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Saftiges Grün. Die Grafschaft Kilkenny ist für ihre fruchtbaren Böden berühmt.

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Irland: Zurück auf die Weide

Nach der Finanzkrise setzt die Inselrepublik wieder stärker auf die Landwirtschaft und auf Bioprodukte. Für die Bauern rechnet sich das kaum.

Man könnte meinen, auf den grünen Wiesen Irlands wachse das Gras von alleine. Doch wer James Grace auf seinem Hof im Süden des Landes besucht, lernt schnell, dass das mit dem Graswachstum eine Wissenschaft für sich ist. Jeden Sonntag läuft Grace seine 43 Weiden ab und misst, wie hoch die Halme gerade stehen. Die Werte trägt er in eine Tabelle auf seinem Computer ein. Sie zeigt ihm an, wo er seine Rinder in den nächsten Tagen am besten weiden lässt und wie viel er mähen kann, um Gras für den Winter zu trocknen. Außerdem nimmt Grace Bodenproben, analysiert, wie viel Dünger er ausbringen muss und welchen Anteil an Phosphor und Kalium der haben sollte. „Ich versuche, so viel Gras wachsen zu lassen, wie nur möglich“, sagt Grace. Denn je mehr davon auf seinen Wiesen wächst, desto mehr Rinder kann er füttern. Und desto eher kann er von seiner Arbeit leben.

"Food Harvest 2020" heißt der Plan der Regierung

Dabei sind die Ausgangsbedingungen hier im Süden Irlands für die Rinderzucht besonders gut. Die Grafschaft Kilkenny, in der Graces Hof liegt, ist bekannt für ihren fruchtbaren Boden. Die meisten Höfe sind seit Generationen in Familienbesitz. Etwa 120 000 Kleinbetriebe gibt es im Land. Die vom konservativen Premier Enda Kenny angeführte Regierung will den Agrarsektor in den kommenden sechs Jahren deutlich stärken. „Food Harvest 2020“, also Ernte 2020, hat sie ihren Masterplan genannt. Die Ziele sind hoch gesteckt: Die Exporte landwirtschaftlicher Produkte sollen jährlich um ein Drittel zulegen, so dass ihr Wert bis Ende 2020 die Marke von 12 Milliarden Euro erreicht. Der Export von Milchprodukten soll sich verdoppeln, und die Ausfuhren an Rindfleisch sollen um gut ein Fünftel ansteigen.

Bis in die achtziger Jahre war das Land durch die Landwirtschaft geprägt

Damit kehrt die Inselrepublik zu ihren Wurzeln zurück. Denn bevor die Regierung in den 1980er Jahren einen Strukturwandel einleitete, war die irische Volkswirtschaft durch die Landwirtschaft geprägt. 80 Prozent des Landes ist Grasland, auf dem sich besonders gut Rinder, Kühe und Schafe halten lassen. „Die Landwirtschaft ist Irlands ältester Wirtschaftszweig“, sagt Aidan Cotter, Chef der irischen Lebensmittelbehörde Bord Bia. Doch das sei in den vergangenen Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geraten. Weil immer mehr internationale Konzerne ins Land kamen, verloren die Jobs in der Landwirtschaft an Bedeutung und Ansehen. Als dann auch noch die Banken im großen Stil nach Dublin zogen und einen Bauboom finanzierten, ging es dem Land so gut, dass der Begriff des „keltischen Tigers“ die Runde machte.

Fleischverarbeitung in einer irischen Fabrik.
Fleischverarbeitung in einer irischen Fabrik.

© Promo

Vor der Wirtschaftskrise lag die Arbeitslosenquote bei unter fünf Prozent

Bis kurz vor Ausbruch der Finanzkrise wuchs die Wirtschaft jährlich um sechs Prozent, die Arbeitslosenquote sank auf unter fünf Prozent. Umso tiefer war jedoch der Fall, als die Blase am Immobilienmarkt platzte und die Banken in Schwierigkeiten gerieten. Mit 85 Milliarden Euro mussten die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) das Land stützen. Von diesem Schock scheinen die Iren sich nun erholt zu haben. Den Rettungsschirm konnte das Land bereits verlassen. Erst kürzlich hat die Regierung zum zweiten Mal in Folge ihre Wachstumsprognose nach oben korrigiert. Finanzminister Michael Noonan geht nun davon aus, dass Irlands Wirtschaft in diesem Jahr um 4,5 Prozent wachsen wird. Für die Landwirte sind das gute Nachrichten. Auch für Familie Grubb. Denn wenn die Wirtschaft wächst, geben Verbraucher mehr Geld aus, zum Beispiel für Käse.

