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Labormäuse

© dpa

Zweifelhafte Ergebnisse: Das Wunschdenken der Mediziner

Medizinische Studien haben oft große Qualitätsmängel, sagen Berliner Forscher. Auch ohne betrügerische Absicht. Schuld sind unter anderem Fehler im wissenschaftlichen System.

Viele medizinische Grundlagenstudien sind mangelhaft und können kaum überprüft werden. Zu diesem Urteil kommen zwei Untersuchungen, die nun im Fachblatt „Plos Biology“ erschienen sind. Die Gründe seien weniger betrügerische Absichten als grundlegende Fehler des wissenschaftlichen Systems sowie „Wunschdenken“ der beteiligten Forscher.

Die beiden Studien fallen in eine Zeit, in der sich mehr und mehr Experten über mangelnde Transparenz und Qualitätssicherung von Studien beklagen. Psychologen zeigten im vergangenen August in einem internationalen Großprojekt, dass sich die meisten Ergebnisse aus ihrem Fach nicht reproduzieren lassen. Die Zweifel, die diese Analyse am Wissenschaftsbetrieb weckte, werden durch die neuen Untersuchungen weiter angefacht.

So überprüften Forscher um Constance Holman und Ulrich Dirnagl von der Berliner Charité hunderte Schlaganfall- und Krebsstudien und konzentrierten sich insbesondere auf die verwendeten Versuchstiere. Meist wurde die Zahl der Ratten und Mäuse nicht exakt angegeben. Teilweise „verschwanden“ Versuchstiere über die Dauer der Experimente.

"Das Ergebnis kommt Würfeln gleich"

Das Team versuchte nun, die Gründe zu rekonstruieren. „Der Verdacht liegt nahe, dass Tiere aus den Versuchen herausgenommen werden, wenn sie etwa eine besonders schwere Krankheitsausprägung zeigen“, sagt Schlaganfallforscher Dirnagl. Das Problem: Das Tier gehe nicht mehr in die Analyse ein, das Studienergebnis werde somit verfälscht. „Für mich ein typischer Fall von Bias“, sagt er. Unter Bias (Verzerrung) werde hier der Wunsch des Wissenschaftlers verstanden, dass seine Substanz wirke. Es gehe nicht um bewusst betrügerische Absichten. Ein weiteres Problem der medizinischen Grundlagenforschung sei, dass im Mittel nur acht Tiere verwendet werden. „Nehmen Sie dann ein Tier aus dem Versuch heraus, kommt das Ergebnis Würfeln gleich“, sagt er.

Dass es anders geht, macht die klinische Forschung vor. Hier gelten strenge Standards für die Anzahl von untersuchten Patienten und deren etwaigen Ausschluss aus einem Versuch. Vor einer Veröffentlichung in einem renommierten Fachblatt werden diese Standards von den Autoren abgefragt, sagt Dirnagl.

So sollten Forscher im Methodenteil exakt beschreiben, wie viele Tiere sie verwendet haben und welche vorab bestimmten Kriterien für eine Herausnahme von Tieren galten. Die Experimente sollten verblindet erfolgen, also ohne dass die Forscher wissen, welche Tiere behandelt wurden oder zur Kontrollgruppe gehörten. Möglich sei auch die Vorregistrierung von Studien, bei denen Wissenschaftler ihr Vorhaben und dessen Ziele vorab beschrieben.

Karriere macht, wer Spektakuläres findet - neutrale Ergebnisse zählen nicht

Laut Dirnagl zeigt die Analyse seines Teams nur die Spitze des Eisbergs: „Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen, die belegen, dass Qualitätsprobleme in allen biomedizinischen Feldern bestehen.“ Diese Einschätzung wird durch die zweite in „Plos Biology“ veröffentlichte Studie gestützt: Forscher der Universitäten Emory und Stanford prüften die Reproduzierbarkeit und Transparenz von 441 Studien, die von 2000 bis 2014 Eingang in die biomedizinische Datenbank „PubMed“ fanden. Die meisten dieser Studien enthielten weder Rohdaten noch vollständige Versuchsprotokolle. Die jeweiligen Forscher erwähnten auch nicht, wer die Arbeit finanziert hatte oder ob Interessenkonflikte bestanden.

Solche Befunde erschütterten nicht nur die Glaubwürdigkeit der medizinischen Grundlagenforschung. Sie zeigten auch eine Ressourcenverschwendung im Wissenschaftsbetrieb, sagt Dirnagl. Universitäten, Förderorganisationen und Institutionen müssten sich verändern. „Forscher machen derzeit Karriere, wenn sie etwas Neues, Spektakuläres finden. Das ist der Weg, um Professor zu werden“, sagt Dirnagl. Es spiele dagegen keine Rolle, ob man Fallzahlen genau angebe oder neutrale Ergebnisse produziere.

Daher sollten bei der Berufung von Professoren zusätzliche Kriterien gelten, fordert der Neurologe. Zudem sollte Qualitätssicherung Teil der Ausbildung sein. Auch die Fachjournale müssten strengere Standards für die Veröffentlichung von Studien durchsetzen. „Plos Biology“ zum Beispiel will nun mit einer neuen Abteilung datenbasierte Meta-Forschung unterstützen. Alice Lanzke (dpa)

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