zum Hauptinhalt
318199_0_62e1bb6d.jpg

© Thilo Rückeis

Studium: Der Bachelor als Rettung

Zigtausende haben ihr Studium vor dem Magister oder dem Diplom abgebrochen. Jetzt bekommen sie eine neue Chance.

Zweimal stand André Preuß kurz vor dem Ziel: Diplom-Biologe sollte er werden – warum auch nicht? Die Seminarscheine hatte er 1998 alle beieinander, auch ein Thema für die Diplomarbeit, die er an einem Institut der Charité schreiben wollte. „Aber das Arbeitsklima war so schlecht, dass ich irgendwann nicht weitermachen konnte.“ Preuß jobbte zeitweilig und schrieb sich Jahre später, 2004, in Potsdam ein. Diesmal scheiterte er an den Regeln: Zwischen der letzten Prüfung und der Diplomarbeit war zu viel Zeit vergangen. Gefrustet warf er das Handtuch.

Über 20 Prozent eines Studienanfängerjahrgangs kommen in Deutschland nicht zum Ziel, geht aus der jüngsten Untersuchung des Hochschulinformationssystems (HIS) hervor. In manchen Fächern sind es weit mehr. Über einige Jahre hinweg kommen so Zehntausende zusammen, die die Hochschulen mit vielen Scheinen aber ohne Abschluss verlassen haben, weil sie sich nicht zum Examen aufraffen konnten. Die Erfahrung, nach Jahren des Studiums keinen Abschluss erreicht zu haben, verursacht bei vielen von ihnen noch lange später das schlechte Gefühl, gescheitert zu sein.

Bis vor ein paar Wochen auch bei André Preuß. Da erfuhr er von Tobias Roßmann, wie er vielleicht doch noch zu einem Hochschulabschluss gelangen könnte: zu einem Bachelor of Science. Roßmann ist Studentenvertreter beim ReferentInnenRat (Refrat) der Humboldt-Universität. Als solcher sparte er in den Wochen des Bildungsstreiks nicht mit Kritik am Zustand überfrachteter Bachelor-Studiengänge. Doch der Refrat kann dem Bachelor durchaus auch Gutes abgewinnen: Die Studierendenvertretung empfiehlt Abbrechern der auslaufenden Magister- und Diplomstudiengänge, sich mit ihren Studienleistungen in die meist nur dreijährigen Bachelor-Studiengänge einstufen zu lassen: „In vielen Fällen reichen die erworbenen Scheine und Prüfungen aus, um direkt zur Bachelor-Arbeit zugelassen zu werden“, sagt Roßmann.

Konservativ geschätzt besitzen bundesweit deutlich über 100 000 Studienabbrecher die Voraussetzungen für eine zeitnahe Zulassung zur BA-Abschlussarbeit – allein in Berlin über 15 000, hat der Refrat auf Grundlage von Abbrecherzahlen mehrerer Hochschulen und des HIS errechnet. Enthalten sind nur die Abbrecher mit Zwischenprüfung oder Vordiplom. Auch wer nicht so weit vorgedrungen ist, kann sich Studienleistungen anrechnen lassen – dann allerdings sind bis zur Abschlussarbeit noch weitere Leistungen zu erbringen.

Grundsätzlich läuft die Anerkennung so ab: Abschlusswillige sammeln ihre Zeugnisse und Scheine. Verloren gegangene Unterlagen können von der entsprechenden Stelle meist nochmals ausgestellt werden. Anhand der im Internet veröffentlichten Studien- und Prüfungsordnungen kann der Bewerber die bisherigen Leistungen den Modulbeschreibungen der neuen Bachelor-Studiengänge zuordnen. Sofern erhältlich, sollten Anerkennungs-Formulare ausgefüllt und diese zusammen mit den zugehörigen Kopien der Leistungsnachweise beim zuständigen Prüfungsbüro vorgelegt werden. Auf dieser Grundlage wird der Interessierte dann in ein höheres Fachsemester eingestuft. Im Anschluss bewirbt man sich an der jeweiligen Hochschule. Für das Sommersemester 2010 endet die Bewerbungsfrist am Freitag, 15. Januar. Für höhere Semester und in anderen Bundesländern können auch andere Fristen und Regeln gelten. Nach Auffassung des Ref rats stehen die Chancen gut, genommen zu werden, weil in höheren Fachsemestern des Bachelors „meist noch gähnende Leere herrscht“. Auch für die Hochschulen seien die zurückgeholten Abbrecher ein Gewinn: Schließlich gebe es, etwa mit den Berliner Hochschulverträgen, für jeden Absolventen Geld vom Staat, und der Lehraufwand sei bei den Abbrechern gering. Roßmann rechnet daher mit wohlwollender Anerkennung früherer Leistungen.

