
© AFP/Kiah Walker
„Bekommen Sie erst mal Ihr Verhalten in den Griff!“: Die Alters-Weltrekordlerin der Wildvögel brütet wieder
„Wisdom“ wohnt meist auf hoher See, manchmal auch auf einer Insel. Mit Mitte 70 ist sie gerade dabei, eine Familie zu gründen. Ein Gespräch über das Leben, die Liebe und das weite Meer.
Stand:
„Wisdom“ ist ein Superstar des Tierreiches. Das Laysanalbatros-Weibchen ist der älteste bekannte Wildvogel weltweit. Anfang 1956 wurde sie auf dem Midway-Atoll beringt, nachdem sie ein Ei gelegt hatte. Da muss sie bereits mindestens fünf Jahre alt gewesen sein. Im Winter 2025/2026 ist sie also mindestens 75.
Kürzlich kehrte sie laut Jon Plissner, Biologe vor Ort, nach Monaten auf hoher See zu ihrer Brutkolonie zurück. Wisdom hat bereits etwa 30 Küken flügge bekommen. Anfang 2026 könnte noch eines dazukommen. Denn sie habe, so meldete die BBC jetzt, nun auch ein Ei gelegt. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Wisdom über Partnerschaft, Umweltverschmutzung, Menschen, das Meer. Und Musik.
Frau Wisdom, wir erreichen Sie auf dem Midway-Atoll im Nordpazifik. Wie ist das Wetter?
Mittelmäßig.
Sie sind jetzt offiziell mindestens 75 Jahre alt. Wie geht es Ihnen?
Man spricht ja eigentlich eine Dame nicht auf ihr Alter an, junger Mann, und wie alt ich wirklich bin, das weiß ohnehin nur ich selbst.
Dann nehme ich die Frage zurück und frage nur noch: Wie geht es Ihnen?
Wie einem Albatros über dem Meer.
Keine Alterskrank… Oh, schon wieder… Entschuldigung!
Sehen Sie, ich bin recht busy mit Haushalt und Familie und so, ich denke nicht über meine Arthrose nach. Meine Augen sehen so scharf wie immer. Auch mit dem Blutzucker habe ich keine Probleme. Die viele Bewegung an der frischen Luft und die kohlenhydratarme Ernährung, das hilft sicher.
Wie ist die Vogelgrippe-Situation bei Ihnen?
Bei uns ist das, toitoitoi, derzeit kein akutes Thema. Aber Albatros-Kolonien auf der Südhalbkugel sind zum Beispiel betroffen.
Sie sprachen das mit der Familie schon an. Ihr langjähriger Partner Akeakamai ist 2022 nicht von der hohen See zurückgekehrt.
Ja.
Es fällt Ihnen schwer, darüber zu sprechen?
Nun, wir waren lange zusammen. Er war verlässlich und treu, ich auch. Aber wir Albatrosse sind zwar treue Partner, aber wir sind eben auch sehr freiheitsliebend, verbringen, wenn die Küken flügge sind, jedes Jahr Monate allein auf See. Und ein freies Leben ist auch ein gefährliches Leben. Zwischen uns ist nichts ungesagt geblieben, nichts unausgeräumt.
Er fände es auch okay, dass Sie jetzt einen neuen Partner haben und mit ihm noch einmal eine Familie gründen?
Fände er das okay? Hm, ehrlich gesagt, ich glaube, wir Albatrosse denken über so etwas gar nicht nach.
Wie ist es denn so mit Ihrem neuen, deutlich jüngeren Partner, emotional, aber auch körperlich?
Also hören Sie mal! Wenn ich eine Beziehungs- oder Sexkolumne irgendwo schreiben würde, könnten Sie mich so was fragen, aber …
Wir Menschen interessieren uns eben für Verhaltensbiologie...
Sie Menschen sollten erst mal Ihr eigenes Verhalten in den Griff bekommen, würde ich sagen.
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Was meinen Sie damit?
So, jetzt werde ich auch einmal explizit: Wenn ich hier aufs Klo gehe, wissen Sie, was dann da, na ja, rauskommt?
Vogelkacke?
Ja, aber mit Plastik- und Mikroplastikeinlage. Aber lassen Sie uns zu einer gewählteren Ausdrucksweise zurückkehren. Midway liegt am Rande des Pazifischen Müllstrudels. Was das für uns hier bedeutet, darüber gibt es sogar einen Film. Sie, also Ihre Spezies, der sogenannte Homo sapiens, vermüllt den ganzen Planeten, vergiftet ihn auch. Wir wilden Tiere müssen das dann ausbaden. Und Sie selbst ja auch! Wie heißt noch das Zeug, das jetzt massenweise überall in die Umwelt, auch in Ihr eigenes Trinkwasser, gelangt und nie mehr weggeht?
PFAS, Ewigkeitschemikalien.
