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ZUR PERSON: „Viel wichtiger als der Ausstieg ist der Einstieg“

Wann der Atomausstieg kommt, spielt keine so große Rolle bei den Strompreisen“ Die Potsdamer Klimaforscherin Brigitte Knopf über die Kosten der Energiewende und den Aufbau der erneuerbaren Energien

KARRIERE

Brigitte Knopf (38) ist leitende Forscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die promovierte Physikerin koordiniert unter anderem das Projekt des Bundesforschungsministeriums über „Klimaschutz, Entwicklung und Gerechtigkeit: Dekarbonisierung in Entwicklungs- und Schwellenländern“.

INSTITUT

Das PIK wurde 1992 gegründet und beschäftigt inzwischen 270 Mitarbeiter am Standort auf dem Potsdamer Telegraphenberg. Es erforscht ökologische, ökonomische und soziale Folgen des Klimawandels.

Frau Knopf, Sie haben berechnet, dass ein Atomausstieg 2020 für die privaten Haushalte nur 90 Cent mehr im Monat kosten würde als das Regierungsdatum 2022. Woher wissen Sie das so genau?

Wir füttern unser Rechenmodell mit einer Menge Daten. Da sind Annahmen über die Entwicklung der Stromnachfrage dabei, auch Annahmen über den Zubau der erneuerbaren Energien und zusätzlicher fossiler Kraftwerke, die als Ersatz für die Atomenergie gebraucht werden. Dann schauen wir uns die Entwicklung der Großhandelspreise an. Durch den werden die Strompreise nur zu etwa einem Drittel bestimmt. Der überwiegende Teil sind Steuern, Netzentgelt und die Umlage für Erneuerbare. Deshalb wirkt sich das Ausstiegsdatum kaum aus auf die Verbraucherpreise. Viel wichtiger als das Ausstiegsdatum ist der Einstieg in die Energiewende: Ausbau der erneuerbaren Energien, Ausbau der Netze und Speicher, für eine Zwischenzeit auch Ausbau fossiler Kraftwerke.

Wie viele zusätzliche Gas- oder Kohlekraftwerke sind erforderlich, um die Atomenergie zu ersetzen?

Wenn wir die bereits im Bau befindlichen Kraftwerke nehmen, den geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sowie eine höhere Energieeffizienz, also den Einsatz von weniger Strom für mehr Leistung, dann bleibt immer noch ein zusätzlicher Bedarf von etwa acht Gigawatt. Das entspricht etwa zehn Großkraftwerken.

Auch Kohlekraftwerke?

Ja, das könnte bedeuten, dass Kohlekraftwerke, die nur in der Planung sind, tatsächlich gebaut werden. Statt auf Kohlekraftwerke könnte man auch auf Gaskraftwerke setzen – oder man könnte ältere Kohlekraftwerke, die jetzt eigentlich vom Netz gehen, länger laufen lassen.

Das ist schlecht für das Klima.

Der wichtige Punkt ist, dass in Europa die Emissionen gedeckelt sind, es gibt also eine klare Obergrenze. Wenn Deutschland wegen zusätzlicher Kohlekraftwerke mehr CO2-Zertifikate braucht, müssten die eben von anderen Ländern zugekauft werden. Wir haben schon lange dieses System des Emissionshandels; der ist eingerichtet worden, als noch der rot-grüne Ausstiegsbeschluss galt. Jetzt kehren wir also nur zu der Situation zurück, bei der wir vor einem Jahr waren.

Aber in Deutschland führt der Ausstieg zu höheren CO2-Emissionen?

Ja. Aber eben nicht in Europa insgesamt. Es könnte sein, dass die Preise der CO2-Zertifikate steigen. Das hätte zwar einen negativen Effekt auf die Strompreise, die könnten leicht steigen. Auf der anderen Seite hätte es den positiven Effekt, dass Investitionen in CO2-arme oder sogar CO2-freie Energieerzeugung attraktiver werden.

Womit wir wieder bei der Atomkraft wären. Die Polen zum Beispiel wollen die Abhängigkeit von der Kohle reduzieren und erwägen den Bau eines Atomkraftwerks.

Das sehe ich noch nicht. In Europa wird derzeit nur in Finnland ein Akw gebaut, dessen Preis sich gegenüber den ursprünglichen Planungen fast verdoppelt hat. Ohne staatliche Subventionen sind Atomkraftwerke nicht zu bauen.

Sind wir Deutschen also alles in allem auf dem richtigen Weg?

Ja, das zeigen unsere Analysen. Wir haben eine breite Palette von Ausstiegsszenarien gerechnet. Ein Ergebnis war: Ob das Ausstiegsdatum nun 2022, 2020 oder sogar 2015 ist, spielt gar keine so große Rolle bei den Strompreisen. Viel wichtiger sind die Alternativen: Der Ausbau der Erneuerbaren und deren Integration ins Netz. Zum Zweiten die Reduzierung des Verbrauchs, also eine höhere Energieeffizienz, damit wir weniger Kraftwerke brauchen. Und schließlich hat der womöglich steigende Weltmarktpreis von Kohle und Gas fast einen größeren Einfluss auf die Preise als das eigentliche Ausstiegsdatum.

