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Kurz angebunden. Manche Menschen geraten regelrecht in Panik, wenn der Batteriebalken rot blinkt.

© Getty Images/iStockphoto

Vom Smartphone abhängig: Die Wiederentdeckung der Steckdose

Seitdem sich der Mensch vom Smartphone abhängig gemacht hat, ist er auch darauf angewiesen, dass der Akku stets aufgeladen ist. Clevere Geschäftsleute haben das längst für sich entdeckt.

Ein Café in Essen hat all seine Steckdosen abgeklebt. Zum Schutz vor unverschämten Gästen, die vor allem eins wollen: Strom schnorren. Eine Wirtin in Wien sah zu, wie eine Kundin drei Stunden lang ihr Smartphone auflud, und stellte ihr dann einen Euro in Rechnung. Zwar kennt Daniel L. solche Reaktionen nicht aus Berlin, aber er kann sie nur zu gut verstehen. In einer Neuköllner Bar erzählt der Mitarbeiter an einem lauen Sommerabend: „Es ist inzwischen so: Entweder die Kunden rufen uns, weil sie tatsächlich etwas trinken wollen, weil sie unser W-Lan-Passwort brauchen oder weil sie ihr Handy ganz, ganz dringend aufladen müssen. Da gucke ich manchmal in echt aufgeregte Gesichter.“

Fast hundert Jahre lang hat die Steckdose eher wenig Beachtung gefunden – doch seitdem sich die Menschen vom Smartphone abhängig gemacht haben, suchen sie nach ihr in jeder Ecke, setzen sich für sie auf dreckigen Boden. Um zu kommunizieren, Musik zu hören, sich in der Welt überhaupt noch zurechtzufinden, sind viele darauf angewiesen, dass der Akku stets aufgeladen ist. Auf die Sucht nach dem Smartphone folgte die Sucht nach Strom.

Zu jeder Zeit. An jedem Ort.

Wie wichtig die Steckdose für viele Menschen geworden ist, zeigen auch diese Vorfälle aus den vergangenen drei Jahren: In einem Zug in London musste ein Mann in Gewahrsam genommen werden, weil er sein iPhone in eine nichtöffentliche Steckdose in einem Waggon gesteckt hatte und nicht einsah, das zu unterlassen. Der Mann wurde wegen Elektrizitätsdiebstahls abgeführt und angezeigt. In New York stürmte ein Mann eine Broadway-Bühne, um in die Requisite zu gelangen und dort sein Handy einzustöpseln. In Berlin und in Hamburg rauften sich Geflüchtete in einer Gemeinschaftsunterkunft wegen einer Steckdose, was beide Male in einer Massenschlägerei endete.

Mit Angst lässt sich gut Geld verdienen

Die Steckdose ist mächtig geworden. Das haben auch etliche Unternehmen erkannt – und deswegen haben sie sich in den vergangenen Jahren einiges einfallen lassen, um ebenfalls zu versprechen: Mit mir bleibt dein iPhone an! Im vergangenen Jahr wurden hierzulande 23,6 Millionen Smartphones verkauft – und 3,4 Millionen Powerbanks. Für den mobilen Reserveakku mit USB-Kabel, der aufatmen lässt, falls nirgends eine Steckdose in Sicht ist, haben die Deutschen nach Angaben des Marktforschungsinstituts GfK 54 Millionen Euro ausgegeben. Je nach Kapazität der Powerbank und Größe des Handy-Akkus reicht der mobile Notstrom für einen oder mehrere Ladevorgänge. Die zahlreichen Hersteller bieten Powerbanks in Größen von 3000 bis zu 30 000 Milliamperestunden an.

Es gibt inzwischen Portemonnaies mit integrierter Powerbank und smarte Koffer, mit denen das Smartphone aufgeladen werden kann. Gürtelschnallen mit USB-Anschluss, Jeans mit einem Akku am Hosenbund und Jacken, die über Solarzellen verfügen, mit denen sie erst sich selbst und dann das Handy beleben. Doch noch kann sich das schlichte Ladekabel behaupten. Bei Amazon zählt es zu den Topsellern. Weil jedes Handy allerdings ein anderes Kabel braucht, bemüht sich die EU schon seit Jahren um ein einheitliches Modell für alle.

Für die Furcht, ohne Smartphone zu sein, gibt es seit 2012 einen medizinischen Begriff: „Nomophobie“. Die meisten Betroffenen sind 18 bis 25 Jahre alt. Ihre typischen Verhaltensweisen: Nervosität, Stress, Schweißausbrüche, Panik. Die Angst, nicht erreichbar, sozial abgeschottet zu sein, ist groß. Und mit dem Gefühl der Angst lässt sich gut Geld verdienen.

