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Mit einem Magneten trennt FU-Student Kabulhan Cimen den Dächerstaub von Fremdmaterial, um ihn anschließend zu mikroskopieren.

© Stephan Detert

Schätze aus dem All: Das Naturkundemuseum macht Bürger zu Meteoritenjägern

Hobbyforscher sollen helfen, kosmische Krümel im Staub Berliner Dächer zu finden und so Fragen unseres Sonnensystems zu beantworten.

Hinter deckenhohen Dinosaurierskeletten, gipsernen Nilpferden und Regalwänden voll uriger Fische in Glaskonserven verbirgt sich ganz am Ende des Ganges eine Tür.

Sie führt in einen Raum mit Experimentiertischen, diversen Apparaturen und einem alten Aquarium – das Schülerlabor des Berliner Naturkundemuseums.

Nur dass man hier heute keine Schüler antrifft, sondern drei Männer, die sich um ein Mikroskop drängen und diskutieren, ob das, was sie da durchs Okular sehen, irdischen Ursprungs ist oder doch aus den Weiten des Weltalls stammt.

Kosmische Krümel vom Ikea-Dach

Die drei sind auf der Jagd nach Meteoriten. Mikrometeoriten, um genau zu sein: kleine Körnchen kosmischen Staubs, wie er täglich tonnenweise auf die Erde niederrieselt. Einer der drei ist Lutz Hecht vom Forschungsbereich Evolution und Geoprozesse des Museums und Leiter des Projekts "Mikrometeorite", einer Mitmachaktion von Naturkundemuseum und Freier Universität Berlin.

In den vergangen Wochen haben sich rund 100 Berliner darum beworben, Hecht und seine Forscherkollegen als Meteoritenfinder zu unterstützen. 20 dieser "Citizen Scientists" wurden nun ausgewählt und werden am kommenden Dienstag in die Kunst der Meteoritensuche eingeführt.

Zwischen Ziegelsteinfragmenten und Metallkügelchen findet sich ein einzelner Mikrometeorit (Pfeil).
Zwischen Ziegelsteinfragmenten und Metallkügelchen findet sich ein einzelner Mikrometeorit (Pfeil).

© Naturkundemuseum/Thilo Hasse

Damit alles reibungslos funktioniert, wenn die Bürgerforscher kommen, gehen die Profis nun nochmal ihre Suchstrategie durch, mit der sie die Krümel aus dem All aufspüren wollen. "Mikrometeoriten zu finden, ist nicht trivial", sagt Hecht. Man brauche Geschick und viel Geduld. In den vergangen Wochen stiegen die Forscher etwa auf dem Dach von Ikea in Schöneberg herum und fegten Staub zusammen. Der wurde dann beutelweise gesammelt, gesiebt, gerüttelt und gewaschen.

Mit einem Magneten werden zum Schluss die metallischen Bestandteile vom Rest getrennt. Denn die meisten Meteorite sind magnetisch. "So kommt man von anfänglich 100 Kilo auf 10 Gramm", sagt Thilo Hasse.

Von der Schnitzel- zur Meteoritenjagd

Ohne Hasse gäbe es das Projekt nicht. Er ist eigentlich Landschaftsökologe und erst durch einen Zufall auf die Mikrometeoriten aufmerksam geworden. Bei einer Geocaching-Mission, einer Art Schnitzeljagd per Handy, war eine Grube das Ziel, in der man neben Sand auch die Körner aus dem All finden sollte.

Richtig erfolgreich war Hasse nicht, aber das Thema ließ ihn nicht mehr los. Er fing an, sich intensiver damit zu beschäftigen und stieß auf die Internetseite von Jon Larsen, einem Pionier der Mikrometeoritenjagd, und lernte, wo er suchen und worauf er achten musste. "Man muss auf die Dächer, weil sich die Meteoriten dort anreichern und es weniger Kontamination durch Erde oder organisches Material gibt."

Doch irgendwann stoße man als Hobbyforscher an seine Grenzen, sagt Hasse. Etwa wenn es darum geht, zweifelsfrei festzustellen, ob so ein Krümel nun aus dem All stammt oder nicht. Deshalb habe er sich an Profiforscher wie Hecht gewandt.

Mit Hilfe der Bürgerforscher können diese nun wichtige Fragen klären: Wo kommen die Meteoriten her? Woraus bestehen sie und welche Veränderungen finden in der Atmosphäre statt? Tragen sie womöglich organische Stoffe in sich, die Grundlage für das Leben sind?

