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Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt spiegelt sich im Abendlicht im Main.

© dpa/Frank Rumpenhorst

Update

Um 0,25 Prozentpunkte: EZB senkt Zinsen zum ersten Mal seit fünf Jahren

Der Leitzins wird auf 4,25 Prozent nach unten gesetzt, der Einlagensatz auf 3,75 Prozent. Doch die Inflation sei damit noch nicht besiegt, warnen Zentralbank und Experten.

Stand:

Die Europäische Zentralbank (EZB) beschließt die Kurswende und senkt erstmals seit fast fünf Jahren die Zinsen. Die Währungshüter um Notenbankpräsidentin Christine Lagarde setzten den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte nach unten auf 4,25 Prozent, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Den am Finanzmarkt maßgeblichen Einlagenzinssatz, den Banken für das Parken von Geld bei der Zentralbank erhalten, senkte sie auf 3,75 Prozent von bisher 4,00 Prozent.

Letztmalig hatte die Notenbank im September 2019 die Zinsen gesenkt. „Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest“, erklärte die EZB nun mit Blick auf den weiteren Kurs.

Für Kreditnehmer sind sinkende Zinsen eine gute Nachricht, denn Kredite werden dadurch günstiger. Sparer müssen sich dagegen darauf einstellen, dass sie tendenziell weniger Zinsen für Geld auf der hohen Kante bekommen. Da die Entscheidung der Notenbank erwartet worden war, haben viele Geldhäuser ihre Konditionen aber bereits angepasst.

Lagarde will noch keine Entwarnung geben

Für EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist es allerdings noch zu früh, einen Sieg über die Inflation auszurufen. Die Teuerungsrate werde wahrscheinlich bis ins nächste Jahr hinein über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank bleiben, sagte sie am Donnerstag auf der Pressekonferenz zum Zinsbeschluss in Frankfurt.

„Mit dieser Zinssenkung setzt die EZB die Alarmstufe bei der Inflation um einen Schritt herunter“, kommentierte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank den Schritt der Euro-Wächter. „Angesichts der deutlichen Beruhigung des Inflationsgeschehens ist das gerechtfertigt.“ Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW in Mannheim merkte an, dass die erste Zinssenkung durch die EZB-Kommunikation exzellent vorbereitet und geldpolitisch gut begründbar gewesen sei. „Negativ überrascht hat zuletzt allerdings die Hartnäckigkeit der Inflation“, warnte er jedoch. „Der EZB-Rat sollte sich jetzt mit vorschnellen Ankündigungen weiterer rascher Zinssenkungen zurückhalten.“

Die Zinssenkung sei „sinnvoll“, weil sich die Inflation in Europa mittlerweile in Richtung der angestrebten zwei Prozent zurückentwickelt, erklärte der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Auch Silke Tober, Expertin für Geldpolitik und Inflation des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, nannte die Zinssenkung „richtig und überfällig“. Die Inflation sei auch aus Sicht der EZB unter Kontrolle und dürfte im kommenden Jahr sehr nah am Inflationsziel von zwei Prozent liegen.

Die EZB sei entschlossen dafür zu sorgen, dass die Inflation zeitnah zum mittelfristigen Ziel von zwei Prozent zurückkehre, erklärten die Währungshüter. Die Notenbank strebt eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent als optimales Niveau für die 20-Länder-Gemeinschaft an. Die Zinsen würden so lange wie nötig auf einem die Wirtschaft ausreichend bremsenden Niveau gehalten, um dieses Ziel zu erreichen, stellten die Euro-Wächter in Aussicht. Wie hoch das sei, und wie lange die Sätze auf dem entsprechenden Niveau bleiben müssten, werde von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung entschieden.

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Mit ihrem Schritt nach unten folgt die EZB den Notenbanken in Kanada, der Schweiz und in Schweden, die bereits die Zinsen gesenkt haben. Die einflussreiche US-Notenbank Federal Reserve hält bislang noch die Füße still, weil sich die Inflation in den Vereinigten Staaten zuletzt als weiterhin sehr stark erwiesen hat.

Auch in der Euro-Zone ist die Inflation noch nicht besiegt. Mit einer Teuerung von zuletzt 2,6 Prozent im Mai liegen Raten von mehr als zehn Prozent wie im Herbst 2022 aber inzwischen weit entfernt. Dazu trug auch die beispiellose Serie von zehn Zinserhöhungen der EZB seit dem Sommer 2022 maßgeblich bei. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte zuletzt deutlich signalisiert, dass die Notenbank ihre straffe Zinspolitik etwas abschwächen könnte. Zugleich hatte er aber auch klargemacht, dass mit einer Zinssenkung der Kampf gegen die Inflation noch nicht beendet ist.

