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Studierende arbeiten im lebensmitteltechnischen Labor einer Hochschule.

© imago/photothek

Aufschrei des wissenschaftlichen Nachwuchses: #IchbinHanna trendet auf Twitter

Unter #IchbinHanna schildern Nachwuchswissenschaftler:innen auf Twitter ihre oft prekäre Lage. Was steht hinter der Empörungswelle?

#IchbinHanna – unter diesem Hashtag macht der wissenschaftliche Nachwuchs seinem Ärger über die oft prekäre Beschäftigungslage an den Hochschulen und in Forschungseinrichtungen derzeit auf Twitter Luft.

Dass es für Doktorandinnen wie PostDocs nur wenig Perspektiven auf eine Daueranstellung in der Wissenschaft gibt, ist schon lange Thema unter Betroffenen und in der Hochschulpolitik. Und das bei einer Verdoppelung der Gesamtzahl des wissenschaftlichen Personals seit dem Jahr 2000. Hintergrund ist der starke Anstieg von Drittmittelprojekten - darunter auch die vielen Forschungscluster aus der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern.

Mit einer Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeit VG) wollte die Politik 2016 die Befristungsvorgaben reformieren und dem Problem beikommen, dass wissenschaftliche Mitarbeiter:innen sich vor der Promotion wie auch danach von einer befristeten Stelle zur anderen hangeln.

Für beide Phasen ist das seither nur bis zu sechs Jahre möglich, als Postdoc der Medizin darf man bis zu neun Jahre befristet arbeiten; Verlängerungen gibt es beispielsweise für Elternzeiten.

Miriam: Sitze auf dem 11. befristeten Vertrag

Die Kritik gipfelt jetzt unter #IchbinHanna auf Twitter. "Ich bin Miriam, 36 Jahre alt, ich bin Psychologin und Suchtforscherin (...). Ich sitze derzeit auf meinem 11. befristeten Vertrag, der 2023 ausläuft." In diesem Stil beschreiben seit Donnerstag mehrere Dutzend junge und jüngere Wissenschaftler:innen ihre Dilemmata.

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In vielen Initiativen, etwa in den "95 Thesen gegen das WissZeit VG" haben Akademiker:innen die aktuellen Regelungen und Reformversuche - auch nach einer kleinen Novelle von 2020 - kritisiert. Sie fordern ein komplett neues Gesetz. Die HU-Professorin Jule Specht schrieb in einem Gastbeitrag auf dem Blog Jan-Martin Wiardas, das Gesetz bedeute auch nach der Novelle weiterhin „geringe Chancen auf eine langfristige Karriere-, Lebens- und Familienplanung, eine Benachteiligung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen".

Nicht jede:r könne "sich diese lange Phase der unsicheren Beschäftigung leisten". Sie sei gekennzeichnet durch "ständig wechselndes Lehrpersonal, einen riesigen Verwaltungsaufwand und die Sorge, nach etwa 12 Jahren aus dem Wissenschaftsbetrieb herausgedrängt zu werden".

BMBF-Video lobt die "Fluktuation"

Anlass der aktuellen Welle der Kritik unter dem Hashtag Hanna ist ein wiederentdecktes Animationsvideo des BMBF von 2018, das das WissZeit VG am Beispiel der Biologin „Hanna“ erklärt. Darin wird ausgerechnet der kritisierte schnelle Wechsel des Personals als vorteilhaft für die Wirtschaft hervorgehoben. Die „Fluktuation“ auf den Hochschulstellen fördere „die Innovationskraft“ - ein Argument, das auch von Hochschulleitungen mit Bezug auf den Mittelbau vertreten wird.

Dazu heißt es im Video, Befristungen seien nötig, um neue Kräfte nachrücken zu lassen, damit „nicht eine Generation alle Stellen verstopft“. Die scientific community reagiert nun - drei Jahre nach der Erstveröffentlichung des Videos - mit Empörung.

[Lesen Sie auch einen Bericht über den Appell von Nachwuchsforschenden an die Berlin University Alliance]

Auf Twitter teilen Betroffene ihre Kurzbiografien und Beschäftigungsgeschichten. Der Tenor: Das Ministerium verteidige ein System, das ihnen auch nach der Einführung der umstrittenen Regeln von 2016 kaum Sicherheit biete. Voller Ironie greifen viele das eher unglückliche Framing des BMBF auf.

Die Privatdozentin und Germanistin Silke Horstkotte etwa schreibt über sich: „Silke, 49, (...) verstopft das System seit Oktober auf einer halben unbefristeten Stelle“. Horstkotte betont, ansonsten hätte sie "nach 20 Jahren Wissenschaft, 4 Monografien, 58 Aufsätzen und einer knappen Million eingeworbener Drittmittel auf der Straße gestanden.“

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„Dieses Jahr sind meine 12 Jahre um und mein Wert laut BMBF erschöpft“, bezieht sich der Mannheimer Psychologe und Schlafforscher Gordon Feld auf die Fluktuations-Formel des Ministeriums. Dem setzt er vorweg: „Ich bin seit 2019 Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter und somit von DFG als exzellent gefördert“.

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Auf dem Twitter-Account des BMBF war bisher keine Reaktion auf den Shitstorm zu entdecken. Nach dem Verweis auf die Wirtschaftlichkeit des Befristungssystems fügt die Stimme im Animationsvideo noch hinzu, die Laufzeit der Verträge müsse gleichwohl "angemessen" sein.

Das verweist auf die Bestimmung im WissZeit VG, dass die Befristungen der Dauer der wissenschaftlichen Qualifikation beziehungsweise der Projektlaufzeit entsprechen sollten. Aber auch dies ist häufig nicht der Fall. Der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) zufolge liegt die Durchschnittsdauer bei der Promotion bei „gut vier Jahren“.

Die durchschnittliche Vertragslaufzeit beträgt bei Promovierenden 22 Monate, bei Post-Doc-Stellen sind es 28 Monate, wie der aktuelle Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs zeigt.

Eva Murasov

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