt hält sich mit konkreten Vorschlägen bisher zurück. Mit einer Arbeitsgruppe beim SPD-Vorstand will die Ministerin spätestens im Herbst ein Konzept vorlegen. In Teilen der SPD gibt es Sympathien dafür, eine Bürgerversicherung in der Pflege einzuführen, in die alle einzahlen. Beiträge würden nicht nur auf das Arbeitseinkommen, sondern auch auf Kapitaleinkünfte fällig. Schmidt überlegt, zumindest private und gesetzliche Pflegeversicherung anzugleichen. Es gebe absolut keinen Grund dafür, dass Gutverdiener in einer privaten Versicherung viel günstiger wegkämen als in der gesetzlichen Pflegeversicherung – bei absolut gleichen Leistungen, sagte sie kürzlich.

Die Grünen drängen darauf, dass bei der Reform der Pflegeversicherung die demografische Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten berücksichtigt wird. Die Grünen-Pflegeexpertin Petra Selg plädiert dafür, eine Demografiereserve einzuführen. Dafür könnte beispielsweise ein kollektiver Kapitalstock innerhalb der Pflegeversicherung aufgebaut werden, denkbar wäre aber auch eine verpflichtende private Zusatzversicherung.

Die Union will mit detaillierten Vorschlägen warten, bis die Regierung ein Konzept vorgelegt hat. CDU und CSU tendieren aber dazu, zumindest teilweise auf ein kapitalgedecktes System umzustellen. In der CDU gibt es Forderungen, komplett auf eine einkommensunabhängige Prämie umzusteigen. Die CSU neigt eher dazu, die soziale Pflegeversicherung beizubehalten, den Beitragssatz bei 1,7 Prozent einzufrieren und parallel dazu mit einer allmählich steigenden Prämie einen Kapitalstock aufzubauen. Die FDP schlägt ein rein privates Modell vor.

Die privaten Krankenversicherer (PKV) sind für eine Dynamisierung der Leistungen um jährlich zwei Prozent. Während die soziale Pflegeversicherung weiterhin die undynamisierten Leistungen übernehmen soll, soll der dynamisierte Teil von der PKV durchgeführt. werden. Der Aufbau des Kapitalstocks erfolgt langsam. Nach dem PKV-Modell würde nach 36 Jahren die Hälfte der Leistungen aus der Kapitalreserve finanziert.

Schon jetzt können gesetzlich Versicherte ihre Pflegeleistungen aufbessern, in dem sie eine private Pflegezusatzversicherung abschließen. Knapp 787 000 Menschen hatten Ende 2004 eine solche Police, rund 37 000 mehr als im Vorjahr. Zwar sei eine Zusatzversicherung durchaus „sinnvoll“, meint Ulrike Steckkönig von der Stiftung Warentest. Aber: Da sich die Versicherung nach den Regeln der PKV richtet, wird die Versicherung immer teurer, je später man sie abschließt. Und: Hat man Vorerkrankungen, zahlt man Risikozuschläge oder wird gar nicht versichert. „Wer mit Ende 40 eine Zusatzversicherung abschließen will, dürfte Schwierigkeiten bekommen“, warnt die Verbraucherschützerin.

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