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Wirtschaft: Täuschend echt

Vom Filmgeschäft in die Wirklichkeit: Seit dem Irakkrieg läuft in den USA das Geschäft mit Prothesen

Von Greg Jaffe Vor zwei Jahren stellte Chuck O’Brien in Hollywood noch Leichenteile für die Fernsehserie „CSI Miami“ her. Eine seiner besten Arbeiten war ein von einem Hai angefressener Rumpf. Doch irgendwann hatte er es satt, tote Körper für arrogante Regisseure herzustellen. Außerdem befürchtete er, dass die Computeranimation, die schneller und billiger ist, seine Fähigkeiten in Hollywood über kurz oder lang überflüssig machen würde.

Und so kam es, dass er an einem verregneten Aprilmorgen im Walter Reed Army Medical Center in Washington den rechten Fuß des Marinesoldaten Corey Webb betrachtete. Webb hatte sein linkes Bein im vergangenen Juni in Fallujah verloren, als sein Jeep auf dem Weg zu einem Feuergefecht mit einem Panzer kollidierte. Nun bemalte O’Brien eine Silikonreplik der fehlenden Gliedmaße während der 23jährige Unteroffizier Modell saß und sein gesundes Bein ins helle Licht streckte. „Der Mann ist mein Fußkünstler“, sagt Webb.

Seit November 2003 arbeitet O’Brien für das „Alternative Prosthetic Center“, ein Unternehmen, das Arme, Beine und manchmal auch Finger oder Ohren für Unfallopfer und Kriegsversehrte herstellt. Jeden Donnerstag und Freitag geht Chuck O’Brien ins Walter Reed Center und arbeitet an den Prothesen. An diesem Morgen ist es der Fuß für Webb und eine Hand für einen Soldaten, der seinen Arm bei einem Selbstmordattentat verlor.

Jahrelang war die Nachfrage nach hochwertigen Prothesen, die Tausende Dollar kosten, begrenzt. Aber seit dem Irakkrieg ist das anders. Neue Schutzwesten, die die inneren Organe schützen, haben dazu geführt, dass anders als bei früheren Kriegen mehr Soldaten die Angriffe überleben – aber die äußeren Verletzungen oft so schwer sind, dass ein Arm oder ein Bein amputiert werden müssen. Das Pentagon hat versprochen, bei der Hilfe für die Verletzten, keine Kosten und Mühen zu sparen. Und deswegen läuft das Geschäft von Michael Curtain, dem Gründer des „Alternative Prosthetic Center“, extrem gut. Der gelernte Bildhauer sagt, er habe in den vergangenen drei Jahren so viele Patienten gehabt wie noch nie. Trotzdem macht es sich schon jetzt Gedanken, dass er Mitarbeiter entlassen muss, wenn die Aufträge vom Militär weniger werden.

Für die Herstellung einer Hand oder eines Fußes benötigen die Künstler etwa drei Wochen. Zuerst fertigen sie ein Abbild der gesunden Gliedmaße des Patienten. Das ist dann das Muster für die Prothese, die sie als Spiegelbild der gesunden Hand oder des gesunden Fußes schaffen. Davon machen sie einen Abdruck und verkleiden die Innenseite der Form mit einer dünnen Schicht Silikon. Dann lösen sie die Silikonschicht von der Form und erhalten eine Art transparenten Silikonhandschuh. Die Künstler bemalen das Silikon mit einen Farbton, der dem Hautton des Patienten entspricht und fügen Sommersprossen, Muttermale, Adern und schließlich echte Haare hinzu. Während des vier- bis achtstündigen Anmalens sitzen die Patienten Modell. Auf besonderen Wunsch kann auch ein Tattoo aufgemalt werden. Am Ende füllen die Künstler den Silikonüberzug mit Gummi. Die fertigen Gliedmaßen sehen so echt aus, dass die Leute, wenn sie die Prothese das erste Mal sehen, erschrecken. Im letzten Sommer, erzählt Curtain, sei er mit einer Tasche fertiger Prothesen durch den Houstoner Flughafen gegangen und von einer Sicherheitsbeamtin zur Seite gezogen worden. Als die Beamtin den Inhalt von Curtains Tasche kontrollierte, schrie sie entsetzt auf. Ihre Kollegen kamen herbeigerannt, und die Frau stammelte immer wieder: „Das kann nicht wahr sein.“

Curtains Künstler werden oft gefragt, ob sie auch „richtige“ Kunstwerke wie Bilder herstellen. „Unsere Arbeit ist Kunst wenn auch eher technischer Art“, sagt Curtain. „Die Kreativität tritt doch erheblich zurück, weil man nach der Realität sucht“, erklärt einer seiner Mitarbeiter und blickt kurz von seiner Arbeit auf. „Aber das beste an dem Job sind die Patienten“, sagt er. „Das Durchhaltevermögen dieser Männer ist unglaublich.“

Die Texte wurden übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Yuan), Svenja Weidenfeld (Prothesen), Matthias Petermann (Kapitalismus-Debatte) und Christian Frobenius (Pinault).

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