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Wirtschaft: Wall Street Journal: Die Konjunktur gerät weltweit ins Stottern

Als die US-Notenbank im Oktober beschloss, an den höheren Zinsen festzuhalten, verließ sie sich vor allem auf ihre hauseigenen Gutachten. Diesen zufolge könnten die USA trotz nachlassender Konjunktur auf Impulse von außen bauen.

Als die US-Notenbank im Oktober beschloss, an den höheren Zinsen festzuhalten, verließ sie sich vor allem auf ihre hauseigenen Gutachten. Diesen zufolge könnten die USA trotz nachlassender Konjunktur auf Impulse von außen bauen. "Der wirtschaftliche Aufschwung im Ausland wird die Exporte noch für weitere Zeit erhöhen", hieß es in offiziellen Stellungnahmen. Nur einen Monat zuvor bescheinigte auch der Internationale Währungsfonds der Weltwirtschaft eine gute Verfassung und sagte für alle großen Wirtschaftsräume ein solides Wachstum voraus. Er berief sich vor allem auf die Stärke der US-Ökonomie und die Erholung in Asien und den Wachstumsmärkten.

Wie sich zeigte, können auch große Geister irren. Mit einer Plötzlichkeit, die Ökonomen und Unternehmenschefs überrascht hat, sind die führenden Wirtschaftsräume nun gemeinsam in einen Abschwung geraten. Ob in den USA, in Europa oder in Japan, überall kam es zu einem Rückgang des Wachstums im dritten Quartal. Am vergangenen Mittwoch erlebten die Börsen einen Ausverkauf, nachdem sich Enttäuschung über gesunkene Unternehmensgewinne und über die Entscheidung der US-Notenbank zu Gunsten hoher Zinsen breit gemacht hatte. Die meisten Ökonomen revidieren ihre Voraussagen für das Jahr 2001 nach unten, und was zunächst nur die traditionellen Märkte zu berühren schien, gilt nun wohl auch für die Schwellenländer. Nicht nur Lateinamerika wird unter den sinkenden Exporten in die USA leiden. Auch die abnehmende Kreditwürdigkeit von Argentinien und der Türkei erinnert leicht an die asiatische Finanzkrise von 1997.

Nur wenige Ökonomen glauben jedoch, dass die Abkühlung ernste Folgen hat und in eine Rezession münden wird. Die jüngsten Prognosen der Weltbank sagen der Weltwirtschaft immer noch ein respektables Wachstum von 3,4 Prozent im Jahr 2001 voraus. Doch für viele Unternehmen dürfte das Problem nicht in der Tiefe der globalen Abschwächung bestehen, sondern in ihrer Breite, was auf die zunehmende globale Verflechtung zurückzuführen ist. Im Zentrum dieses makroökonomischen Dorfes stehen die USA, deren Bruttoinlandsprodukt nunmehr 30 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht. Die US-Gesellschaften nehmen nahezu die Hälfte aller weltweit erzielten Unternehmensgewinne ein. Andererseits sind die amerikanischen Unternehmen noch nie zuvor so abhängig von ihrem Auslandsgeschäft gewesen: Ein im Dow Jones vertretenes Unternehmen verdiene durchschnittlich 40 Prozent seines Ertrags im Geschäft außerhalb der US-Grenzen, so Ed Keon, Forschungsleiter bei Prudential Securities New York. In seiner jüngsten Gewinnwarnung machte Microsoft - wie bereits etliche Unternehmen zuvor - dann auch die nachgebende Weltwirtschaft für die gesunkenen Einnahmen verantwortlich. "Wir haben die Verlangsamung des globalen Wachstums in diesem Maß nicht vorhergesehen", erklärte Microsofts Finanzchef John Connors. Ohne Zweifel sorgen die größeren globalen Abhängigkeiten dafür, dass auch bescheidene Tempowechsel viel bewirken. Dies meinte auch der frühere US-Finanzminister Lawrence Summers, als er die Regierungen der Industrieländer aufforderte, ihre Etats in Ordnung zu bringen, bevor eine Abkühlung der US-Wirtschaft eintrete. "Die Weltwirtschaft fliegt nicht mit einem einzigen Motor", sagte er 1999.