Auch Steffan Baron, Leiter der Studienabteilung der HU, ermuntert Abbrecher, sich zu bewerben – gerade wenn Zwischenprüfung oder Vordiplom schon geschafft waren. Für die Hochschulen sei das auch nichts Neues: Bereits seit Beginn der Umstellung werde Studenten auslaufender Magister- und Diplom-Studiengänge der Wechsel in Bachelor und Master angeboten. Auch bei Abbrechern sei dies möglich, da diese ihren Prüfungsanspruch behielten. Zudem sei die Anerkennungspraxis in den vergangenen Jahren verbessert worden.

Allerdings rechnet Baron kaum mit großem Zulauf. Viele Abbrecher hätten die Uni längst hinter sich gelassen. Zudem dämpft Baron die Hoffnung des Refrats auf freie Plätze im Bachelor: Viele Bachelor-Studiengänge, die schon mehrere Jahre laufen, seien inzwischen auch in höheren Semestern gut gefüllt: „Die Kapazitäten sind begrenzt.“ Dennoch rät er Interessierten zur Bewerbung: Sofern Studienplätze frei seien, müssten diese von den Hochschulen auch vergeben werden. Studentenvertreter Roßmann rät im Zweifel sogar zu einer Studienplatzklage.

Hans-Werner Rückert, Leiter von Studienberatung und Psychologischer Beratung der Freien Universität, kennt die vielen Motive der Abbrecher: „Etwa in der New-Economy-Zeit wurden viele Studenten wegen ihrer Computer-Kenntnisse in Unternehmen geholt.“ Gerade für jene, die später in berufliche Sackgassen gerieten, könne die Rückkehr zur Uni ein Gewinn sein. Rückert rät jedoch davon ab, nur mit Blick auf den Abschluss zurückzukehren: „Auch wenn es vielleicht nur noch ein oder zwei Semester sind – ohne Motivation wird es nicht funktionieren.“

Auch Michael Tolksdorf, Erster Prorektor der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), sieht in der Ref rat-Empfehlung eine Chance – warnt aber vor Risiken: Der Bachelor sei ein „in sich stimmiges Studium“. Darum sei die Anerkennung der Leistungen aus alten Studiengängen „ein wenig zufällig“. Der Eindruck dürfe nicht entstehen, der Bachelor sei „ein Studiengang für Leute, die das Diplom nicht geschafft haben“.

Etwas verhalten reagiert denn auch Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz: „Einen Bachelor bekommt man nicht für einen Studienabbruch, sondern für erbrachte Prüfungsleistungen einschließlich einer Abschlussarbeit, die im Durchschnitt mehr als zwei Monate Arbeit umfasst“, teilt sie auf Anfrage mit. Die Hochschulen würden „im Einzelfall sachgerecht prüfen“, ob die früheren Studienleistungen inhaltlich passen. „Wer dann die Abschlussarbeit und eventuell notwendige weitere Prüfungen erfolgreich absolviert, geht einen richtigen Weg“, erklärt Wintermantel.

Dieser Weg kann an manchen Unis durchaus steinig werden. Der Germanist Oliver Jahraus, Bologna-Beauftragter der Uni München, weist darauf hin, dass Bachelor-Studenten für die Anmeldung zur Abschlussarbeit erheblich mehr Leistungsnachweise vorlegen müssen als Magister: „Formal waren dafür nur vier Hauptseminarscheine vorzulegen, beim Bachelor werden insgesamt 40 Leistungsnachweise verlangt.“ Immerhin sind Bewerbungen in Bayern häufig nicht notwendig – in viele Studiengänge kann man sich einfach einschreiben.

André Preuß hat seine Scheine beisammen. In diesen Tagen legt er sie dem Prüfungsbüro vor. Wenn alles gut läuft, kann er im Sommersemester seine Bachelor-Arbeit schreiben – und wäre dann im Herbst fertig.

Mehr im Internet unter:

www.refrat.de/article/1512.html

Günter Bartsch

Zur Startseite