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Wirtschaft: "Wer bleibt, der darf nicht bestraft werden"

BDI-Vizepräsident Tyll Necker: Am Ende werden wieder die Unternehmer zur Kasse gebeten / Unklarheiten im SPD-Wahlprogramm TAGESSPIEGEL: Herr Necker, Sie haben dem Kanzler empfohlen, möglichst noch vor dem Jahr 2000 ein Datum für die Amtsübergabe an Wolfgang Schäuble festzulegen.Die Menschen, sagen Sie, brauchen neue Perspektiven.

BDI-Vizepräsident Tyll Necker: Am Ende werden wieder die Unternehmer zur Kasse gebeten / Unklarheiten im SPD-Wahlprogramm TAGESSPIEGEL: Herr Necker, Sie haben dem Kanzler empfohlen, möglichst noch vor dem Jahr 2000 ein Datum für die Amtsübergabe an Wolfgang Schäuble festzulegen.Die Menschen, sagen Sie, brauchen neue Perspektiven.Ist die Ökosteuer die richtige Perspektive? NECKER: Das ist unzulässig verkürzt.Natürlich stehen Personen auch für Aufgaben.Und Wolfgang Schäuble steht stärker für innenpolitische Reformen als Helmut Kohl.Aber es geht mir nicht um eine grundsätzliche Änderung der Programmatik, sondern um eine Konzentration der Kräfte auf die notwendigen Aufgaben.Aber zur Ökosteuer: Die Energiesteuer ist keine neue Erfindung.Wir zahlen jährlich über 80 Mrd.DM an Energiesteuern in diesem Lande.Dabei steht hinter den aktuellen Überlegungen der Gedanke, durch höhere Preise eine größere Sparsamkeit im Umgang mit Umweltressourcen zu erzielen und uns gleichzeitig etwas von den hohen Arbeitskosten zu entlasten.Das wäre sinnvoll, wenn Wettbewerbsverzerrungen und Übertreibungen - wie bei den Grünen - vermieden würden. TAGESSPIEGEL: Die hohen Arbeitskosten sind in der Tat ein Ärgernis.16 Jahre war Zeit, daran etwas zu ändern.Was ist hier falsch gelaufen? NECKER: Natürlich mußten mit der Wiedervereinigung beträchtliche soziale Lasten geschultert werden.Aber nehmen wir die Pflegeversicherung.Die hat die Arbeitskosten erneut in die Höhe getrieben. TAGESSPIEGEL: Tatsache ist, daß sich die Lohnnebenkosten in der Ära Kohl erhöht haben.Was muß jetzt passieren? NECKER: Wir brauchen vor allem Arbeitsplätze.Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. TAGESSPIEGEL: Der BDI hat gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der Regierungskoalition Unterstützung signalisiert, gleichzeitig aber der SPD Gespräche über ihr Wirtschaftsprogramm angeboten.Warum dieser Spagat? NECKER: Jeder BDI-Präsident muß mit allen demokratischen Parteien sprechen.Das gehört zum Pflichtprogramm.So lassen sich Fehlentwicklungen vermeiden.Daraus ein Entgegenkommen gegenüber einer Partei herzuleiten, ist nicht sachgerecht. TAGESSPIEGEL: Im Umkehrschluß überrascht dann die Ablehnung bestimmter Parteien durch die BDI-Spitze.Was halten Sie vom Nein zu Rot-Grün? NECKER: Rot-Grün steht für fundamentale Irrtümer.Das muß die Industrie schon in dieser Deutlichkeit bewußtmachen. TAGESSPIEGEL: Welche Irrtümer meinen Sie? NECKER: Im Wahlprogramm der SPD werden einerseits beträchtliche Steuererleichterungen von über 40 Mrd.DM angekündigt.Andererseits hat sie immer wieder darauf hingewiesen, daß sie keine Nettoentlastung vornehmen will und folglich die Steuerbelastungen nur umgeschichtet werden.Wer aber Arbeitnehmer bei gleichem Steueraufkommen unter dem Strich beträchtlich entlasten will, der muß woanders abkassieren.Das heißt, die Unternehmen werden wieder zur Kasse gebeten. TAGESSPIEGEL: