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Düngemittel sind schwer verzichtbar, ihr Einsatz kann jedoch der Umwelt schaden und er wird zunehmend teurer.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Einsparen und ersetzen: Auswege aus der Düngerkrise

Kunstdünger sichert Ernteerträge. Doch seine Umweltbilanz und zunehmend auch sein Preis lassen Alternativen attraktiver erscheinen.

Ohne synthetischen Dünger ist die moderne Landwirtschaft praktisch undenkbar. Er steigert Ernteerträge, sichert die Ernährung vieler Menschen und hält den Flächenbedarf dabei vergleichsweise gering.

Doch sein Einsatz hat auch Nebenwirkungen wie den Nährstoffüberschuss in Gewässern und die Freisetzung von Treibhausgasen. Forscherteams arbeiten deshalb an Verfahren, die die Umweltbilanz verbessern sollen.

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Ernährung von drei Milliarden Menschen

Düngemittel versorgen die Pflanzen unter anderem mit Stickstoff. Das Element macht 78 Prozent der Luft aus, aber nur wenige Pflanzen können Luftstickstoff nutzen. Pflanzen wie Acker- und Sojabohnen, Klee, Lupinen und Erbsen, die Leguminosen, kooperieren dazu mit Bodenmikroben, genannt Rhizobien oder Knöllchenbakterien. Die Mikroben haben ein Enzym, das den Pflanzen fehlt, und wandeln Luftstickstoff zunächst in Ammoniak und dann in Verbindungen um, die von den Pflanzen verwertet werden können. Im Gegenzug liefern diese den Bakterien Energie in Form von Zucker.

Seit Jahrhunderten bringen Landwirte daher Leguminosen in die Fruchtfolge ein. Die Pflanzen lassen nämlich etwas übrig: rund 20 bis 70 Kilogramm Stickstoff pro Hektar bleiben für die Folgekultur. Im Bio-Landbau wird das Prinzip bis heute angewandt, um die Versorgung aller Ackerpflanzen zu verbessern – neben der mit Dung aus der Tierhaltung.

Dass die konventionelle Landwirtschaft ohne synthetischen Dünger auskommt, ist jedoch zu bezweifeln. Ihre Erträge pro Fläche sind deutlich höher. Schätzungen zufolge leben gut drei Milliarden Menschen mehr auf der Welt, weil sie dank synthetischen Düngers ernährt werden können.

Preissteigerungen könnten zu Hungersnöten führen

Durch hohe Rohstoffpreise, Inflation und zusätzlich angetrieben durch den Angriffskrieg auf die Ukraine mit seinen Folgen für die Produktion, sind synthetische Düngemittel erheblich teurer geworden: seit Anfang 2020 um das Drei- bis Vierfache, wie die CRU Group in London analysiert hat. Es wird weniger verkauft, mit dramatischen Folgen.

„Wenn der Markt nur ein Prozent des Bedarfs an Düngemitteln nicht deckt, werden bis zu 32 Millionen Menschen mehr hungern“, sagt Matthias Berninger, Leiter der Abteilung Public Affairs, Wissenschaft und Nachhaltigkeit bei Bayer in Leverkusen. Das Unternehmen verkauft selbst keinen Dünger, forscht aber an Verfahren, um den Bedarf zu verringern.

Eine Möglichkeit: Bodenmikroben so zu nutzen, dass die von Leguminosen bekannte Stickstoff-Fixierung auch bei anderen Pflanzen funktioniert. Daran forschen Biotech-Firmen wie Joyn Bio oder Pivot Bio. Sie analysieren, wie verschiedenste Mikroorganismen im Boden mit Pflanzen interagieren.

Aus der Datenfülle werden Prozesse herausgefiltert, die dazu beitragen könnten, auch Anbaupflanzen wie Mais, Weizen oder Reis mit der mikrobenbasierten Stickstoffdüngung zu versorgen. Die Forscher identifizieren Erbgutsequenzen, die für die Dienstleistung nötig sind, und fügen sie in die DNA von Mikroorganismen ein, die für eine Symbiose mit den gewünschten Pflanzen infrage kommen.

„Diese Organismen können zum Beispiel direkt auf das Saatgut aufgebracht werden, Fachleute sagen ‚beizen', damit sie nahe an den wachsenden Wurzeln sind und die Pflanze versorgen können“, erläutert Berninger. In rund fünf Jahren, schätzt er, könnte das Verfahren einsatzbereit für die Praxis sein.

Umstrittene Gentechnik

Die Diskussion um gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft kennt er. „Alle Prozesse, die da ablaufen, kommen ohnehin in der Natur vor“, entgegnet er Kritikern. Die Mikroben würden zudem im Herbst absterben, weil ihre Wirtspflanze nach der Ernte nicht mehr da sei. „Aber klar, eine gewisse Innovationsfreude muss man schon haben oder damit leben, weiterhin viel Kunstdünger einzusetzen.“ Auf Kunstdünger und Gentechnik zu verzichten sei unmöglich, findet er und verweist auf das Beispiel Sri Lanka.

Das Land wollte als weltweit erstes ausschließlich biologischen Anbau betreiben. Der Präsident Gotabaya Rajapaksa hatte im Frühling 2021 ein Komplettverbot für Kunstdünger und chemische Pflanzenschutzmittel verhängt. Daraufhin gaben viele Landwirte ihre Anbauflächen auf, Lebensmittel wurden knapp. Zwar wurde das Verbot inzwischen aufgehoben, doch Sri Lanka steckt tief in einer schweren Wirtschaftskrise. Wegen des Mangels kommt es immer wieder zu Unruhen.