Familie Grubb produziert auf ihrem Hof Blauschimmelkäse

Auf ihrem Hof in der Grafschaft Tipperary produziert Familie Grubb Blauschimmelkäse. Cashel Blue heißt er – benannt nach dem nächstgelegenen Städtchen Cashel, 16 Kilometer entfernt.  Die Idee, Käse zu produzieren, entstand aus der Not heraus. Als Anfang der 1980er Jahre zu viel Milch auf dem Markt war, geriet der Hof, auf dem es fast ausschließlich Milchkühe gab, in Schwierigkeiten. Jane und Louis Grubb begannen deshalb, die Milch weiterzuverarbeiten. Auf Blauschimmelkäse kamen sie, weil der in Irland damals kaum verbreitet war. Mittlerweile hat Tochter Sarah Furno den Hof übernommen. „Es ist eine große Verantwortung“, sagt sie. 17 Angestellte hat der Betrieb, 230 Kühe müssen täglich versorgt werden. Umso glücklicher ist die 40-Jährige, dass der Hof gut durch die Wirtschaftskrise gekommen ist. Die Familie hat sich rechtzeitig breit aufgestellt. 60 Prozent ihres Käses exportiert sie – nach Großbritannien, Frankreich, Deutschland, in die USA und nach Australien.

Irland ist auf den Export angewiesen

Als kleines Land ist Irland auf den Export angewiesen. Die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie machen derzeit elf Prozent der Ausfuhren der Republik aus. Läuft es nach dem Plan der Regierung, dürfte der Anteil über die kommenden Jahre deutlich steigen. Profitieren sollen davon nicht nur die Bauern, sondern auch die verarbeitende Industrie. Zum Beispiel der Fleischbetrieb Dawn Meats. Bereits jetzt gehen 85 Prozent des Rind- und Lammfleisches, das in den Fabriken des Konzerns verarbeitet wird, in den Export. 550 000 Tiere schlachtet das Unternehmen jedes Jahr. Unter anderem stellt Dawn Meats Fleisch für Burger her. 450 Millionen Bratlinge, etwa für McDonalds, produziert der Konzern im Jahr. Kistenweise wird das Fleisch in der Fabrik in der Nähe der Kleinstadt Waterford angeliefert. Ein Mitarbeiter tastet jedes Stück mit den Händen ab, während sein Kollege eine Checkliste abhakt. Im Notfall, sagt er, könne er sofort herausfinden, von welchem Tier das Fleisch und von welchem Bauern das Tier stammt. In der Halle nebenan häckseln Maschinen das Fleisch in immer kleinere Stücke. Ein überdimensionaler Fleischwolf spuckt es wie Spaghetti aufs Förderband, bevor eine Maschine es zu flachen, runden Flatschen presst. Die transportiert das Förderband in einen deckenhohen, 32 Meter langen Gefrierer. In Plastik verschweißt und in Kartons verpackt, kommt das Burgerfleisch ins Kühlhaus, von wo es nach zwei Wochen per Lkw abtransportiert wird.

James Grace züchtet Rinder.
James Grace züchtet Rinder.

© Carla Neuhaus

Viele Konzerne haben sich zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet

Auf Wunsch der Regierung haben sich Konzerne wie Dawn Meats zuletzt zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet. „Es reicht nicht mehr, nur zu sagen, dass man grün ist“, sagt Aidan Cotter von der Lebensmittelbehörde, „wir müssen das auch belegen.“ Seit zwei Jahren können sich Unternehmen und Landwirte deshalb für das staatliche Ökolabel „Origin Green“ bewerben. In einer Langfristplanung müssen sie darstellen, was sie in den kommenden Jahren für die Umwelt tun wollen. Später werden sie an den eigenen  Zielen gemessen. Bei Dawn Meats werden seitdem zum Beispiel die Lampen auf dem Mitarbeiter-Parkplatz mit Solarpaneelen betrieben. Das Abwasser aus der Fabrik wird in einer eigens angelegten Pflanzenkläranlage wieder aufbereitet. Dieses Öko-Image soll es den Unternehmen erleichtern, ihre Produkte zu exportieren.

Vom Öko-Image profitieren längst nicht alle

Allerdings profitieren nicht alle davon. Bauer James Grace sagt, auch wenn er nachhaltig arbeite, bekomme er keine höheren Preise für das Vieh. Wenn er zum Beispiel die Menge des Düngers minimiert, dann tue er das nicht, weil das ökologisch sinnvoll sei – sondern weil er so etwas Geld spare. Bauer geworden ist Grace, weil das in seiner Familie Tradition hat. Vor ihm hat sein Bruder den Hof geführt, davor sein Vater. Doch die Arbeit ist hart. 14 bis 15 Stunden ist Grace jeden Tag auf den Feldern unterwegs. „Jedes Tier muss ich mindestens einmal am Tag sehen“, sagt er. Wird eines krank und steckt es die anderen an, könnte das seinen Ruin bedeuten. „Von dem Hof kann ich so gerade leben“, sagt Grace. Wenn eine Maschine ausfiele, hätte er Schwierigkeiten sie zu ersetzen. Da kann er es verstehen, dass seine drei Kinder, die alle studiert haben, den Betrieb nicht übernehmen wollen. „Das ist wie mit einem alten Computer“, sagt Grace. „Damit können die Kids heute auch nichts mehr anfangen.“

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