Je teurer Kohle und Gas, desto schneller läuft der Ausbau der Erneuerbaren. Mit einem Anteil von 40 Prozent an der gesamten Stromerzeugung bis 2020 trauen Sie den Erneuerbaren fünf Prozentpunkte mehr zu als die Regierung. Warum?

Wir berufen uns bei dem Ausbau der Erneuerbaren auf Studien des Umweltministeriums. Die Wirkung der derzeit diskutierten Kürzungen bei der Förderung könnte hier teils eher negative Auswirkungen haben, etwa bei Windanlagen auf dem Land.

Sie sind für eine weitere Förderung der Windkraft?

Wir haben im Nordosten ein hohes Angebot an Windstrom und im Südwesten eine große Stromnachfrage. Mehr Anlagen im Südwesten wären also hilfreich

Liegt das größte Potenzial der Erneuerbaren im Wind?

In Deutschland zweifellos. Aber wir müssen die Entwicklung der Erneuerbaren auf eine europäische Ebene heben. Es gibt zwei wichtige Punkte. Erstens die sogenannten Lerneffekte. Mit jeder neuen Anlage wachsen die Erfahrungen und sinken die Kosten; je mehr Anlagen installiert werden, desto preiswerter wird es. Und ein zweiter Aspekt ist, dass die Kosten abhängig vom Standort sind. In Südspanien hat es mehr Sinn als in Nordfriesland, auf Fotovoltaik zu setzen.

Orientiert sich irgendein Land am deutschen Umgang mit Erneuerbaren?

Bisweilen schon, vor allem bei der Förderung der Erneuerbaren. Dabei gibt es zwei verschiedenen Varianten: Quotenmodelle, bei denen Kraftwerksbetreiber einen bestimmten Anteil des von ihnen ins Netz eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Quellen liefern müssen. Oder eine Förderung der Einspeisung des Ökostroms ins Netz, wie in Deutschland.

Inzwischen haben wir einen Anteil von gut 17 Prozent der Erneuerbaren und peilen 35 Prozent bis 2020 an. Hat sich unsere Systematik bewährt?

Ja, das Fördersystem hat einen sehr guten Anschub gegeben und sogar 40 Prozent bis 2020 sind realistisch. Aber wir brauchen dazu zusätzliche Kapazitäten bei den Stromnetzen. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR haben wir etwa 40 Prozent der Stromerzeugung, aber nur 20 Prozent des Stromverbrauchs. Es gibt nur zu wenig Leitungen von Ost nach West. Der Netzausbau ist unabdingbar, wenn es noch mehr Windstrom aus dem Norden und keinen Atomstrom mehr aus dem Westen und Süden gibt. Das ist keine Kleinigkeit, sondern eine große Aufgabe – mit der man jetzt anfangen muss.

Als Knackpunkt der Energiewende haben Sie die Versorgungssicherheit bezeichnet. Brechen irgendwann die Netze zusammen und Deutschland ist dunkel?

Davon gehe ich nicht aus. Wir haben bei unseren Rechnungen festgestellt, dass weder die Strompreise noch die CO2- Emissionen das große Thema bei einem vorgezogenen Atomausstieg sind. Das Problem ist in der Tat die Versorgungssicherheit. Wir brauchen einfach eine planmäßige Inbetriebnahme der im Bau befindlichen Kraftwerke und, wie erwähnt, zusätzliche Kapazitäten für acht Gigawatt. Der kritische Punkt ist also, in kurzer Zeit die Erneuerbaren auf den Weg zu bringen und diese fossilen Kapazitäten.

Das spricht für ein Reserve-Akw, das in der Not angeschlossen werden kann.

Auf keinen Fall. Der Schlingerkurs der letzten Monate hat allen nur geschadet, weil Investitionsentscheidungen blockiert wurden. Und wenn man jetzt mit einer Reserve arbeitet, dann kommen sofort wieder Zweifel auf, ob die Politik es wirklich ernst meint

Können Sie die Befürchtungen der energieintensiven Industrien verstehen, die wegen steigender Strompreise Arbeitsplätze und ganze Standorte gefährdet sehen?

Ein Teil der Befürchtungen fällt in die Kategorie politischer Lobbyarbeit. Aber es gibt Branchen, wo die Unternehmen eventuell an die Grenze der Möglichkeiten zur CO2-Reduktion gekommen sind. Deshalb muss der europäische Emissionshandel – der zur Zeit nur rund 40 Prozent der Emissionen einbezieht, nämlich die Energieerzeuger und Teile der Industrie – dringend erweitert werden. Dabei geht es um den Wärmemarkt und den Transportsektor. Diese Ausweitung würde die Preise der CO2-Zertifikate drücken und damit energieintensive Industrien entlasten. Belastet würden andere Sektoren, die damit einen Anreiz für CO2-Einsparungen bekommen. Das nützt am Ende allen – erfordert aber politischen Mut.

Das Gespräch führte Alfons Frese

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