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380 Kilometer pro Nacht: Die heimlichen Wanderungen der Fledermäuse
Über Vogelwanderungen weiß man viel, über die Züge von Fledermäusen kaum etwas. Nun haben Forschende die bei uns heimischen Großen Abendsegler mit Sendern ausgestattet – und Verblüffendes entdeckt.
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Nicht nur Zugvögel wandern, auch Fledermäuse legen große Distanzen zurück. Allerdings war darüber bislang nur wenig bekannt. Das liegt zum einen daran, dass solche Migrationen vermutlich überhaupt nur bei einer Handvoll Arten in Amerika, Asien und Europa vorkommen, zum anderen erfolgen die Wanderungen der kleinen Säugetiere nachts, sind leise und lassen sich somit nur schwer beobachten.
Nun hat ein Forschungsteam um Edward Hurme vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz Dutzende Große Abendsegler (Nyctalus noctula) mit ultraleichten Mini-Sendern versehen, die nicht nur stetig die Standorte der in Europa weit verbreiteten Tiere übermitteln, sondern auch Daten zu ihrer Aktivität und zu ihrer Umgebung. Besendert wurden Weibchen, bevor sie von der Schweiz aus im Frühjahr nach Nordosten in ihre Sommerquartiere aufbrachen, wo sie im Sommer ihren Nachwuchs zur Welt bringen.
Die Ergebnisse, im Fachjournal „Science“ veröffentlicht, sind gleich in mehrfacher Hinsicht überraschend: Die über Wochen gesammelten Daten von 125 Individuen zeigen, dass ihre bis zu 1.500 Kilometer langen Wanderungen viel variabler sind als gedacht: „Wir hatten angenommen, dass die Fledermäuse einem einheitlichen Pfad folgen, aber jetzt sehen wir, dass sie sich überall in der Landschaft in einer allgemeinen nordöstlichen Richtung bewegen“, sagt Ko-Autorin Dina Dechmann, ebenfalls vom Konstanzer Max-Planck-Institut. Einen „Migrationskorridor“ gebe es also nicht.
Anders als Zugvögel bereiten sich Fledermäuse nicht auf die Wanderung vor, indem sie über längere Zeit Fett ansetzen.
Dina Dechmann, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Konstanz
Generell können die kleinen Säuger schneller ziehen als bisher gedacht: Der in der Studie registrierte Rekord für eine Nacht lag bei 383 Kilometern, fast 200 Kilometer weiter als vorher angenommen. Im Mittel bewegten sie sich mit einem Tempo von knapp 46 Kilometern pro Stunde fort, der Spitzenwert lag bei fast 156 Kilometern pro Stunde.

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Allerdings legen die Tiere im Gegensatz zu Vögeln häufig Zwischenstopps zur Nahrungsaufnahme ein. „Anders als Zugvögel bereiten sich Fledermäuse nicht auf die Wanderung vor, indem sie über längere Zeit Fett ansetzen“, erläutert Dechmann. „Sie müssen jede Nacht auftanken, sodass ihre Wanderung nicht geradlinig, sondern hüpfend verläuft.“
Überraschendes Fledermausfeuerwerk
Am auffälligsten war jedoch ein anderes Phänomen: „In bestimmten Nächten sahen wir eine Explosion von Abflügen, die auf dem Bildschirm wie ein Fledermausfeuerwerk aussahen“, sagte Erstautor Hurme. „Wir mussten herausfinden, worauf all diese Fledermäuse in diesen bestimmten Nächten reagierten.“

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Die Antwort: Die Tiere reagierten auf nahende Stürme. Wenn der Luftdruck sank und die Temperatur stieg, zogen die Fledermäuse gehäuft los. „Sie ritten auf den Sturmfronten und nutzten die Unterstützung durch warme Rückenwinde“, sagte Hurme. Die Aktivitätssensoren der Sender bestätigten, dass die Fledermäuse in diesen Nächten weniger Energie beim Fliegen verbrauchten als sonst.
Grundsätzlich sollten die Weibchen mit ihrer Entscheidung zum Aufbruch nicht zu lange warten: Denn im Frühjahr sind die Tiere längst trächtig. Je länger sie warten, desto schwerer werden sie – und desto energieintensiver wird ihre Reise.
Die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse ließen sich zum Schutz der wandernden Tiere etwa vor Windkraftanlagen nutzen, schreibt die Gruppe. „Wir können die Fledermäuse schützen, indem wir Windparks warnen, die dann ihre Turbinen in Nächten abschalten, in denen vermehrt Fledermäuse durchziehen.“ (dpa)
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