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Nur bei jedem fünfzigsten Jungen ist eine Beschneidung unter Umständen notwendig, berichtet das Fachblatt „British Medical Journal“

© Oliver Berg/dpa

Beschneidung: Der intakte Mann

Weltweit ist jeder sechste Mann beschnitten - oft aus religiösen Gründen. Medizinisch ist eine Beschneidung meist unnötig.

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Als ich Medizin studierte, waren viele Urologen davon überzeugt, dass die männliche Vorhaut eine ziemlich entbehrliche Sache ist. Gern und viel und aus geringem Anlass wurden kleine Jungs beschnitten. Noch weiter verbreitet war die Prozedur, Zirkumzision genannt, in Nordamerika, wo so ziemlich jeder Knabe um die Vorhaut seines Penis’ gebracht wurde. Dabei wird bei der Operation Gewebe entfernt, das mit Schleimhaut und empfindlichen Hautnerven ausgestattet und für die spätere sexuelle Erlebnisfähigkeit von Bedeutung ist. Hinzu kommen Operationsrisiken, etwa die Gefahr von Infektionen und Narben.

Erst die Schwulenbewegung führte in den USA zu einem Umdenken. Jeder Mann sollte das Recht auf seine Vorhaut haben, forderte sie. Inzwischen empfehlen amerikanische Kinderärzte das routinemäßige Beschneiden nicht mehr. „Eine medizinische Notwendigkeit zur Beschneidung besteht schon lange kaum noch“, sagt der Urologe Stefan Loening von der Berliner Uniklinik Charité.

"Beschnitten oder nicht – da hilft nur waschen"

Als häufiger Grund für eine Zirkumzision wurde früher die Vorhautverengung, die Phimose, angesehen. Aber es ist ganz normal, dass die Vorhaut bei kleinen Kindern noch hier und da mit der Eichel verwachsen ist. Auch eine bei manchen kleinen Jungen vorhandene rüsselförmige Vorhaut geht mit der Zeit zurück, das ist kein Grund zur Sorge. Mit fünf Jahren haben noch drei von vier Jungen Verwachsungen zwischen Eichel und Vorhaut. In der Pubertät hat dann nur noch jeder hundertste Jugendliche eine Phimose.

Für die Zirkumzision wird nicht selten die angeblich bessere Hygiene angeführt. „Beschnitten oder nicht – da hilft nur waschen“, stellt dagegen Reinhard Bitterlich vom Berliner Kinderurologie-Zentrum klar. Auch die Behauptung, dass Frauen infolge der Beschneidung beim Sex besser vor potenziell krebsauslösenden Papillomaviren geschützt seien, lässt Bitterlich nicht gelten. „Das Risiko der Frau steigt mit der Zahl ihrer Sexualpartner, weil diese verschiedene Viren übertragen.“

Weltweit ist jeder sechste Mann beschnitten

Manchmal allerdings kann eine Zirkumzision erforderlich sein, insbesondere bei wiederkehrenden Entzündungen. Meist helfen hier aber zunächst Medikamente. Außerdem gibt es heute eine Reihe von Operationsverfahren, mit denen die Vorhaut weitgehend geschont werden kann. Insgesamt ist es nur jeder fünfzigste Junge, bei dem eine Beschneidung unter Umständen notwendig wird, berichtet das Fachblatt „British Medical Journal“.

Trotzdem ist weltweit jeder sechste Mann beschnitten. Die Zirkumzision ist der häufigste Eingriff beim Mann überhaupt und wird seit mehr als 15.000 Jahren aus rituellen Gründen praktiziert. Heute ist die Beschneidung bei Juden und Moslems Routine. Kritiker fordern, den Eingriff erst dann zu machen, wenn der Betroffene älter ist und selbst entscheiden kann. Ich fürchte allerdings, es wird noch etwas dauern, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt. Wenn auch nicht 15.000 Jahre.

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