zum Hauptinhalt
Stammzellen

© dpa

Streit um Stammzellen: Die Falle der Politik

Heute debattiert der Bundestag über eine Lockerung des deutschen Stammzellgesetzes. Es ist eine Frage um Leben, Tod und Moral. Selbst die Kirche ist sich nicht mehr einig. Wie soll es da die Politik sein?

Die deutsche Politik macht es sich und der deutschen Forschung nicht immer leicht. Nicht leicht, wenn es um Fragen der Eugenik und um die bei biowissenschaftlichen Experimenten mögliche Vernichtung werdenden Lebens geht. Hier so skrupulös zu sein, wie es der Bundestag im Februar 2002 bei seinem Kompromiss über den Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken war, ehrte die damals von jedem Fraktionszwang befreiten Parlamentarier. Den Schutz und die Würde menschlichen Lebens nicht aus Gründen einer gleichfalls humanitären, etwa mit dem medizinischen Fortschritt oder mit polizeilichen Zwängen begründeten Zweckmäßigkeit zur Disposition zu stellen, ist ja ein absolutes Gebot der Verfassung. Es gilt ebenso für das Verbot zu foltern.

Aber ist dieser Vergleich hier überhaupt zulässig? Jedenfalls diskutiert der Bundestag sein altes und demnächst wohl modifiziertes Stammzellgesetz auch jetzt wieder: als Frage auf Leben und Tod. Nach dem bisherigen Kompromiss dürfen deutsche Labors an embryonalen Stammzellen forschen, wenn diese vor dem 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden. Überzählige Embryonen entstehen bei der auch hierzulande zulässigen künstlichen Befruchtung. Freilich dürfen Embryonen in zahlreichen ausländischen Staaten anschließend noch zur Gewinnung von Stammzellen zerstört werden. In Deutschland müssen solche Embryonen, wenn sie nicht der Befruchtung dienen, theoretisch auf ewig eingefroren werden. Das dient der Moral, das allemal. Aber noch nicht unbedingt einem Realität werdenden menschlichen Leben.

Nun wankt der Stichtag 1. Januar 2002. Die deutsche Forschung sollte nur die bis zu diesem Tag ohnehin bereits gewonnenen Stammzellen nutzen dürfen, aber keine seitdem durch die unvermeidliche Tötung von Embryonen eigens erzeugten Zellen. Allerdings plädiert selbst der höchste evangelische Würdenträger, Bischof Wolfgang Huber, für eine „einmalige“ Verschiebung des Stichtags. Offenbar wünscht auch eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten zumindest eine bis 2007 verlängerte neue Stichtagsregelung. Gegen Proteste der katholischen Kirche und aus den eigenen Reihen meint Bischof Huber, dass „eine zu starre Haltung einer viel weitergehenden Liberalisierung Vorschub“ leiste.

Deutsche „Sondermoral“ ist nicht mehr zu halten

Den Druck auf die Politik erzeugen mehrere Argumente: So seien die Stammzellen vor 2002 inzwischen verunreinigt; deutsche EU-Gelder flössen längst auch in europäische Vorhaben, bei denen jüngere Stammzellen verbraucht würden; unsere Wissenschaftler stünden bei solchen internationalen Kooperationen nach deutschem Recht als Beihelfer zu Tötungsdelikten bereits mit einem Fuß im Gefängnis. Und würden embryonale Stammzellen irgendwann einmal nachweislich der Entwicklung einer wirksamen Krebs- oder Parkinsontherapie dienen, dann sei eine deutsche „Sondermoral“ sowieso nicht mehr zu halten.

Also eine andere Moral? Oder etwas mehr Doppelmoral? Das ethische Problem wäre zumindest politisch gelöst, wenn die in Artikel 1 des Grundgesetzes statuierte Menschenwürde nicht – wie jetzt – schon einer befruchteten Eizelle, sondern erst dem in die Gebärmutter eingenisteten Embryo zuerkannt würde. Das fordern viele Wissenschaftler, auch Ethiker und Juristen, weil erst dann die rein biologische, noch geschlechtslose Potentialität zur individuellen Menschwerdung gereift sei. So halten es zahlreiche Rechtsstaaten, von Großbritannien bis Israel.

Der Bundestag und dann die Regierung müssten sich auch noch einmal schmerzhaft klarmachen, dass in der Stammzellenfrage einer mikroskopischen Zellblase strafrechtlich mehr Existenzrecht eingeräumt wird als einem schon leibhaftig gewordenen Menschenleben – das aus konkurrierenden humanitären Gründen sanktionslos abgetrieben werden darf. Hinzu kommt bei jeder Stichtagsregelung ein kategoriales moralisches Dilemma. Denn wenn man für früheste Embryonen bereits einen absoluten Schutz postuliert, dann kann eine verbotene Frucht nicht vor einem beliebig bestimmten Tag weniger verboten sein als am Tag danach.

Der moralische Kompromiss kostet also Moral. Das ist die Falle der Politik.

Zur Startseite