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Der alte Tariffuchs Jörg Hofmann hat mit seinem Vorschlag die Arbeitgeber überrascht. Und vermutlich auch die eigenen Mitglieder.

© picture alliance / dpa

IG Metall läutet die Tarifrunde ein: Vier-Tage-Woche gegen die Krise

Der IG Metall-Vorsitzende überrascht mit einer Idee, die 1993 Schlagzeilen machte: Peter Hartz rettete mit einem ähnlichen Modell 30 000 VW-Jobs.

Berlin - Der Sozialpartner saß mit am Tisch, als sich die Funktionäre der Metallarbeitgeberverbände am Montag in Berlin trafen. Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, hatte in einem Interview die Anfang nächsten Jahres anstehende Tarifrunde eingeläutet. Er könne sich „eine Vier-Tage-Woche als Option für die Betriebe“ vorstellen, sagte Hofmann der „Süddeutschen Zeitung“. Die Verkürzung der Arbeitszeit „mit einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten“ sieht er als Mittel gegen Entlassungen im Transformationsprozess, von dem vor allem die Autoindustrie betroffen ist.

Das erinnert an den Herbst 1993, als in Wolfsburg die Tarifparteien die Vier- Tage-Woche für VW vereinbarten und dadurch 30 000 Arbeitsplätze sicherten. VW-Personalvorstand Peter Hartz hatte sich – mit Rückendeckung von VW-Chef Ferdinand Piëch – die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 36 auf 28,8 Stunden einfallen lassen. VW vermied Kündigungen und sparte viel Geld, denn die Einkommen fielen um zehn Prozent. Die Beschäftigten wiederum mussten keine Angst mehr um ihren Arbeitsplatz haben und bekamen einen Teillohnausgleich – so wie sich das Jörg Hofmann nun für 2021/22 vorstellt.

Im vergangenen März hatten sich IG Metall und Arbeitgeber keine der üblichen Tarifkämpfe geliefert, sondern recht flott einen Corona-Abschluss vereinbart inklusive Hilfen für Kurzarbeiter und für Beschäftigte, die Kinder zu betreuen haben. Die eigentliche Entgeltrunde verschoben die Tarifparteien auf Anfang 2021. Der Fahrplan bis dahin: Mitte Oktober gibt der Gewerkschaftsvorstand eine Forderungsempfehlung ab, über die dann vier Wochen an der Basis diskutiert werden kann. Am 17. November soll die endgültige Forderung beschlossen werden.

Trotz Rezession und Transformation will die Gewerkschaft auf jeden Fall mehr Geld für die knapp vier Millionen Metaller durchsetzen und begründet das damit, dass die Entgelttabellen seit Frühjahr 2018 nicht verändert worden seien. Vor einer reinen Entgeltforderung schreckt die IG Metall aber zurück – zu vielen Betrieben und Branchen geht es schlecht. Das wird sich bis März nächsten Jahres wohl kaum ändern. Also kam Hofmann auf die Idee mit der Vier-Tage-Woche als eine Option für Betriebe, die dann womöglich selbst entscheiden können, in welchem Ausmaß und mit welchem Lohnausgleich die Arbeitszeit verkürzt wird.

Auf Seiten der Arbeitgeber gab es wohlwollende Reaktionen. „Er hat den Ernst der Lage erkannt“, meinte Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer des nordrhein-westfälischen Metallverbandes, der im März den Krisenabschluss ausgehandelt hatte. Tatsächlich gibt es keinen Dissens zwischen den Tarifparteien über die wirtschaftliche Situation. Alle Wirtschaftsbereiche, die an der Autoindustrie hängen, tun sich schwer. Vor allem im Autoland Baden-Württemberg werden Insolvenzen und Entlassungen befürchtet.

Die IG Metall hatte sich ebenso wie die Regierungen der Autoländer Baden- Württemberg, Bayern und Niedersachsen für eine Kaufprämie im Konjunkturpaket eingesetzt, die den Absatz schadstoffärmerer Autos inklusive Verbrenner anschiebt. Die SPD blockierte das aber in der großen Koalition, was zur Verstimmung in der traditionell sozialdemokratischen IG Metall-Führung geführt hatte. Nach der Sommerpause müssen man nun erneut auf die Wirtschaft schauen. „Mein Gefühl ist: Die Regierung muss dann beim Konjunkturpaket nachsteuern“, meint Hofmann. Die überraschende Wiederentdeckung der Vier- Tage-Woche hätte es ohne die Coronakrise nicht gegeben. Dazu kommen die Erfahrungen mit der Wahlmöglichkeit „Zeit statt Geld“, die vor zweieinhalb Jahren erstmals in einen Tarif geschrieben worden war, und von dem ganz überwiegenden Teil der Anspruchsberechtigten für mehr Freizeit genutzt wurde. Ein weiterer Aspekt ist das Thema Weiterbildung, das der IG Metall seit Jahren und im Transformationsprozess zunehmend auf den Nägel brennt. Zusätzlich Freizeit könnte für Fortbildung genutzt werden.

Schließlich möchten die Tarifstrategen der Gewerkschaft eine gefühlte Ungerechtigkeit in ihrer Mitgliedschaft aufgreifen: Ein großer Teil der Bürobeschäftigten sitzt seit Monaten im Homeoffice, während die Produktionsarbeiter im Betrieb antreten müssen. Eine Vier-Tage- Woche brächte auch den Schichtarbeitern mehr Zeit – für die Familie, Erholung oder Weiterbildung. Alfons Frese

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