Außerdem wollen die Meteoritenforscher die Berliner Mikrometeoriten mit denen vergleichen, die seit Jahrtausenden im arktischen Eis schlummern. "Dadurch kann man herausfinden, ob sich etwas in unserem Sonnensystem verändert hat", sagt Projektleiter Hecht.

40.000 Tonnen kosmischen Staubs fallen jährlich auf die Erde

Meteoriten sind per Definition im Grunde alle Festkörper, die es vom All durch die Atmosphäre auf die Erde geschafft haben. 95 Prozent davon sind Mikrometeoriten. Die meisten stammen aus dem Asteroidengürtel zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter.

So groß und bedrohlich für die Erde wie in Hollywoodfilmen sind sie jedoch nur selten. Die meisten sind winzig, nur wenige Zehntel eines Millimeters groß. 40.000 Tonnen davon rieseln jährlich auf die Erde, etwa ein Kilogramm pro Woche auf Berlin. Unterm Mikroskop präsentieren sie sich als schwarze Kügelchen, glatt oder gestreift – um das zu erkennen, braucht es weiterer Gerätschaften und Hans-Rudolf Knöflers Expertise.

Knöfler ist Präparator, ein schnäuzbärtiger Mann in blauem Arbeitskittel und schwarzen Sandalen. Sein Reich liegt zwischen verwinkelten Gängen und dicken Mauern im Keller des Museums. Hier bettet er die Meteoriten in Kunstharz ein, um sie anschließend anzuschleifen. Das ist wichtig, um die Struktur und Zusammensetzung zu untersuchen. Dafür benutzen die Forscher eine Elektronenstrahlmikrosonde.

Der Raum, in dem das Gerät steht, liegt zwei Stockwerke über Knöflers Reich. Er erinnert an eine Kommandozentrale, Informationen laufen über vier Bildschirme. Um die chemische Zusammensetzung der Meteoriten zu bestimmen, beschießen die Forscher die Oberfläche der Weltraumpartikel mit dem Elektronenstrahl. Dadurch entsteht eine charakteristische Röntgenstrahlung, aus deren Spektrum sich die Zusammensetzung der Steine ermitteln lässt – etwa Silizium, Magnesium und Eisen, die häufigsten Stoffe, die in Meteoriten vorkommen.

Aschenputtelarbeit mit Mehrwert

Die Bürgerforscher sollen helfen, dass möglichst viele Mikrometeoriten untersucht werden können. Denn obwohl die Forscher die Dachstäube schon von 100 Kilogramm auf wenige Gramm reduziert haben, befindet sich darin immer noch viel Dreck von der Erde. Metallkügelchen, die bei Schweißarbeiten oder beim Flexen entstehen oder auch Fragmente von Ziegelsteinen, die über die Jahre magnetisiert wurden.

Dieses irdische Material muss gesichtet und die Meteoriten mit einem dünnen Holzstäbchen herausgepickt werden. Die Aufgabe der Hobbyforscher wird es sein, zu mikroskopieren und ihre Funde zu bewerten. "Die Leute helfen uns, die guten von den schlechten Steinen zu trennen", sagt Hecht.

Sie sollen aber keine billigen Arbeitskräfte sein, sondern Teil des Projekts werden, betont er. Das heißt, sie bekommen eine gründliche Einweisung, werden in die Wissenschaft der Meteoriten eingeführt und analysieren ihre Funde zusammen mit den Profiforschern unterm Elektronenmikroskop.

"Was wir hier machen, ist kein Alibiprojekt. Wir wollen die Leute da wirklich mit einbeziehen", meint Hecht. Ihm sei es wichtig zu zeigen, wie Forschung funktioniert und dass Wissenschaft nichts Abgehobenes ist. "Wir wollen aus diesem Elfenbeinturm heraus."

Wenn das Projekt gut anläuft, soll es noch weitere Mitmachaktionen geben. Die Forscher überlegen schon, wie sie die Bürger noch mehr ins Projekt mit einbeziehen können. "Irgendwann steigen wir mit den Leuten bestimmt auch auf die Dächer", meint Hecht. Er hat auch schon ein ganz konkretes im Blick: "Uns schwebt vor, auf dem Dach des Naturkundemuseums eine Mikrometeoritenstation einzurichten." Um dem Museum regelmäßig aufs Dach zu steigen.

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