Wissen Sie, das Leben ist ein Kreislauf, Werden und Vergehen. Das musste ich ja privat schmerzlich erleben, aber so ist das. Etwas massenhaft zu produzieren, was angeblich ewig hält und von dem man dann auch noch nicht einmal weiß, wie gefährlich es ist, es aber trotzdem in die Umwelt zu entlassen … (schnappt nach Luft)
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Alles okay?
Mir geht es gut. Als ich mich zum ersten Mal in die Luft erhob, vor ich-sag-Ihnen-nicht-wie-vielen Jahren, da lag die jährliche Plastikproduktion bei etwa zwei Millionen Tonnen. Das ist viel, würde ich sagen, zumindest für eine Gruppe nicht gerade umweltfreundlicher Substanzen, von denen sehr viel letztlich in der Natur landet. Aber wissen Sie, wie viel Ihre Spezies heute, Tendenz steigend, jedes Jahr produziert?
Gerade nicht so genau …
Mehr als 400 Millionen Tonnen. Und jährlich gelangen wahrscheinlich über 20 Millionen Tonnen Plastikmüll dauerhaft in die Umwelt. Einen Teil davon könnten Sie, wenn Sie sich nicht bequem per Videocall zugeschaltet hätten, hier in meiner Toilette besichtigen.
Ich dachte mir, ich fliege nicht extra zu Ihnen, des Kohlendioxidausstoßes wegen.
Ja, das ist auch so ein Problem. Unser Atoll hier ist auch durch den Anstieg des Meeresspiegels und die häufiger und schlimmer werdenden Stürme bedroht. Ich habe gehört, die Menschen verbrauchen neuerdings jede Menge aus Öl, Kohle und diesem anderen strahlenden Ewigkeitszeug erzeugte Energie, um an ihren Computern Bilder von Joints rauchenden Katzen zu generieren...?
Ja, Künstliche Intelligenz. Die kann aber zum Beispiel auch bei der Umweltforschung helfen.
Ein bisschen zusätzliche Intelligenz würde Homo sapiens jedenfalls nicht schaden. Viel Erfolg damit.
Um hier mal ein bisschen die Schärfe rauszunehmen: Worüber denkt man so nach, wochen- und monatelang über dem Ozean?
Ich könnte jetzt antworten: über Sex natürlich! Das würden Sie dann gleich in Ihre Überschrift schreiben, oder? Aber offen gesagt, ich denke dann nicht einmal über Plastik und Ewigkeits-Dingsbums und Klimawandel nach. Ich denke über gar nichts nach. Es ist meditativ. Ich bin da, im Moment und in der Ewigkeit gleichzeitig.
Sie müssen ja auch im Flug schlafen. Wie macht man das, ohne abzustürzen?
Wenn Sie als Mensch schlafen, fallen Sie doch auch nicht ständig aus dem Bett! Na ja, angeblich können wir Albatrosse mit einer Gehirnhälfte schlafen, während die andere wach bleibt. Aber für mich ist das was ganz Natürliches, ich bekomme das gar nicht mit.
Woher haben Sie eigentlich Ihren Namen Wisdom, also „Weisheit“?
Menschen haben mir den gegeben. Die müssen ja alles benennen, auch in der Natur, da können wir uns bei Carl von Linné bedanken. Aber ich bin froh, dass sie mich nicht „Komischer Vogel“ oder „Miss Bruchlandung“ oder so getauft haben. Das wäre übrigens auch gar nicht korrekt, denn unter den Albatrossen gehört Phoebastria immutabilis im Vergleich zu anderen zu den eher eleganten Runterkommern. Und ja, vielleicht bin ich ja auch weise. Ich weiß es nicht. Aber weiß, das bin ich, größtenteils zumindest. (lacht)
Ihr langjähriger Partner hieß Akeakamai, was auf Hawaiisch „Philosoph“ bedeutet.
Ich sage es mal so: Wenn er einer war, dann hat er es sich nicht anmerken lassen.
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Ihren neuen Partner haben die Ornithologen vor Ort Ex25 genannt. Das klingt nicht so poetisch, und Ihr Ex ist er ja auch nicht.
Ja, meine Zweifel an den geistigen Kapazitäten der Menschen äußerte ich ja bereits.
Wenn wir schon bei Namen sind: In Berlin nennt sich eine Basketballmannschaft „Die Albatrosse“. Wussten Sie das?
Ich hörte davon. Auch, dass der Namensgeber etwas mit Müllsammeln zu tun hat. Sie werden sich nicht wundern, dass ich das voll unterstütze: Auf geht’s, Alba!
Sie waren schon viel unterwegs in Ihrem Leben. Die Strecke Erde–Mond und zurück sind Sie angeblich etwa sechsmal geflogen. Gibt es einen Ort, an dem Sie noch nie waren, den Sie aber gerne noch besuchen würden?
Das alte CBS-Studio in London, falls es das noch gibt.
Warum das?
Da haben Fleetwood Mac 1968, als ich noch recht jung war, das Stück „Albatros“ aufgenommen. Ich liebe es. Wir haben da über der Beringsee nächtelang zu durchgetanzt.
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