EZB erwartet mehr Wachstum, aber auch höhere Inflation als bisher

Und so hat die EZB am Donnerstag ihre Inflationsprognosen für das laufende Jahr angehoben. Die Notenbank-Ökonomen gehen nun für 2024 von einer Teuerungsrate von 2,5 Prozent aus. Noch im März waren sie nur von 2,3 Prozent ausgegangen. Für 2025 rechnen die Volkswirte jetzt mit einer Inflation von 2,2 (März-Prognose: 2,0) Prozent. Für 2026 werden nach wie vor 1,9 Prozent erwartet. Damit würde sich die EZB auf Kurs zu ihrem Inflationsziel von zwei Prozent befinden, was sie als optimales Niveau für die 20-Länder-Gemeinschaft erachtet.

Die Notenbanker erwarten zudem für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone von 0,9 Prozent. Noch im März waren sie lediglich von 0,6 Prozent ausgegangen. Für 2025 gehen sie dann von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,4 (März-Prognose: 1,5) Prozent aus, für 2026 rechnen sie unverändert mit plus 1,6 Prozent. Die Notenbank-Volkswirte erarbeiten viermal im Jahr Konjunktur- und Inflationsprognosen für den Euroraum. Diese Projektionen liegen den Währungshütern zu ihren Beratungen auf den Zinssitzungen im März, im Juni, im September und im Dezember vor.

Auf eine Zinssenkung folgt nicht automatisch die nächste

Wie viele Zinssenkungen noch folgen werden, ist derzeit schwer abzusehen. Vertreter der EZB hatten zuletzt darauf verwiesen, dass die Entscheidungen von der Entwicklung der wirtschaftlichen Daten abhängen. Aus einer ersten Zinssenkung könne man keine „Art Autopilot“ ableiten, bei dem gleich die nächste Zinssenkung folgen müsse, betonte unlängst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, der als Mitglied des EZB-Rates mit über die Geldpolitik im Euroraum entscheidet.

Stabile Preise sind die wichtigste Voraussetzung für Wachstum in Europa, daran sollten wir weiter festhalten“, betonte Nagel. Es gelte, die Preisentwicklung von Sitzung zu Sitzung zu beobachten.

In der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters hatten alle 82 befragten Volkswirte mit einer Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte gerechnet. Allerdings erwarteten sie auch eine vorsichtige Gangart der Euro-Wächter in den kommenden Monaten.

Dafür dürfte auch sprechen, dass das Lohnwachstum im ersten Quartal überraschend kräftig ausgefallen war und bei den Dienstleistungen die Teuerung weiterhin hoch ist. Am Finanzmarkt war zuletzt mit maximal zwei weiteren Zinssenkungen in diesem Jahr gerechnet worden.

Verbände und Bauministerin begrüßen Zinssenkung – Ökonomen mahnen zur Vorsicht

Der Sparkassen- und Giroverband (DSGV) nannte die Zinssenkung richtig. Damit nutze die EZB den Spielraum, den die hat, um die Bremse für die Wirtschaft jetzt ein wenig zu lockern. Allerdings seien die letzten Meter bei der Inflationsbekämpfung die schwierigsten. „Vorsicht bleibt geboten.“ DSGV-Präsident Ulrich Reuter verwies dabei auf die „Lohndynamik“, die wiederum die Dienstleistungspreise beeinflusse. „Das schlimmste Szenario wäre ein erneuter Anstieg der Inflation, der die EZB zwingen würde, zu weitgehende Zinssenkungen zurückzunehmen. Das würde Vertrauen und Berechenbarkeit beschädigen.“

Bei den Auswirkungen auf die Wirtschaft sind Experten uneins: Die Zinssenkung sei an den Märkten bereits eingepreist, der Impuls für die Konjunktur wird begrenzt sein, erklärte Ifo-Präsident Fuest. Ähnlich äußerte sich die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK): Die positiven Wirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft seien „eher überschaubar“. Der Verband Die Familienunternehmer erklärte, die Zinssenkung werde keine Auswirkung auf das Investitionsklima in Deutschland haben.

Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, dagegen erklärte, die Zinswende stelle die Weichen für die konjunkturelle Erholung der deutschen Wirtschaft. „Von den verbesserten Finanzierungskonditionen werden Verbraucher, Unternehmen und insbesondere der Bausektor profitieren.“

Bauministerin Geywitz erklärte: „Günstige Finanzierungen am Kreditmarkt sind enorm wichtig für den Wohnungsbau.“ Die Senkung des EZB-Leitzinses werde der Baubranche einen neuen Schub geben, zeigte sie sich überzeugt.

Auseinander gehen die Empfehlungen für die künftige Zinspolitik der EZB. IMK-Ökonomin Tobler etwa forderte, weitere Zinsschritte sollten „zügig folgen“, da die weiter restriktive Geldpolitik die erforderliche Investitionstätigkeit schwäche.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln dagegen mahnte zur Vorsicht: Zahlreiche Indikatoren zur Prognose der Inflation zeigten keine Entspannung. So sei die Nachfrage der privaten Haushalte stabil und der Fachkräftemangel dürfte die Preise ebenfalls nach oben treiben. Die EZB sollte „in jedem Fall in kleinen Schritten vorgehen“. (Reuters, dpa, AFP)

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