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Weil Autobauer derzeit kaum neue Wagen loswerden, wird über eine Autoprämie diskutiert.

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Exklusiv

Wirtschaftshilfe in der Coronakrise: „Wir brauchen derzeit kein Konjunkturpaket“

Weder Autoprämie noch Familienbonus machen derzeit Sinn, meint IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller. Was die Regierung stattdessen tun sollte.

Von Carla Neuhaus

Oliver Holtemöller ist Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. Als Professor für Volkswirtschaftslehre und Leiter der Abteilung für Makroökonomie hat er eine klare Meinung zur Frage, wie man der Wirtschaft in der Coronakrise jetzt helfen sollte.

Herr Holtemöller, an diesem Dienstag will die Regierung die Pläne für ein Konjunkturprogramm vorlegen. Was muss das leisten?
Ein Konjunkturprogramm muss rechtzeitig kommen, zielgerichtet und befristet sein. Das ist in dieser Krise nicht anders als in denen zuvor. Allerdings setzt das voraus, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt ein Konjunkturprogramm brauchen.

In Politik und Wirtschaft stellt das kaum jemand in Frage. Sie schon?
Ja, aus meiner Sicht brauchen wir derzeit kein Konjunkturpaket. Jetzt die allgemeine Kaufkraft zu stärken, hat keine Priorität. Solange wir kein Gegenmittel oder keinen Impfstoff haben, müssen wir mit den Einschränkungen leben. Statt jetzt den Konsum zu stärken, sollten wir noch stärker als bisher den Menschen und Unternehmen helfen, die von der Coronakrise wirtschaftlich betroffen sind – und zwar zielgerichtet.

Was missfällt Ihnen an der Diskussion um ein Konjunkturpaket?
Meiner Ansicht nach werden zu viele Ziele miteinander vermischt. Da will man die Wirtschaft ankurbeln, den Strukturwandel gestalten, die Bildung und die Gerechtigkeit stärken. Das funktioniert alles auf einmal aber nicht. Der Sachverständigenrat zum Beispiel fordert, dass man jetzt mehr in Digitalisierung investiert. Das ist grundsätzlich sinnvoll – hat aber nichts mit Konjunktur zu tun. Denn konjunkturwirksam sind nur Maßnahmen, die schnell wirken.

Oliver Holtemöller ist stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle, zudem ist er Professor für Volkswirtschaftslehre.
Oliver Holtemöller ist stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle, zudem ist er Professor für Volkswirtschaftslehre.

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Was schlagen Sie als Alternative vor?
Zum ersten sollten wir auf gesundheitspolitischer Seite alles dafür tun, die Epidemie einzudämmen. Solange eine zweite Welle der Ansteckungen droht, werden auch Verbraucher sich zurückhalten, werden Gastronomie und Tourismus Probleme haben. Zum zweiten sollten wir mit Liquiditätshilfen diejenigen Unternehmen stützen, die vor der Krise gut dastanden. Und zum dritten sollten wir klären, wie wir die Kosten der Krise gerecht verteilen. Denn da gibt es gerade eine Schieflage. Während ich als Beamter keinerlei Kosten der Krise trage, ist die Lage etwa in der Gastronomie extrem düster. Dabei ist die gerechte Verteilung der Kosten für den sozialen Zusammenhalt im Land sehr wichtig.

Bleiben wir einmal beim Lastenausgleich: Wie könnte der funktionieren?
Zu einem Teil funktioniert das bereits automatisch über unser progressives Einkommenssteuersystem. Diejenigen, deren Einkommen in der Krise stabil bleibt, zahlen höhere Steuern als diejenigen, die Einkommenseinbußen haben. Überlegen muss man sich aber, wer jetzt von neuen Maßnahmen profitieren sollte: Und das sollten tendenziell diejenigen sein, die starke Einkommensverluste haben. Wenn ich mir aber zum Beispiel die diskutierte Autoprämie anschauen, erreichen wir das damit nicht.

Was haben Sie gegen die Autoprämie?
Ein neues Auto wird sich nur kaufen, wer auch in der Krise stabile Einkommensaussichten hat. Wer hingegen gerade seine Anstellung in der Gastronomie verloren hat, der hat ganz andere Probleme. Da kann die Förderung noch so hoch sein, ein Autokauf steht in dieser Situation nicht an. Das heißt, mit einer solchen Prämie stellen wir eine Bevölkerungsgruppe besser, der es schon jetzt nicht schlecht geht. Die Kosten der Krise können Sie auf diese Weise nicht umverteilen. Im Gegenteil. Mit einer Autoprämie verstärken wir die Ungleichheit in der Gesellschaft sogar noch.

Sollten die Deutschen einen Anreiz bekommen, neue Autos zu kaufen? Das wird diskutiert.
Sollten die Deutschen einen Anreiz bekommen, neue Autos zu kaufen? Das wird diskutiert.

