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Frisch raffiniertes Goldgranulat

© Mark Baker/AP/dpa

Blei in Gold verwandelt: Teilchenphysiker erfüllen uralten Traum

Forschenden ist es gelungen, Blei in Gold zu verwandeln. Notwendig sind dafür Beinahe-Zusammenstöße nahe der Lichtgeschwindigkeit – und sehr viel Geduld.

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Es klingt, als hätten Forschende am europäischen Kernforschungszentrum CERN den „Stein der Weisen“ gefunden: Sie haben Blei in Gold umgewandelt.

Bei Experimenten im 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger LHC bei Genf hat ein Team erstmals präzise vermessen, wie aus dem Schwermetall Blei für einen winzigen Moment tatsächlich Gold wird – und wie es dazu kommen kann. Das Team beschreibt den Befund jetzt in der Fachzeitschrift „Physical Review C“. Auf große Reichtümer können die Physikerinnen und Physiker allerdings nicht hoffen: Die Ausbeute ist so gering, dass sie selbst unter dem stärksten Mikroskop kaum sichtbar wäre.

Verblüffend ist der Vorgang aber allemal, greift er doch einen uralten Traum der Alchemisten auf. Im ausgehenden Mittelalter hofften Gelehrte, den „Stein der Weisen” zu finden – eine mythische Substanz, die wertloses Blei in kostbares Gold verwandeln sollte.

Eingriff ins Innerste der Materie

Die Alchemisten wussten noch nichts vom Innersten der Materie. Für sie waren Blei und Gold vor allem zwei Metalle mit ähnlicher Schwere, aber völlig unterschiedlichem Wert. Erst Jahrhunderte später erkannte die Wissenschaft, dass nicht die äußere Elektronenhülle, sondern der Atomkern das Wesen eines Elements bestimmt.

Und dass man Gold nur dann aus Blei gewinnen kann, wenn man die Zahl der Protonen im Kern verändert – von 82 auf 79. Dazu reichen keine mittelalterlichen Öfen, man braucht Maschinen wie den LHC, die Kerne mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander jagen.

Ein Gebäude des Cern im schweizerisch-französischen Grenzgebiet bei Genf.

© Christiane Oelrich/dpa

Geglückt ist die Verwandlung allerdings nicht durch die spektakulären Frontalzusammenstöße der Teilchen, sondern in den weitaus häufigeren „Beinahe-Unfällen“. Bei den extrem energiereichen Kollisionen zwischen Bleikernen entsteht Quark-Gluon-Plasma, ein heißer und dichter Materiezustand, von dem man annimmt, dass er das Universum etwa eine Millionstel Sekunde nach dem Urknall erfüllte.

Bei den weitaus häufigeren Wechselwirkungen, bei denen die Kerne mit 99,999993 Prozent der Lichtgeschwindigkeit einander nur knapp verfehlen, kommt es zu Wechselwirkungen der starken elektromagnetischen Felder, die sie umgeben.

Schwingungen im Atomkern

Die extrem hohe Geschwindigkeit, mit der sich Bleikerne im LHC bewegen, führt dazu, dass die elektromagnetischen Feldlinien quer zur Bewegungsrichtung zu einem dünnen Pfannkuchen gequetscht werden. Letztlich kommt es dann zu Schwingungen im Atomkern, und es werden dadurch einige Protonen herausgeschlagen.

Wenn das drei Protonen sind, hat man plötzlich einen Gold-Atomkern mit 79 Protonen. Es können auch die Schwermetalle Thallium und Quecksilber mit 81 und 80 Protonen entstehen.

„Es ist beeindruckend, dass unsere Apparatur Kollisionen mit tausenden Partikeln aushält und zugleich so empfindlich ist, dass sie Prozesse mit nur wenigen Fragmenten herausfiltert“, sagt Marco Van Leeuwen, Sprecher der ALICE-Kollaboration. (ALICE steht für „A Large Ion Collider Experiment).

Aber lohnt sich das Verfahren als eine Art Goldwäsche? Während der LHC-Betriebsphase von 2015 bis 2018 registrierten die Physikerinnen und Physiker rund 86 Milliarden Goldkerne. Auf der Waage wären das nur 29 Pikogramm, ein Staubkörnchen wiegt millionenfach mehr. Für einen goldenen Ehering, der typischerweise vier Gramm wiegt, hätte man die Anlage 550 Milliarden Jahre laufen lassen müssen – rund 40-mal länger als das bisherige Alter des Universums.

Nach Umbauten hat sich die Produktionsrate auf etwa 89 000 Goldkerne pro Sekunde verdoppelt. Allerdings entstehen die Goldkerne immer nur für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde.

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