Eine weitere Möglichkeit, den Stickstoffbedarf zu decken, ruht in den Pflanzen selbst – zumindest in einigen. Einer alten Maissorte etwa, die bis heute in der mexikanischen Sierra Mixe wächst, gelingt es Luftstickstoff zu nutzen. Sie kooperiert ebenfalls mit Bodenbakterien, fanden Forscher heraus. Die Vermutung bestand seit Jahren, aber erst moderne Forschungsmethoden haben sie nun bestätigt.

Der Anteil von Luftstickstoff in den Pflanzen macht demnach zwischen 29 und 82 Prozent aus, wie ein Team um Alan Bennet von der Universität von Kalifornien in Davis im Fachmagazin „Plos Biology“ berichtete. Nun versuchen die Wissenschaftler, diese Eigenschaft in konventionelle Sorten einzubringen.

Der Versuchsanbau gentechnisch veränderter Pflanzen wurde teilweise sabotiert.
Der Versuchsanbau gentechnisch veränderter Pflanzen wurde teilweise sabotiert.

© Bernd Wüstneck/picture alliance/dpa

Einfach wird das nicht, die alten Wildsorten und moderne Hochleistungspflanzen unterscheiden sich deutlich. Doch das Potenzial ist groß, wie auch bei den genetisch veränderten Mikroben, wenn es gelänge den Düngerbedarf für Massenpflanzen wie Mais, Getreide und Reis auf diese Weise zu verringern.

Auf gutem Boden wie in der Magdeburger Börde können pro Hektar acht Tonnen Weizen geerntet werden; dafür benötigen die Pflanzen rund 180 Kilogramm Stickstoffgabe, rechnet Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben vor. „Wenn man 50 oder gar 100 Kilogramm pro Hektar einsparen kann, wäre das ein riesiger Vorteil“, sagt der Leiter der Abteilung Physiologie und Zellbiologie. Doch er bezweifelt, dass die genannten Verfahren rasch in die Praxis kommen. Die betreffenden Genabschnitte zu identifizieren sei nur der erste Schritt. „Dann muss überprüft werden, ob der Mechanismus zuverlässig funktioniert.“ Dazu gehörten auch Freilandversuche.

In Deutschland wagt das kein Forscher mehr. Zu aufwendig sind die Anträge, zu groß die Furcht vor Feldzerstörern in ihrem Kampf gegen gentechnisch veränderte Organismen. Die Wissenschaftler testen daher im europäischen Ausland und Nordamerika, etwa, ob gentechnische Veränderungen Pflanzen hitze- und trockentoleranter machen oder den Bedarf an Düngemitteln verringern können. Spätestens in einigen Jahren wird sich erneut die Frage stellen: Ist die Gesellschaft hierzulande bereit, solche Methoden zu akzeptieren, wenn sie nachweislich sicher und effektiv sind?

Einsparen hier, einsetzen dort

Über Gentechnik in der Landwirtschaft wird nicht allein wegen der aktuell rapide steigenden Preise für Düngemittel diskutiert. Dünger belastet auch das Klima: Rund vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen auf den Einsatz zurück. Dabei handelt es sich um Lachgas, das aus Stickstoffdünger entsteht, weil dieser nicht vollständig von den Pflanzen umgesetzt wird.

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Der andere Teil kommt aus der Herstellung des Grundstoffs Ammoniak. Dafür werden Stickstoff aus der Luft sowie Wasserstoff verwendet, der aus Erdgas stammt. Das Verfahren ist energieaufwendig, was die Treibhausgasbilanz zusätzlich verschlechtert. Es sei denn, der Wasserstoff und die benötigte Energie stammten aus erneuerbaren Quellen. In der Industrie wird daran geforscht, auch weil Ammoniak in der Schifffahrt ein wichtiger Energieträger werden könnte.

Mehrere Unternehmen wollen grünen Ammoniak herstellen. Neben Australien soll auch Norwegen ein wichtiger Standort werden. Dort haben sich 2021 drei große Firmen zum Projekt „Hegra“ zusammengeschlossen, um in Herøya die bestehende Ammoniakanlage umzubauen. Nach Firmenangaben soll es in fünf bis sieben Jahren die weltweit erste emissionsfreie Düngemittelfabrik im Industriemaßstab werden.

Bis dahin könnte schon helfen, sparsamer mit Dünger umzugehen. Manche Landwirte arbeiten nach dem Prinzip „viel hilft viel“, was oft bedeutet: viel mehr als nötig. In Industrieländern, wo sehr viel Stickstoffdünger ausgebracht wird, ließe sich die Menge bei ähnlichen Erträgen deutlich reduzieren, zeigt eine Studie von David Wüpper von der ETH Zürich und Team im Fachmagazin „Nature Food“.

Der überschüssige Dünger kommt nicht den Pflanzen zugute, sondern belastet die Umwelt. In vielen afrikanischen Ländern hingegen, wo sich Landwirte Düngemittel oft kaum leisten können, würde ein Mehr an Nährstoffen die Erträge spürbar stärker steigen lassen.

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