© picture alliance/dpa

Helfen soll die Autoprämie aber auch den Autobauern, die unter dem wirtschaftlichen Einbruch leiden. Ist das nicht legitim?
Richtig ist, dass die Autoindustrie überdurchschnittliche Einbußen hatte. Allerdings war die Autoproduktion in Deutschland schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie rückläufig. Die jetzige Krise hat diesen Trend nur verstärkt. Dazu kommt: Inzwischen sind die Autohäuser wieder geöffnet. Es gibt also keinen Grund, warum die Menschen jetzt nicht wieder anfangen sollten, Autos zu kaufen. Es sollte nicht passieren, dass jetzt diejenigen Branchen die meisten Hilfen erhalten, die die beste Lobbyarbeit machen.

Wären Konsumgutscheine eine Alternative? Die würden schließlich alle erhalten.
Nein, warum sollte ich als Beamter einen Konsumgutschein bekommen? Die staatlichen Mittel sind begrenzt, damit müssen wir verantwortungsvoll umgehen. Wir haben für dieses Jahr jetzt schon einen Bundeshaushalt mit einer Nettokreditaufnahme von 156 Milliarden Euro. Und selbst diese Summe wird angesichts der absehbaren Maßnahmen nicht reichen.

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Für den Gesamtstaat könnte das Defizit 200 oder sogar 250 Milliarden Euro betragen. So richtig es ist, jetzt in der Krise nicht zu sparen, so können wir dennoch nicht pauschal alle Menschen besserstellen. Stattdessen sollten wir uns auf diejenigen konzentrieren, die Einkommenseinbußen haben. Das Geld sollte dort eingesetzt werden, wo es gebraucht wird.

Einen Familienbonus, wie ihn Finanzminister Olaf Scholz ins Spiel gebracht hat, lehnen Sie dann vermutlich auch ab. Er fordert 300 Euro pro Kind auszuzahlen.
Das ist ebenso unsinnig wie ein Konsumgutschein. Ich habe zwei Kinder, warum sollte ich vom Staat 600 Euro bekommen? Es gibt Familien, die brauchen nichts und es gibt Familien, die brauchen viel – indem ich allen ein bisschen gebe, ist am Ende keinem geholfen. Wenn Sie eine Hand in den Kühlschrank legen und eine auf den Herd, dann haben Sie zwar die richtige Durchschnittstemperatur, fühlen sich aber trotzdem nicht wohl.

Ist es auch unsinnig, die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags vorziehen, wie es die Union fordert?
Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass wir die Steuerlast für Arbeitseinkommen senken sollten. Aber jetzt die Krise als Grund zu nennen, um den Soli früher als geplant abzuschaffen, ist nicht zielführend. Damit entlasten Sie wie vor allem diejenigen mit hohen Einkommen. Dabei müssten die aus Verteilungsgesichtspunkten gerade jetzt eigentlich eine höhere Last tragen.

Inzwischen sind die Straßen wieder belebt - Händler und Gastronomen spüren dennoch die Nachwirkungen des Shutdowns.
Inzwischen sind die Straßen wieder belebt - Händler und Gastronomen spüren dennoch die Nachwirkungen des Shutdowns.

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Sie arbeiten mit Ihren Kollegen derzeit an Ihrer Sommerprognose für die Wirtschaftsentwicklung. Wie schlimm steht es um die deutsche Wirtschaft?
Wir müssen davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Quartal noch einmal deutlich ungünstiger ausfallen wird als im ersten Quartal. In den ersten drei Monaten ist die Wirtschaftsleistung um 2,2 Prozent eingebrochen und das obwohl wir davon nur in den letzten zwei Märzwochen im Shutdown waren. Wenn man das fortschreibt, dann müssen wir angesichts des anhaltenden Shutdowns im April und in Teilen vom Mai für das zweite Quartal mit einem weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung von sieben bis zehn Prozent rechnen. Aber das ist eine extrem unsicherere Prognose.

Warum ist es derzeit besonders schwer, die Wirtschaftsentwicklung abzusehen?
Als Konjunkturforscher leiten wir aus den Daten der Vergangenheit plausible Aussagen über die künftige Wirtschaftsentwicklung ab. Derzeit aber stecken wir in einer Situation, für die es in der Vergangenheit nicht so wahnsinnig viele Vorbilder gibt. Deshalb spricht einiges dafür, dass die Unsicherheit diesmal größer ist.

Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Unsere Prognosen sind immer unsicher, das liegt in ihrer Natur. Als Konjunkturforscher hängen wir der tatsächlichen Lage hinterher. Das ist anders als bei Wetterforschern, die in Echtzeit die Daten der Wetterstationen bekommen und genau wissen, wo es gerade regnet und wo nicht. Die Wirtschaftsleistung eines Landes hingegen können Sie nicht in Echtzeit messen. Statistische Daten bekommen wir erst Wochen später.

Trotzdem müssen Sie auch derzeit eine Prognose erstellen. Haben Sie nicht Angst, Sie könnten sich komplett irren?
Nein, als Ökonomen sind wir es gewohnt, mit der Unsicherheit umzugehen. Und selbst wenn unsere Prognosen derzeit besonders unsicher sein sollten, könnten wir nicht einfach auf sie verzichten. Schließlich brauchen wir sie zum Beispiel für die Steuerschätzung. Der Staat muss wissen, mit welchen Steuereinnahmen er ungefähr rechnen kann.

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