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Waffenstillstand. Die deutsche Wirtschaft fürchtet einen kostenintensiven Dauerkonflikt in der Ukraine.

© Reuters

Zehn-Punkte-Papier zur Ukraine: Regionaler Interessenausgleich, militärische Neutralität, Freihandel nach Ost und West

Die Ukraine braucht einen Waffenstillstand und eine Perspektive zwischen der EU und Russland. Zehn Thesen im Wortlaut von Rainer Lindner, Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums.

In der Ukraine ist ein Bürgerkrieg entflammt. Seit dem völkerrechtswidrigen Anschluss der Krim an die Russischen Föderation, stehen sich im Osten der Ukraine Separatisten und Militärkräfte der Regierung gegenüber. Dadurch wächst die Zahl lokaler bewaffneter Auseinandersetzungen, die die Ganzheitlichkeit des Landes und die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai gefährden. Ein Weg aus der Krise kann nur gefunden werden, wenn die Waffen schweigen und ein Dialog innerhalb der Ukraine und innerhalb des Genf-Prozesses zustande kommt. Die folgenden Schritte können einen Beitrag zur Wiederherstellung von Sicherheit, regionaler Aussöhnung und Demokratie in der Ukraine leisten:

Waffenstillstand und "Genf 2"
Ohne einen schnellen Waffenstillstand werden die Kontrahenten in der Ukraine selbst sowie die Ukraine und Russland miteinander in einen kostenintensiven Dauerkonflikt geraten. Russland wäre in Europa langfristig isoliert, die Ukraine würde in einem Bürgerkrieg versinken. Auswirkungen auf die Nachbarschaft wären vorprogrammiert. Es bedarf dringend eines "Genf 2"-Prozesses, der konkrete Deeskalationsschritte vereinbaren muss. Vertreter der Ostukraine sollten in geeigneter Form einbezogen werden.

Runde Tische und Nationale Versammlung
Die Ukraine wird einen ähnlichen Prozess durchlaufen müssen, wie ihn die Staaten Ostmitteleuropas vor zwanzig Jahren geschafft haben. Ein politischer Neubeginn und das Ende der Korruption ist eine gemeinsame Forderung der Protestzentren Kiew und Donezk. Deren dialogfähige Organisatoren sollten sich von den radikalen Gruppen distanzieren und unter Begleitung der OSZE einen Dialog beginnen. Ein Runder Tisch könnte die Vorstufe zu einer Nationalen Versammlung sein, die Vertreter der Parlamentsparteien, der Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften, Kirchen, vor allem aber gewählte Vertreter der Protestzentren einbinden müsste. Solche runden Tische sollten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene etabliert werden. Nur so wird es gelingen, den Protest der Straße in demokratische Beteiligungsformen umzuwandeln.

Präsidentschafts - und Parlamentswahlen
Die Ukraine braucht Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, um einer neuen ukrainischen Führung demokratische Legitimität zu verleihen. Vorherige regional begrenze Referenda werden vom Völkerrecht nicht gedeckt. Der begleitende Verfassungsprozess sollte bis zu Parlamentswahlen abgeschlossen sein. Die Parteienlandschaft der Ukraine muss künftig die dialogfähigen Teile der Protestbewegung und der ukrainischen Zivilgesellschaft abbilden.

Dezentralisierung zur Stärkung der Regionen
Nach dem Ende des Konflikts wird eine neue Verfassung die langfristige Stabilität der Ukraine sichern müssen. Das geht nur über Dezentralisierung und die Stärkung der politischen und finanziellen Rechte der Regionen. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerungsmehrheit des Landes mehrheitlich gegen eine Angliederung an Russland jedoch für eine deutliche Ausweitung der regionalen Kompetenzen eintritt. Nur eine übergreifende Identifikation der Bürger mit dem politischen System kann langfristig Stabilität in der Ukraine sichern.

Freihandelsabkommen mit der Zollunion und der EU
Die handelspolitische Perspektive der Ukraine liegt in der EU und in Russland gleichermaßen. Parallele Freihandelsabkommen mit der Zollunion und der EU sind möglich und würden der Wirtschaft und dem Staatshaushalt der Ukraine entgegenkommen. Mit den Mitgliedern Zollunion hat die Ukraine bereits individuelle Freihandelsabkommen. Die geplante Unterzeichnung des handelspolitischen Teils des Assoziierungsabkommens mit der EU könnte eine Balance herstellen. Die wirtschaftliche Brückenfunktion der Ukraine zwischen der EU und der künftigen Eurasischen Union wäre eine Vorstufe zu einer Freihandelsperspektive der EU mit Russland, die als langfristiges Ziel jetzt nicht aus dem Blick verloren werden darf.

Neutralität als Verfassungsgrundsatz
Ebenso wie in der ersten Verfassung der unabhängigen Ukraine von 1996 festgeschrieben, sollte die Ukraine keinem Militärbündnis angehören. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine entspricht nicht dem Willen der Bevölkerungsmehrheit und würde die Stabilisierung der Nachbarschaft unmöglich machen. Die Ukraine kann und sollte weiterhin an Friedenseinsätzen der UN und (wie bereits geschehen) auch der Nato teilnehmen können.

Zweisprachenstatus nach Regionen
Die Bilingualität in der Ukraine löst sich nicht mit fortschreitender Zeit auf. Die Sprachenfrage muss in der neuen Verfassung geregelt werden. Ukrainisch und Russisch müssen auf lokaler Ebene Amtssprachen bleiben können. Wichtig ist, dass jede Diskriminierung sprachlicher oder ethnischer Minderheiten verlässlich ausgeschlossen wird.

Konsenskommission zwischen Ukraine und Russland
Ähnlich wie Russland und Polen vor Jahren eine "Kommission für schwierige Fragen" gegründet haben, die sich historisch-kulturellen Konfliktfragen beider Staaten widmet, bedürfen die Ukraine und Russland eines Instruments zur Bewertung von "soft issues". Der Propagandakrieg, der von den Medien und Meinungsträgern in Russland und der Ukraine derzeit ausgetragen wird, offenbart Stereotype und Vorurteile, die von Gewaltakteuren instrumentalisiert werden.

Geberkonferenz zur Stabilisierung
Eine internationale Geberkonferenz muss die finanzielle Stabilisierung der Ukraine fördern. Gemeinsame Anstrengungen der westlichen Geber und Russlands sind erforderlich. Es müssen darüber hinaus Regelungen zum Schutz ausländischer Investoren in der Ukraine geschaffen werden, um Vertrauen zurückzugewinnen. Eine gemeinsame Verständigung über die zukünftige Energieversorgung der Ukraine und ihre Rolle als Transitland zwischen Russland und der EU ist notwendig, um die notwendigen Reformen in der Ukraine auf eine verlässliche Grundlage zu stellen.

Deutsche Wirtschaft als Modernisierungspartner
Durch die Krise und die bewaffneten Auseinandersetzungen sind deutsche Unternehmen in der Ukraine in großer Sorge. Insbesondere der Osten des Landes erlebt eine wirtschaftliche Depression, die auch die ausländischen Unternehmen erfasst. Investitionen und Technologien werden nur dann in die Ukraine kommen, wenn Stabilität und Berechenbarkeit zurückkehren. Es geht nicht nur um Kredite für die Ukraine. Sie braucht Investitionen, um einen verlässlichen Wachstums- und Wohlstandspfad einzuschlagen. Nur wenn Stabilität und Berechenbarkeit zurückkehren, werden Investitionen und Technologien zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes beitragen.

Der Autor ist Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums

Rainer Lindner

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