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Sonnenflecken

© picture-alliance/ dpa

Wenn die Sonne Pause macht: Droht eine "Kleine Eiszeit"?

In etwa 15 Jahren könnte das Klima merklich abkühlen, sagt eine britische Forscherin. Die Aktivität der Sonne erreiche den niedrigsten Stand seit 370 Jahren. Andere sind skeptisch.

Von Rainer Kayser, dpa

Alle reden von der globalen Erwärmung – die Sonnenforscherin Valentina Zharkova von der Universität von Northumbria in Newcastle upon Tyne in Großbritannien hält dagegen: „Im übernächsten Zyklus erreicht die Aktivität der Sonne den niedrigsten Stand seit 370 Jahren. Also wie zur Kleinen Eiszeit.“ Zwischen 2030 und 2040 werde es in Mittelengland 1,5 bis 2 Grad kälter sein, sagt die Wissenschaftlerin voraus. „In Zentraleuropa und auf anderen Kontinenten kann der Effekt deutlich stärker sein.“

Also frieren statt schwitzen, zugefrorene Flüsse statt Palmen am Nordseestrand? Zharkovas Fachkollegen reagieren mit Skepsis auf die Hypothese, die sie kürzlich auf einer Tagung in Wales vorgestellt hat. „Die Sonnenaktivität wird von hochgradig nicht linearen Prozessen angetrieben“, sagt Sami Solanki, der die Erforschung unseres Zentralgestirns am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen leitet. Für den aktuellen Zyklus mit seiner vergleichsweise niedrigen Aktivität reichten die Vorhersagen von extrem geringer bis außergewöhnlich starker Aktivität. Jede einzelne basierte auf höchst komplexen, wissenschaftlich fundierten Modellen, sagt er. „Verglichen mit diesen Modellen ist das Modell von Frau Zharkova ausgesprochen einfach.“

Die Aktivität der Sonne – sichtbar vor allem in Form dunkler Flecken auf der Oberfläche – schwankt mit einer Periode von etwa elf Jahren, wobei es auch einmal neun oder dreizehn Jahre sein können. Als Motor fungiert das Magnetfeld der Sonne, so viel ist klar. Lokal starke Magnetfelder verhindern beispielsweise, dass heiße Materie aus dem Sonneninneren aufsteigt. Dadurch kühlen diese Gebiete um rund 1500 Grad ab und erscheinen im Kontrast zu ihrer 5500 Grad Celsius heißen Umgebung dunkel.

Die Zyklen der Sonnenaktivität sind rätselhaft

Die starken Magnetfelder der Sonnenflecken reichen weit ins All hinaus und bilden dabei oftmals verwickelte Strukturen. Wenn diese Magnetfeldknäuel sich entwirren und umgruppieren, setzen sie immense Energien frei. Bei den gewaltigen Eruptionen werden große Mengen elektrisch geladener Materie aus der heißen Sonnenkorona mit hohen Geschwindigkeiten ins All hinauskatapultiert. Treffen die hochenergetischen Teilchen auf die Magnetosphäre der Erde, so können sie erhebliche Störungen der Telekommunikation, Satellitenabstürze und großräumige Stromausfälle auslösen.

Bereits der zyklische Verlauf der Sonnenaktivität ist für die Forscher schwer zu erklären. Noch größere Probleme bereitet ihnen das scheinbar zufällige Schwanken der Länge und vor allem der Stärke der Aktivitätszyklen. Mitunter scheint die Sonne sogar ganz und gar Pause zu machen: So gab es in der Zeit zwischen 1645 und 1715, also über sechs Zyklen hinweg, nahezu keine Sonnenflecken. Dieses sogenannte Maunderminimum lag mitten in der als „Kleine Eiszeit“ bezeichneten Klimaanomalie, einer Epoche lang andauernder extrem kalter Winter und regenreicher kühler Sommer. In Europa führte dieses Wetter zu Missernten und Hungersnöten. Im Winter 1422/23 fror sogar die Ostsee zu, man konnte mit dem Pferdeschlitten von Deutschland nach Schweden reisen.

Wie das Magnetfeld der Erde, so wird auch das Magnetfeld der Sonne nach Ansicht der Forscher durch einen Dynamoeffekt produziert. Doch wo sich dieser Dynamo befindet und wie er genau funktioniert, darüber herrscht keinerlei Einigkeit. „Wir wissen heute sogar weniger darüber, als wir vor zehn Jahren zu wissen glaubten“, gesteht Solanki ein. Klar sei lediglich, dass es sich bei dem Sonnendynamo um ein chaotisches System handele, bei dem kleine Störungen große Wirkungen verursachen können – ganz ähnlich wie beim Wetter auf der Erde. „Das macht die Vorhersage der Aktivität so schwierig“, sagt er.

Viele Modelle versagen bei der Vorhersage

Zharkova und ihre Kollegen haben ein Modell entwickelt, bei dem nicht einer, sondern gleich zwei in unterschiedlicher Tiefe angesiedelte Dynamos die Aktivität antreiben. Beide Dynamos haben Perioden von etwa elf Jahren, die aber nicht exakt übereinstimmen. Dadurch arbeiten sie mal im Gleichschritt und verursachen starke Aktivitätszyklen, mal asynchron gegeneinander und führen so zu Maunder-ähnlichen Minima der Aktivität. „Wir haben die Ergebnisse unseres Modells mit den Beobachtungen des gegenwärtigen Zyklus verglichen“, sagt Zharkova. „Die Genauigkeit betrug 97 Prozent.“

Aus diesem Erfolg leitet die Forscherin ihr Vertrauen auf die Vorhersagekraft des Modells ab. Das für 2022 erwartete Maximum des kommenden Zyklus fällt demnach deutlich niedriger aus. Für den übernächsten Zyklus von 2030 bis 2040 sagt das Modell ein Maunderminimum voraus. Solanki bleibt skeptisch: „Auch andere Modelle liefern korrekte Daten für frühere Zyklen. Trotzdem versagen sie vollkommen bei der Vorhersage.“

Selbst wenn die Vorhersagen des Zharkova-Modells sich als korrekt erweisen sollten – eine Kleine Eiszeit muss deshalb nicht heraufziehen. Zwar lässt sich aus historischen Klimadaten tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Sonnenaktivität und mittlerer Temperatur auf der Erde ableiten. Doch bei der insgesamt vom Beginn des 15. bis in das 19. Jahrhundert hinein andauernden Kleinen Eiszeit spielten nach heutigen Erkenntnissen neben dem Maunderminimum auch eine ungewöhnliche Häufung von Vulkanausbrüchen und möglicherweise sogar Schwankungen der Erdumlaufbahn eine Rolle. Zudem war die klimatische Ausgangssituation beim Maunderminimum eine völlig andere, betont Solanki: „Heute beobachten wir einen durch den Menschen verursachten globalen Temperaturanstieg. Eine Verringerung der Sonnenaktivität mag diesen Anstieg eine Zeit lang bremsen – aber sicherlich nicht umkehren.“

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