Wirtschaft: Trau, schau, wem
Zunehmend drängen gewerbliche Anbieter in den Markt. Doch die Kommunen sehen die private Konkurrenz oft skeptisch
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Berlin - Deutschland ist nicht gerade als kinderfreundlich bekannt. So kann es passieren, dass man zuerst ein Schallschutzgutachten einholen muss, wenn man eine neue Kindertagesstätte bauen will. In welcher Stadt das war, will Geschäftsführerin Carina Maria Michalke von der Kindervilla in Dresden nicht verraten, denn inzwischen hat sie endlich eine Baugenehmigung, die sie nicht gefährden will. „Die Behörden blockieren uns immer wieder“, sagt sie. „Aber auch viele Grundstückseigentümer sind skeptisch, wenn wir sagen, dass wir eine Kindervilla bauen wollen.“ Viele Kommunen bringen gewerblichen Anbietern von Kinderbetreuung ein erhebliches Misstrauen entgegen.
Doch das hemmt Michalkes Expansionsdrang wenig. „Wir wollen in Deutschland 28 bis 30 Kindervillas errichten und auch ins Ausland gehen“, sagt Unternehmerin Michalke. Inzwischen ist aus der Kindervilla in Dresden ein Franchisesystem geworden. Eine Partnerin in Berlin gibt es schon, jetzt wird ein Grundstück gesucht. Noch gibt es am Markt für Kinderbetreuung wenige gewerbliche Anbieter. „Aber es gibt ein enormes Potenzial“, sagt Dieter Dohmen, Direktor des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). „Denn der Bedarf ist viel größer als das, was staatlich bisher angeboten wird.“
Wie viele privat-gewerbliche Unternehmen bereits am Markt aktiv sind, darüber gebe es keine verlässlichen Zahlen, sagt Katharina Spieß, Familien- und Bildungsexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin an der FU Berlin. Doch auch sie beobachtet: „Es kommt Dynamik in den Markt.“ Dafür nennt Spieß verschiedene Gründe: Die Nachfrage nach Betreuung steige weiter – auch weil der Wunsch, Familie und Beruf zu vereinbaren, zunehme. Gleichzeitig wachse die Bereitschaft – in vielen Familien aber auch die Notwendigkeit –, professionelle Betreuungsangebote anzunehmen. Und schließlich gebe es in vielen Kommunen mittlerweile auch immer mehr Fördermöglichkeiten für privat-gewerbliche Anbieter. „Deutschland ist in Sachen Kinderbetreuung so weit wie noch nie, wenn auch noch nicht weit genug“, sagt Spieß. „Ob gewerbliche Betreuungsangebote eine faire Chance im Wettbewerb haben, hängt massiv von den Fördermöglichkeiten ab.“ Auch FiBS-Direktor Dohmen fordert Chancengleichheit auf dem Markt. „Solange staatliche Einrichtungen stärker gefördert werden als nicht-staatliche, ist das eine massive Eintrittsbarriere in den Markt“, sagt er.
Beide Experten sind überzeugt: Ohne staatliche Förderung gibt es auf dem Markt nur Platz für Nischenanbieter, nämlich für solche, die sich an gutverdienende Eltern wenden, die sich eine private Kinderbetreuung leisten können – oder wollen. „Das schränkt den Markt erheblich ein“, sagt Dohmen. Denn Kinderbetreuung ist teuer, vor allem für die Kleinsten. So hat die Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik ermittelt, dass die Vollzeitbetreuung eines Kindes unter drei Jahren (acht Stunden am Tag) in Westdeutschland pro Jahr zwischen 12 000 und 14 000 Euro kostet, in Ostdeutschland sind es immerhin noch 8000 bis 9000 Euro pro Jahr. In Berlin, sagt Dohmen, kostet ein Platz für Kinder bis zu sechs Jahren im Durchschnitt rund 8000 Euro im Jahr.
Auch die Betreiber der Kindervilla in Dresden geben zu: „Unsere Klientel sind die Besserverdienenden.“ Die Vollzeitunterbringung (acht Stunden an fünf Tagen in der Woche) eines zweijährigen Kindes etwa kostet dort 704 Euro im Monat. Hinzu kommen die Verpflegungskosten, ein Mittagessen kostet 3,18 Euro. Dennoch legt Geschäftsführerin Michalke Wert auf die Feststellung: „Wir definieren uns nicht über den Preis, sondern über unser Angebot.“ Das umschreibt sie so: eine liebevolle Betreuung rund um die Uhr, hochwertige Bildungsangebote von Sprache über Musik bis Kunst sowie eine ausgesuchte Ausstattung. „Wir haben an 365 Tagen geöffnet“, sagt Michalke. „Im Notfall können Eltern ihr Kind auch am 24. Dezember zu uns bringen. Dann brauchen sie aber einen guten Grund, denn parken können sie ihr Kind bei uns nicht.“
Hohe Flexibilität, damit werben alle privaten Anbieter. „Geht nicht, das gibt es bei uns nicht“, sagt Alexa Ahmad aus der Geschäftsleitung der Berliner PME Familienservice GmbH. Die Firma versteht sich als Problemlöser für alle Lebenslagen. Am Anfang stand die Betreuung von Kindern in Notfällen: wenn Vater krank ist, Oma auf Mallorca weilt und Mutter dringend auf Geschäftsreise muss. Inzwischen hat PME Familienservice 26 Kindertagesstätten an 25 Standorten in Deutschland und erwartet in diesem Jahr einen Umsatz von zwölf Millionen Euro. „Wir sind ein Unternehmen, aber wir sind nicht stringent gewinnorientiert“, sagt Ahmad. „Wir leisten auch einen gesellschaftspolitischen Beitrag.“ Geld verdienen die privaten Anbieter vor allem mit der Betreuung ihrer Firmenkunden. „Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, wie wertvoll ihre Mitarbeiter sind, und sorgen dafür, dass sie Familie und Beruf auch vereinbaren können“, sagt Ahmad.
Ahmad sieht ebenfalls enormes Wachstumspotenzial auf dem Markt. „Allerdings wächst er nicht immer formschön, bei vielen Einrichtungen fehlt es an Qualität.“ Auch Oliver Strube, Geschäftsführer der Beratungsfirma Impuls und Betreiber von 19 Betreuungseinrichtungen in drei Bundesländern, meint: „Bei den 750 000 Krippenplätzen, die Familienministerin Ursula von der Leyen schaffen will, wird zu viel über Quantität und zu wenig über Qualität gesprochen.“ Sein Unternehmen arbeitet mit zwei weiteren Partnern an einer Qualitätsinitiative. „Damit wir uns von Anbietern mit ungenügender Leistung abgrenzen können.“
In der Qualitätskontrolle sieht DIW-Expertin Spieß eine wichtige Aufgabe des Staates. Gleichzeitig erwartet sie, dass durch die Konkurrenz privat-gewerblicher Anbieter die Qualität der Betreuungsangebote insgesamt steigt. „Wo es Wettbewerb gibt, tut sich einiges“, sagt sie.
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