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 Der Syrer Said Charef arbeitet in der ST Gebäudetechnik GmbH an der Verkabelung eines Elektroschrankes.

© dpa

Was bringt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?: Ein Großteil potenzieller ZuwanderInnen wird ausgesiebt

Vom eigentlichen Ziel, mehr Fachkräfte ins Land zu holen, ist die Bundesregierung auch mit dem neuen Gesetz weit entfernt. Ein Gastbeitrag.

Marius Clemens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Am 1. März 2020 ist in Deutschland ein Gesetz in Kraft getreten, das die Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten neu regelt: das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Damit wird die Möglichkeit, aus Erwerbsgründen einzuwandern, auf alle Berufe ausgeweitet.

Bisher war dies nur in Engpassberufen möglich, sofern die Äquivalenz zum deutschen Abschluss nachgewiesen werden konnte. Eine Einschränkung, durch die schon ein Großteil der potenziellen ZuwanderInnen aufgrund des sehr speziellen deutschen Bildungs- und Ausbildungssystem ausgesiebt wurde.

Kann das neue Gesetz diese und andere Hürden nun umschiffen?

Künftig entfällt die Vorrangprüfung. Damit werden deutsche und EU-BürgerInnen bei gleicher Qualifikation gegenüber BürgerInnen aus Drittstaaten nicht mehr bevorzugt.

Allerdings gilt dies nur unter Vorbehalt. Dies allein dürfte potenzielle ZuwanderInnen abschrecken, denn es bleibt unklar, anhand welcher Kriterien die Regelung wieder gekippt werden kann. Reicht dafür schon ein wirtschaftlicher Abschwung mit steigender konjunktureller Arbeitslosigkeit aus?

Andere Länder lösen das Problem besser

Viel gravierender ist aber die zweite Hürde, der Nachweis der Qualifikationsäquivalenz, die weiterhin bestehen bleibt. Durch das spezielle Ausbildungssystem Deutschlands für Ausbildungsberufe ist eine eindeutige Nachweisregelung nur schwer möglich. Eine Lockerung der Qualitätsanforderung würde mit einer deutlich höheren Zuwanderung einhergehen. Auf der anderen Seite sind Standards und Normen im Anerkennungsverfahren wichtig, um die Qualitätssicherung zu gewährleisten.

Eine klar definierte Punkteliste, wie sie in Kanada zum Einsatz kommt, könnte zumindest die Unsicherheit reduzieren. Darüber hinaus könnte ein Mix aus starren Regeln und weicheren an den Arbeitsmarktengpass geknüpften Kriterien das System flexibler machen. Den Zielkonflikt durch Beratung und Informationsbereitstellung zu lösen sowie die Zuwanderung transparenter und flexibler zu machen, das wird in Zukunft die Herkulesaufgabe der neu gegründeten Zentralen Servicestelle Berufsanerkennung (ZSBA).

Marius Clemens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Marius Clemens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

© promo

Nicht zuletzt wegen der weiterhin bestehenden Hürden erwartet die Bundesregierung künftig 25000 zusätzliche ZuwanderInnen aus Drittstaaten pro Jahr. Dies wäre zwar fast eine Verdoppelung der bisherigen Zuwanderung, ist aber immer noch viel zu wenig, um den aktuellen Fachkräftebedarf langfristig zu decken. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass netto rund 250000 zusätzliche Erwerbspersonen einwandern müssten, damit das Arbeitskräftepotential zumindest konstant gehalten werden kann. Trotz kompensierender Produktivitätsfortschritte – durch die Digitalisierung oder KI-Technologie – warnen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände und Handelskammern schon länger davor, dieses Problem fehlender Fachkräfte zu unterschätzen. Dabei geht es nicht nur um SpezialistInnen, die schon länger fehlen, sondern auch verstärkt um Fachkräfte in den Dienstleistungen und Verwaltungen, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. So können wirtschaftspolitische Maßnahmen, wie der Ausbau und laufende Betrieb von Ganztageskitas und -schulen, die Durchsetzung des Pflegekräftestärkungsgesetzes und die von allen Seiten geforderten öffentlichen Investitionen in den Klimaschutz wegen fehlenden Personals nur zögerlich umgesetzt werden.

Deutschland muss als Ausbildungsort attraktiver werden

Zuwanderung zu fördern und gleichzeitig die Problematik der Anrechnung von Qualifikationen zu lösen, ist eine große Herausforderung.

Eine Möglichkeit besteht darin, die Bildungszuwanderung stärker zu fördern und Deutschland als Ausbildungsstandort attraktiver zu machen. Aktuelle Programme wie das Triple-Win-Projekt, die bereits für spezielle Berufe Ausbildungskooperationen mit den Auswanderungsländern anstreben, können hier sehr vielversprechend sein.

Wie das jüngste Beispiel in Serbien zeigt, erfordert dieser Austausch politisches Fingerspitzengefühl. Andernfalls könnte schnell der Eindruck entstehen Deutschland will sich auf Kosten anderer Länder billige Arbeitskräfte ins Land holen.

Es braucht mehr Mobilität innerhalb der EU

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist in Zukunft gemeinsam mit den europäischen Partnern die Arbeitsmobilität von ZuwanderInnen aus Drittstaaten innerhalb der EU zu erhöhen.

Selbst hochqualifizierte Blue-Card-BesitzerInnen können nicht vollkommen flexibel einen Job in einem anderen als dem Einwanderungsland annehmen, um beispielsweise auf Arbeitsplatzverlust entsprechend reagieren zu können. Sie müssen zum einen mindestens 18 Monate dauerhaft in einem EU-Land gearbeitet haben und zum anderen erneut einen Blue-Card-Antrag im neuen Zielland stellen. Dies mündet in erhöhte Warte- und Bürokratiekosten.

Die Arbeitsmobilität aller anderen Fachkräfte aus Drittstaaten ist innerhalb der Europäischen Union noch eingeschränkter: Sie sind immobil nach innen und mobil nach außen. Ihr Aufenthaltsrecht beruht oft auf bilateralen Assoziierungsabkommen, beispielsweise im Rahmen des Westbalkanabkommens oder nationaler Sonderregelungen. Derartige Sonderregelungen werden nun auch in Deutschland mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingeführt werden. Dies ermöglicht ihnen jedoch nicht automatisch, eine Arbeit in einem anderen Land aufzunehmen.

Ein Schritt in die richtige Richtung – aber mehr auch nicht

Auch wenn das Einwanderungsgesetz der erste Schritt in die richtige Richtung ist, wird es wohl in der aktuellen Form nur einen kleinen Beitrag zur Lösung des Fachkräfteproblems leisten können.

Die konkrete Ausgestaltung sowie flankierender Einsatz weiterer Maßnahmen sind notwendig, um die Attraktivität, in Deutschland zu arbeiten, für alle Fachkräfte zu erhöhen.

Marius Clemens

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