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Er starb allein auf der Corona-Intensivstation: Seit vier Jahren versuche ich, mich von meinem Vater zu verabschieden
Nach dem Tod ihres Vaters kämpft unsere Autorin mit Albträumen. Der Versuch ihres Gehirns, das nachzuholen, was ihr damals verwehrt blieb.
Stand:
Ich habe einen wiederkehrenden Traum. Ich bin in einem Krankenhaus und öffne die Tür zu einem Zimmer. Ich sehe meinen Vater in einem Bett liegen, unter weißen Bettlaken, vor einer knallgelben Wand, um ihn herum türmen sich medizinische Geräte, die surren und piepen und blinken, als wollten sie mir etwas Dringendes mitteilen. Aber meine Augen, meine Ohren, mein ganzer Körper wendet sich meinem Vater zu.
In meinem Traum versucht mein Vater aufzustehen, aber unsichtbare Hände halten ihn zurück. Er sagt leise: „Miray, ich möchte hier nicht sterben.“ Ich werfe die Bettlaken zurück, die nach Chemie riechen, hieve meinen Vater hoch. Ein großer, starker Mann, eingehüllt in einem übergroßen, blauen, hässlichen Patientenkittel, der ihn so klein erscheinen lässt, als wäre er ein Kind.
Ich drehe mich um und gehe zu einem schmalen Schrank, hole Jeans und Pullover heraus. Ich reiche sie ihm, ängstlich und wütend. Ich möchte weg. Mit ihm. So schnell wie nur irgend möglich. Das Krankenhauszimmer und den Albtraum ein für allemal zurücklassen.

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