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Wirtschaft: Qualifikation: Teamplayer
Viele Zeugnisse taugen nichts. Sie sind nicht auf die praktische Arbeit ausgerichtet und dreschen Phrasen. Wie sich das vermeiden lässt
Ist das Arbeitszeugnis tatsächlich out? Immer wieder kann man in Internetforen oder Ratgebern lesen, dass es mehr oder weniger zu einem wohlwollenden „Weglobschreiben“ verkommen ist, mit codierten Noten, die kaum der wirklichen Leistung entsprechen. Dass es immer öfter von den darin beurteilten Mitarbeitern selbst verfasst wird – und deshalb kaum ernst zu nehmen ist.
Berliner Arbeitgeber sehen das aber offensichtlich ganz anders.
„Das Arbeitszeugnis bleibt Bestandteil einer professionellen Bewerbung“, sagt etwa der Deutsche Bank-Sprecher Christoph Blumenthal. Möglichst konkret und aussagekräftig solle es sein und dem Personaler vor allem Auskunft über Tätigkeiten, Leistungen und dienstliches Verhalten des Bewerbers geben. Absolventen ohne Berufserfahrung seien da in einer Ausnahmesituation. Bei ihnen zähle in einer Bewerbung das Belegen von Studienschwerpunkten, Praktika sowie Auslandserfahrung.
„Das Arbeitszeugnis ist sehr wichtig, es soll mir helfen, geeignete Kandidaten zu identifizieren“, betont auch Hedwig Francois-Kettner, die als Pflegedirektorin der Charité für das Einstellen von Pflegepersonal verantwortlich ist. Deshalb erwarte sie klare Aussagen über fachliche Kompetenzen und Sozialverhalten. Darüber hinaus achte sie auf die codierte Notengebung und Hinweise zwischen den Zeilen. Wenn jemand mit Bedauern verabschiedet wurde, sei das ein Pluspunkt. Gibt es Unklarheiten, versucht die Personalerin sie im persönlichen Gespräch zu klären. Gegebenenfalls wird auch der ehemalige Arbeitgeber angerufen, so wie das im Ausland oft üblich ist (siehe Kasten).
Auch Erik Ryll, Human Ressources-Chef Deutschland bei Bombardier, möchte vor allem über die Erfahrungen sowie fachliche und soziale Kompetenzen des Bewerbers informiert werden. Das Arbeitszeugnis dient ihm dabei als wesentliches Puzzle-Teil. „Im Vorstellungsgespräch versucht jeder sich zu verkaufen. Es muss objektive Möglichkeiten geben, das abzugleichen“. Grundsätzlich ist er mit den Arbeitszeugnissen, die ihm vorgelegt werden, formal zufrieden, Unstimmigkeiten kläre er im Gespräch.
Die Personaler bei Air Berlin verschaffen sich durch das Arbeitszeugnis einen Eindruck über bereits erworbene Kompetenzen des Bewerbers und gleichen sie mit den geforderten Kenntnissen im Stellenprofil ab. „So treffen wir eine Vorauswahl, wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird und wer nicht“, sagt ein Sprecher. Zu den häufigsten Mängeln zählten Abweichungen zwischen den Daten in Lebenslauf und Zeugnis oder zeitliche Lücken zwischen Austrittszeitpunkt und Ausstellungsdatum. Manchmal würden auch gar keine Zeugnisse beigelegt.
Bei der Werbeagentur Scholz & Friends dagegen hängt die Bedeutung des Arbeitszeugnisses vom Bereich ab, für den sich ein Kandidat bewirbt. „Bei Beratern ist es sehr wichtig, bei Kreativen entscheidet eher die Mappe, das Portfolio“, erklärt Personalreferentin Nele Schnieder. Ist ein Zeugnis nicht so positiv, der Bewerber ansonsten aber vielversprechend, erhält er die Gelegenheit, sich zu den Mängeln zu äußern und Zweifel auszuräumen. Sei ein Arbeitszeugnis selbst geschrieben, erkenne sie das sofort: „Wer die Formulierungen nicht beherrscht, verstrickt sich ganz schnell in widersprüchlichen Aussagen“, weiß sie aus Erfahrung.
Wird Mitarbeitern ein Zeugnis ausgestellt, gilt es, auf bestimmte Aspekte zu achten, rät Karl-Heinz List, Personalberater und Autor des Buches „Das zeitgemäße Arbeitszeugnis“. Viel zu oft seien Arbeitszeugnisse zu wenig aussagekräftig, zu wenig konkret, zu wenig auf die praktische Arbeit ausgerichtet und phrasenhaft. „Das Arbeitszeugnis soll Personalern den Soll-Ist-Vergleich so leicht wie möglich machen. Ideal ist, wenn das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle Punkt für Punkt abgehakt werden kann“, sagt er. Eine tabellarische Gestaltung sei daher ebenso angemessen wie stichpunktartige Formulierungen mit Namen, Tätigkeitsfeldern und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. Die Länge sollte zwei Seiten nicht überschreiten.
Dass Mitarbeiter ihr Zeugnis selbst schreiben, stößt bei Karl-Heinz List auf Ablehnung: „Zu komplex“, urteilt der Fachmann. „Die Beurteilung muss dem direkten Vorgesetzten überlassen bleiben, das Zeugnis selbst sollte die Personalabteilung schreiben“. Mit einer ausführlichen Aufgabenbeschreibung, einer Darlegung der Entwicklung im Unternehmen und einer Selbsteinschätzung könne der Mitarbeiter aber sehr wohl zu einem aussagekräftigen Zeugnis beitragen.
Wichtig sei, dass das Zeugnis die für eine zukünftige Position relevanten Aspekte wie Arbeitseinsatz, Arbeitsverhalten, Ergebnisse, Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber sowie das Verhalten gegenüber den Kollegen enthält. Außerdem sollte präzise und anhand von Projekten aufgeführt werden, was geleistet wurde. „Wenn man im Rahmen der Arbeit häufig Englisch gesprochen hat, gehört das ebenso rein wie bei einem Verkaufsleiter die Umsatz-Steigerung, bei Führungskräften die Zahl der Untergebenen“, erklärt der Experte. Weiterbildung, Ausbildung nach Feierabend, besondere Ideen, Projektbeiträge, das Übernehmen neuer Aufgaben etwa in Urlaubsvertretungen: Je mehr wichtige Informationen das Zeugnis enthalte, desto besser.
Laut Gesetz muss das Arbeitszeugnis zwar positiv, aber nicht im Zeugniscode geschrieben sein. Es besteht „Formulierungsfreiheit“. „Und wenn offen formuliert wurde, würde ich auch nicht fordern das zu ändern“, rät List.
Auch wer sein Zeugnis selbst schreibe, sollte offene Formulierungen wählen und sich außerdem in Fachliteratur einarbeiten, empfiehlt der Experte. Von Internet-Ratgebern und Formulierungs-Software hält er dagegen nichts. Zu musterhaft, zu unkonkret, sagt er. Software arbeite in der Regel nur mit Noten-Codes. Die sprachlichen Vorgaben ließen sich aber kaum auf den individuellen Fall übertragen. Auch das Hinzuziehen von „Zeugnisexperten“ sei kaum erfolgversprechend. „Von außen kann niemand die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters so abbilden, wie es der Vorgesetzte kann – oder gegebenenfalls noch man selber.“
Andreas Monning