Die Ursache für die derzeitige Abschwächung waren die Inflationsängste, die durch das rapide Wachstum bis zur ersten Hälfte des Jahres 2000 heraufbeschworen wurden. Als erste handelte die US-Notenbank und setzte die Leitzinsen in sechs Schritten um insgesamt 1,75 Prozentpunkte herauf. In Sorge um den Euro erhöhte auch die europäische Zentralbank die Zinsen um 2,25 Prozent. Mittlerweile werden die Folgen der Zinserhöhungen deutlich: Das jährliche Wachstum in den USA fiel von 5,7 Prozent im zweiten auf 2,4 Prozent im dritten Quartal. Im gleichen Zeitraum verminderten sich die europäischen Wachstumszahlen von 3,2 Prozent auf 2,8 Prozent. Sind die großen Zentralbanken zu weit gegangen? Der Wirtschaftswissenschaftler Stephen Roach von Morgan Stanley Dean Witter merkt an, dass die US-Notenbank mit ihren jüngsten Bemerkungen über eine Entlastung letztlich eingesteht, dass nicht alle Zinserhöhungen der Vergangenheit notwendig waren.

Noch der vergangene August verlief auch für Eastman Kodak glänzend. Der Filmhersteller wusste um die Abkühlung in den USA, erwartete jedoch im Ausland keine Schwierigkeiten. Bereits im Oktober musste Kodak dann eine Gewinnwarnung herausgeben. Preisdruck im Ausland und langsamer wachsende Märkte verursachten die Probleme. "Es war erstaunlich, wie schnell alles passiert", sagt Kodaks Finanzvorstand Robert Brust. "Worauf das Unternehmen vergeblich baute, waren Wachstumsmärkte mit zweistelligen Steigerungen, die den Verlust in den traditionellen Märkten kompensieren sollten", meint der Analyst Ben Reitzes von UBS Warburg. Doch der schärfste Gegenwind schien aus Europa zu wehen, wo hohe Ölpreise, eine schwächelnde Währung und steigende Zinsen die Konjunktur dämpften. Noch im Juli brachte der Präsident der europäischen Zentralbank Wim Duisenberg zum Ausdruck, dass eine Abkühlung der US-Wirtschaft für Europa leicht zu verkraften sei. Heute zeigt sich ein Rückgang des Wachstumstempos für die elf Länder der Eurozone von 3,9 Prozent im vierten Quartal 1999 auf 2,8 Prozent im dritten Quartal 2000. "Euroland ist keineswegs immun", meint Ellen van der Gulik. Auch die asiatischen Ökonomien zeigen Anzeichen einer Schwäche. Bis zum vergangen Frühjahr erreichten sie im Durchschnitt ein jährliches Wachstum von fünf bis zehn Prozent und gesundeten sichtlich von den Folgen der Asienkrise. Die Währungen blieben stabil, und die Regierungen schienen endlich gegen die verfehlte Verschuldungspolitik vorzugehen. Hingegen war die Erholung maßgeblich den Exporten in die USA zu verdanken, wo vor allem Computer und Mobiltelefone reißenden Absatz fanden. Nun, da diese Nachfrage zurückgeht, schraubt ein asiatischer Hersteller nach dem anderen seine Gewinnerwartung zurück. Für Beunruhigung sorgen vor allem die Nachrichten aus Japan, wo eine Abkühlung der US-Wirtschaft dem Aktienmarkt zu schaffen macht. Schließlich ziehen immer mehr Investoren das Geld aus japanischen Werten ab.

Die Optimisten vertrauen noch immer auf einen deutlichen Fall der Ölpreise und auf Zinssenkungen in Europa und den USA. Doch der Übergang vom schnellen zu einem allenfalls moderaten Wachstum wird laut Roach "ruckartig und holprig". Der Ökonom hat seine Prognosen für das weltweite Wachstum zuletzt ständig zurückgenommen. "Es ist nicht sicher, dass eine Rezession eintreten wird", sagt er. "Aber knapp wird es allemal."

S. Liesman[C. Roads], R. Frank

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