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Produktion zurückverfolgen. Eine Frau sortiert Baumwolle im indischen Kolkata.

© Piyal Adhikary/EPA/dpa

Verantwortung für Menschenrechte: Warum das Lieferkettengesetz noch immer nicht ins Kabinett gekommen ist

Das Lieferkettengesetz soll Menschenrechte bei Zulieferern wahren. Doch die Fragen zu Kontrolle und Haftung sorgen weiter für Streit.

Bei jedem Versprechen ist irgendwann der Zeitpunkt der Glaubwürdigkeit überschritten. Noch ist das Lieferkettengesetz nicht ganz an diesem Punkt, aber weit entfernt ist er nicht mehr. Seit Monaten ringen die zuständigen Minister um Details des sogenannten Sorgfaltspflichtengesetzes. Seit Monaten fordern Hilfswerke und Verbände und nun auch Bischöfe endlich ein Gesetz, das den Namen verdient.

Ein Gesetz, das sicherstellt, dass deutsche Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht auch im Ausland nachkommen und Menschenrechte und letztlich auch Umweltstandards gewahrt werden. Und ebensolang läuft die Wirtschaft Sturm gegen dieses aus ihrer Sicht „unpraktikable“ Vorhaben – dessen Ziel sie allerdings nicht infrage stellt.

Zwei Umfragen als Teil des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte können die Befürworter eines Gesetzes als Argumentation vorweisen. Durchgeführt von der Unternehmenberatung EY im Auftrag des federführenden Auswärtigen Amtes brachte die erste das Ergebnis hervor, dass nicht einmal jedes fünfte Unternehmen die Vorgaben des Aktionsplans erfüllt; in der zweiten Befragung, deren Ergebnisse im Sommer öffentlich wurden, waren es nur 13 bis 17 Prozent.

Die Zielmarke waren mindestens 50 Prozent der Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 500 Beschäftigten. Damit ist der Fall eigentlich klar: Im Koalitionsvertrag steht schwarz auf weiß, dass ein Gesetz geschaffen werden muss, falls Freiwilligkeit nicht zum Ziel führt.

"An der Grenze zur Unseriösität"

Doch schon hier setzt die Kritik der Wirtschaft an. „Das Monitoring war in Inhalt und Form so angelegt, um die Legitimation für gesetzgeberische Eingriffe zu liefern“, ist man sich bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sicher. „Und das inmitten der Pandemie, als viele Unternehmer Existenzängste hatten.“ Das Verfahren habe „in dieser schwierigen Zeit an der Grenze zur Unseriösität“ gelegen.

Auch beim Bund der Deutschen Industrie (BDI) zweifelt man an der Aussagekraft der Umfragen. „Die Messmethoden des Monitorings haben zu verzerrenden Ergebnissen geführt“, sagt Joachim Lang, BDI-Hauptgeschäftsführer, dem Tagesspiegel. Denn um als „Erfüller“ der abgefragten 37 Kriterien zu gelten, musste ein Unternehmen jedes einzelne dieser Kriterien erfüllen. „Das ist ungefähr so, als ob man den Schulabschluss nur mit 1,0 bekommt oder eben gar nicht.“

Müller und Heil preschen vor

Doch diese Kritik ficht Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht an. Sie kündigten daher bereits Anfang des Jahres erste Eckpunkte eines möglichen Gesetzes an. Doch ihr lautstarkes Engagement wurde mehrfach ausgebremst: Im Frühjahr, noch bevor die Ergebnisse der zweiten Umfrage veröffentlicht waren, pfiff das Bundeskanzleramt die Minister zurück. Seither blockt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der am Gesetz auf Wunsch des Kanzleramts mitwirken soll.

Bundesentwicklungsminister Gerd Mueller (l.) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei der Vorstellung ihrer Eckpunkte zum Lieferkettengesetz. Seither ist wenig passiert.
Bundesentwicklungsminister Gerd Mueller (l.) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei der Vorstellung ihrer Eckpunkte zum Lieferkettengesetz. Seither ist wenig passiert.