Die SPD will in Anlehnung einer in den 80er Jahren auch vom BDI befürworteten Betriebssteuer einen einheitlichen Steuersatz für alle Unternehmen von 35 Prozent durchsetzen. NECKER: Davon hat Schröder in Leipzig gesprochen.Im Wahlprogramm der SPD findet sich davon nichts. TAGESSPIEGEL: Es läuft alles auf eine höhere Mehrwertsteuer hinaus.Die SPD plädiert für eine Steuerharmonisierung im Rahmen der EU.Damit ist klar, wohin die Reise geht. NECKER: Es wird am Ende wieder die Unternehmen treffen.Übrigens, so deutlich, wie es notwendig wäre, würden die Sozialdemokraten die Mehrwertsteuersätze schon mit Blick auf den Konsum nicht nach oben schrauben wollen. TAGESSPIEGEL: Soll das heißen, es kann mit den Sozialdemokraten keine unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik geben? NECKER: Nehmen Sie die Steuerpolitik.Hier hat doch Oskar Lafontaine zweifelsohne die Federführung.Grundsätzlich plant die SPD eine Reihe von Steuern und Abgaben: die Ausbildungsplatzabgabe, die Mindeststeuer, die Wiedereinführung der privaten Vermögenssteuer.Die Frage stellt sich doch, inwieweit Schröder, der für sich die neue Mitte reklamiert, sich gegenüber der Linken in der Partei und den Grünen behaupten kann. TAGESSPIEGEL: Sehen Sie Ansätze im SPD-Wirtschaftsprogramm, auf denen die Industrie aufbauen könnte? NECKER: Das SPD-Wahlprogramm liest sich in weiten Teilen ausgesprochen marktwirtschaftlich.Das Bekenntnis zur Leistung und Marktwirtschaft ist bemerkenswert.Aber man muß auch im Kleingedruckten lesen. TAGESSPIEGEL: Woran denken Sie dabei? NECKER: Es sollen einige Reformen rückgängig gemacht werden.Beispiel Rentenversicherung.Die vorgesehene Reduzierung des Rentenanstiegs wieder rückgängig zu machen, halte ich schlicht für irreführend. TAGESSPIEGEL: Gegenwärtig dreht sich alles um Arbeitsplätze.Was halten Sie von der Arbeitszeitverkürzung? NECKER: Wer glaubt, man könne mit pauschalen Arbeitszeitverkürzungen, etwa der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich, Arbeitsplätze schaffen, irrt.Das erhöht vielmehr die Arbeitskosten und führt zur Abwanderung ins Ausland oder in die Schattenwirtschaft.Nein, Arbeitsplätze werden in erster Linie durch Aufträge gesichert.Übrigens: Nur in den Ländern, wo viel gearbeitet wird, sind in den letzten Jahren nennenswert neue Arbeitsplätze entstanden. TAGESSPIEGEL: Kann eine pauschale Arbeitszeitverlängerung ein Lösungsansatz für die ganze Wirtschaft sein? NECKER: Daran besteht kein Zweifel.Das hilft bei der Senkung der Arbeitskosten.Und wo wir schon bei Lösungen sind: Vom Umlageverfahren in den Sozialversicherungssystemen muß man teilweise Abschied nehmen.Mit einem Kapitaldeckungsverfahren bei der Rente etwa wären niedrigere Beiträge für die gleiche Leistung möglich.Im übrigen halte ich allerdings auch nicht viel von einer steuerfinanzierten Grundrente.Als ob sich Nennenswertes ändern würde, wenn man nur in eine andere Kasse hineingreift.Gut, die Beiträge würden sinken, aber die Steuern würden steigen.Das kann nicht die Lösung sein. TAGESSPIEGEL: Wir sprechen so oft von der Notwendigkeit steuerlicher Entlastung.Andererseits zahlen immer weniger Unternehmen hierzulande Steuern.Immer öfter werden Gewinne exportiert.Ist das nicht verantwortungslos? NECKER: Ich darf daran erinnern, daß wir 1997 in Deutschland einen Pleitenrekord verzeichnen mußten