Ein Wasser und einen Aufladepunkt, bitte!

Sener Abanozoglu kennt diesen Anflug von Nervosität. Er reiste vor ein paar Jahren nach Hongkong und merkte plötzlich, dass er kein Ladekabel dabeihatte. „Ich kam wohl mit fünf verschiedenen Steckern und mehreren Kabeln im Gepäck zurück“, erzählt er. Für seine zwei Handys, ein Tablet und seinen Laptop. Weil ihn das störte, dachte er über eine praktischere Lösung nach und entwickelte ein kleines Ladepad für den Tisch. Seine FluxPorts können zu Hause genutzt werden. Es gibt sie aber auch bei Starbucks, Coffee Fellows, in mehreren Lufthansa-Lounges und beim Berliner Friseur Cocoon. Über eine App können Nutzer die nächstgelegene Location finden und direkt hingehen.

„Der Bedarf, flexibel jederzeit elektronische Geräte nachladen zu können, ist größer den je und steigt weiter“, sagt der Berliner Gründer, der 2017 mit seiner Geschäftsidee bei der TV-Show „Höhle des Löwen“ teilnahm. „Wir sind mittlerweile nahezu hilflos, wenn das Smartphone einfach ausgeht – kein Telefon mehr, kein Whatsapp, keine Mails, keine Navigation, kein Internet.“

Immer mehr Restaurants und Cafés sehen das ähnlich, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband bestätigt. Manche schließen das Smartphone des Kunden in einer Ladestation ein, andere geben dem Kunden Aufladepunkte oder Handy-Aufladehüllen mit an den Sitzplatz. Kunden des Anbieters Aircharge, mit zigtausend Stationen in Restaurants, Cafés, Geschäften, Hotels, Flughäfen und Bahnhöfen auf der ganzen Welt, sind McDonald’s, Costa Coffee – und Vapiano. „Aufgrund des positiven Feedbacks und der hohen Nachfrage der Gäste haben wir den Service auf Restaurants in Österreich, Spanien und Dänemark ausgeweitet“, sagt Claudius zur Linden, der bei der deutschen Restaurantkette Direktor der Geschäftsentwicklung ist.

Ikea verbaut Lademöglichkeiten schon in Möbeln

Auf das mobile Akku-Aufladen folgt gerade das komplett kabellose Aufladen. Das sogenannte „Qi Wireless Charging“ ermöglicht Energieübertragung durch Induktion. Das iPhone 8 etwa wird nur noch auf eine Ladestation gelegt – und tankt auf. Solche Stationen verbaut Ikea schon fest in Möbeln. Sie könnte also bald so normal werden wie das Billy-Bücherregal. In einer repräsentativen Umfrage hat das Marktforschungsinstitut Kantar Emnid die Deutschen vor einer Weile gefragt, was sie sich von einem neuen Smartphone am meisten erhoffen würden. Das kabellose Aufladen ist ihr zweitgrößter Wunsch. Ihr größter ist es – ganz egal wie – länger tippen und wischen zu können, bevor das Batteriezeichen bedrohlich rot blinkt.

An vielen Orten, wo Menschen verweilen, wird an ihr Bedürfnis nach Strom gedacht und daran, dass sie wahrscheinlich länger dort bleiben, wenn sie ihr Smartphone sicher wissen: In der Mall of Berlin gibt es eine Qi Ladestation, im Alexa eine Handyladestation. Auf der Cebit, die in dieser Woche in Hannover stattfand, stand wie so oft auf Messen eine „Akkumat“-Handy-Tankstelle. 84 Prozent der Nutzer würden in ein Geschäft oder ein Kaufhaus gehen, das sie sonst nicht besuchen würden, wenn es dort eine solche Ladestation gibt. Die Kunden bleiben in dem Fall länger dort, hat eine Umfrage des Unternehmens ergeben, und entscheiden sich während der Wartezeit sehr wahrscheinlich für einen Kauf.

Manche Hotels helfen ihren Gästen noch immer mit einem Sammelsurium von liegen gebliebenen Ladekabeln. Andere investieren ebenfalls in Ladeschränke, Ladesäulen – oder verleihen wie das Ritz Carlton am Potsdamer Platz Powerbanks. Vikinx ist ein Anbieter, der sich auf das Gastgewerbe spezialisiert hat. Die Stromkosten für eine Ladung sind verschwindend gering, verspricht das Unternehmen. Sie würden bei rund 0,0045 Euro liegen. Das bedeutet: Bei rund 1000 Ladungen entstehen Kosten von 4,50 Euro. Hoteliers berichten dennoch, dass der Stromverbrauch in den letzten Jahren durch das ständige Aufladen der Gäste gestiegen ist. So stark, dass sie die Kosten mittlerweile spüren.

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