© imago images/ThomasxKoehler/photothek

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumte in ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz ein, dass es „sicherlich noch ein sehr kompliziertes Gesetzgebungsverfahren“ werde. Knackpunkte sind offenbar die Haftung sowie Größe und Sitz der Unternehmen – Aufgabenbereiche von Wirtschaftsminister Altmaier.

Dem Deutschen Institut für Menschenrechte gingen die Vorschläge indes nicht weit genug. So hatten die Minister skizziert, dass in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern künftig prüfen müssten, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirkten, sowie angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen sollten. Darüber sollten sie einmal im Jahr berichten.

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Mit Bußgeld haften sollte demnach ein Unternehmer bei einer Menschenrechtsverletzung, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war. Sollte es zu Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette kommen, obwohl das Unternehmen alles dagegen unternommen hatte, drohten den Unternehmen indes keine Konsequenzen. Die Vorschläge fanden keinen Konsens. Zuletzt hatte Entwicklungsminister Müller bei der Haftung und der Größe der Unternehmen Verhandlungsspielraum signalisiert. Wichtig sei es, dem Mittelstand die Angst vor einem Gesetz zu nehmen und es praktikabel zu gestalten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betont indes immer wieder die Haftungsfrage.

Auch Bischöfe fordern Gesetz

Die Hilfswerke sind enttäuscht über die Verzögerung. Altmaier müsse endlich seine Blockadehaltung aufgeben und die Interessen der Wirtschaft nicht vor die Bedeutung der Menschenrechte stellen, fordert das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor. Anfang vergangener Woche schalteten sich nun auch katholische Bischöfe aus 43 Staaten ein. In einem gemeinsamen Appell fordern sie strengere Gesetze, um Unternehmen und Konzerne zu Umweltschutz und zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten.

Das „profitgetriebene System und die damit verbundene Wegwerfmentalität“ müssten enden. „Das Lieferkettengesetz muss Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in den Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen wirksam vorbeugen und möglichen Betroffenen den Zugang zu deutschen Zivilgerichten erleichtern“, betonte Misereor-Bischof Stephan Burger. Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel warnte davor, das für Deutschland diskutierte Lieferkettengesetz zu verwässern.

Wirtschaft sieht rechtliche und praktische Probleme

Aus der Wirtschaft sind die Bedenken allerdings vielschichtig. Es beginnt mit der Frage nach der Umsetzung. „Eine Prüfung der gesamten Kette ist in der Praxis unmöglich, da einige große Unternehmen über 100.000 direkte Zulieferer haben können“, heißt es von der BDA. Zudem heißt es in Wirtschaftskreisen, rein rechtlich sei es aufgrund der Freizügigkeit kaum möglich, Geschäftspartnern aus EU-Ländern aufgrund eines nationalen Gesetzes Vorgaben zu machen.

Zudem sieht man sich hier in eine Rolle gedrängt, die eigentlich dem Staat zufalle. „Mit diesem Gesetz würde der Staat der Wirtschaft Rechts- und Haftungspflichten auferlegen, die er selbst nicht zu kontrollieren in der Lage wäre“, teilt die BDA mit. „Das ist nicht nur ungerecht und führt eher zu einem Zusammenbruch des globalen Handels, sondern verlagert Staatsversagen in private Haftung.“

Die Aussage, dass ein freiwilliger Ansatz gescheitert sei, will man in der Wirtschaft ebenfalls nicht gelten lassen. Schließlich habe es eine formelle Selbstverpflichtung zur Sorgfaltspflicht nie gegeben – wobei auch Wirtschaftsvertreter einräumen, dass man das durchaus als Versäumnis betrachten könnte. Das dürfte jedenfalls auch die Mehrheit der Bevölkerung sehen. Denn Umfragen zufolge steht eine deutliche Mehrheit hinter dem Lieferkettengesetz. „Will man die Menschenrechtssituation vor Ort verbessern, könnte eine Ombudsstelle in der Bundesregierung belastbare Fakten sammeln“, schlägt Lang vom BDI vor. „Die Wirtschaft ist bereit, den Staat mit ihrem vor Ort erworbenen Know-how zu unterstützen.“ (mit KNA)

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