und viele Gewinne, die in Deutschland ausgewiesen werden, in Wirklichkeit aus dem Ausland kommen.Das heißt, in vielen Fällen subventioniert das Auslandsgeschäft das Inlandsgeschäft.Daß es natürlich auch Einzelfälle von Steuerumgehungen gibt, kann keiner leugnen.Die entscheidende Frage aber bleibt, warum gehen die Leute denn ins Ausland? Steueroasen leben von Steuerwüsten. TAGESSPIEGEL: Von Richard von Weizsäcker stammt der Ausspruch, am Ende steht die Politik mit dem Volk allein.Haben Unternehmer im globalen Dorf noch nationale Verantwortung? NECKER: Sie haben Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern.Andererseits dürfen sie aber von der Politik auch erwarten, daß man nicht zum Auszug gezwungen wird.Wer bleibt, darf nicht bestraft werden. TAGESSPIEGEL: Was muß passieren, damit wir in Deutschland mehr Arbeitsplätze zu angemessenen Preisen bekommen? NECKER: Im Dienstleistungsbereich könnten wir zusätzlich vier Millionen Arbeitsplätze schaffen, wenn nicht soviele Dienstleistungen in die Schattenwirtschaft abwandern würden.Wenn ein Handwerker fünf Stunden arbeiten muß, um sich eine Stunde eines Kollegen leisten zu können, darf man sich darüber allerdings nicht wundern.Der Abstand zwischen Arbeitskosten und verfügbaren Nettoeinkommen muß sich endlich verringern. TAGESSPIEGEL: Ist das am Runden Tisch oder in einem Bündnis für Arbeit zu erledigen? NECKER: Am Runden Tisch lassen sich diese Aufgaben nicht erledigen.Aber man kann hier Probleme ansprechen.Daraus kann ein durchaus vernünftiges Verhalten entstehen. TAGESSPIEGEL: Kann, muß aber nicht.Auch das Bündnis für Arbeit Ost ist schließlich gescheitert.Welche Unterstützung braucht das Projekt Aufbau Ost in Zukunft noch? NECKER: Der Osten braucht sicher noch über viele Jahre Unterstützung, auch finanzieller Art.Dabei muß klar sein: die Normalisierung der ostdeutschen Baukonjunktur verdeckt die kräftige industrielle Belebung zur Zeit.Zu tragen haben wir allerdings nach wie vor an der völlig verfehlten Tarifpolitik der vergangenen Jahre.Die Folgen sehen wir auf dem Arbeitsmarkt.Wir müssen Sachsen-Anhalt als Warnzeichen begreifen.Gehen Perspektiven verloren, gerät eine Demokratie in Gefahr. TAGESSPIEGEL: Muß das nicht auch den regierenden Parteien angelastet werden? NECKER: Für Arbeitsplätze tragen die Tarifparteien und nicht die Regierenden die Hauptverantwortung.Die Tarifpartner aber haben einen irrsinnigen Fehler gemacht.Der Stufentarifplan Ost hat eine Unzahl von Arbeitsplätzen gekostet und falsche Signale gesetzt. TAGESSPIEGEL: Es war immerhin politisch gewollt. NECKER: Das halte ich für einen groben Irrtum.Die Leute gehen dorthin, wo Arbeit ist.Es wäre besser gewesen, eine Politik zu betreiben, die die Bindung an die Heimat stärkt und nicht die Einkommen so schnell nach oben treibt, so daß die Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben.Überdies hat man den Fehler begangen, weniger dem Aufbau von Arbeitsplätzen Aufmerksamkeit zu schenken, als der Förderung des Baus von Büros, Wohnungen und Einkaufszentren. TAGESSPIEGEL: Heißt das, sich vom politischen Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse zu verabschieden? NECKER: Mit Beschwörungen lassen sich die Kräfte des Marktes nicht aushebeln.Gutes Einkommen kann nicht verordnet, es muß erarbeitet werden.

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