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ORTWIN RENN  ist Techniksoziologe an der Uni Stuttgart und Sprecher der Helmholtz-Allianz „Energy-Trans“. Dort werden vor allem gesellschaftliche Fragen im Zusammenhang mit neuen Infrastrukturen der Energieversorgung erforscht.

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Interview: „Anwohner sollten beim Trassenverlauf mitentscheiden“

Ortwin Renn über Diskussionen um die neuen Stromautobahnen.

Die Deutschen haben eine neue Lust am Protestieren entdeckt, siehe Stuttgart 21. Wie soll da der Neubau von 3800 Kilometern Stromleitung in zehn Jahren gelingen?

Wir brauchen erstens einen nationalen Konsens zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, dass dieser Ausbau notwendig ist. Dazu gehört, dass beispielsweise die Umweltverbände vor Ort sagen: Wir kritisieren die Eingriffe in die Natur, aber dieses Mal sind wir nicht dagegen, die Trasse muss sein. Das hilft, die Schärfe des Konflikts zu reduzieren und die Leute zumindest zum Nachdenken zu bringen.

Was noch?

Man muss den Anwohnern die Möglichkeit geben, sich damit zu identifizieren. Das heißt nicht, ihnen viel Geld in die Hand zu drücken, aber sie könnten etwa über Betreibermodelle an den Gewinnen der Trasse vor ihrem Haus beteiligt werden. Drittens hilft es, wenn lokale Akteure in Entscheidungen eingebunden werden, sofern das technisch möglich ist. Etwa indem man sagt: Ihr seid sechs Gemeinden, wir müssen die Leitung hier durchziehen, da gibt es zwei oder drei Möglichkeiten – und aus denen sollt Ihr eine auswählen.

Dann könnte das Verfahren aber noch einmal extra lange dauern.

Genau, aber es geht auch anders, wie ich bei der Diskussion um Standorte für Abfallanlagen in Michigan gesehen habe. Den Gruppen vor Ort wurde gesagt: Ihr habt fünf Jahre Zeit. Wenn ihr euch dann nicht auf einen Standort festgelegt habt, dann machen wir das – ohne Euch. So eine Vorgabe wäre hier sicher auch hilfreich, damit diese Verfahren nicht zur Endlosschleife werden.

Würden Sie eine Höchstspannungsleitung vor Ihrem Haus akzeptieren?

Na, froh wäre ich nicht unbedingt. Rein optisch sind die Leitungen und Masten nicht gerade schön. Früher hätte ich gesagt, ich will eine Erdverkabelung. Aber dagegen spricht nicht nur, dass das teurer wird. Fachleute sagen, dass die Option ökologisch problematischer ist, weil es eine starke Wärmeentwicklung im Boden gibt. Insofern sind Erdkabel keine tragfähige Alternative zur Überlandleitung. Wenn die Leitung vor meinem Haus errichtet werden sollte, würde ich sie akzeptieren, weil ich auch Ja zur Energiewende gesagt habe. Und die geht nun mal nicht ohne neue Leitungen.

Ortwin Renn ist Techniksoziologe an der Uni Stuttgart und Sprecher der Helmholtz-Allianz „Energy-Trans“. Dort werden vor allem gesellschaftliche Fragen im Zusammenhang mit neuen Infrastrukturen der Energieversorgung erforscht. Mit ihm sprach Ralf Nestler.

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