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Ein aus Javaneraffen-Stammzellen hergestelltes Embryoid.

© Zhen Liu et al. Chinese Academy of Sciences (CAS) in Shanghai

Ein Durchbruch?: Erstmals künstliche Affen-Embryonen erschaffen – und in „Leihmütter“ eingesetzt

Wissenschaftlern aus China ist es offenbar gelungen, aus Stammzellen von Javaneraffen Embryoide zu züchten und sie in die Gebärmutter von Weibchen zu transplantieren. Was das für die Forschung bedeutet.

Wissenschaftlern aus China ist es offenbar gelungen, aus Stammzellen von Javaneraffen synthetische Embryonen – auch genannt Embryoide – zu züchten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“ veröffentlicht. Bislang waren ähnliche Ergebnisse bei Mäuse-Embryonen durchgeführt worden, wie Science Media Center (SMC) berichtet.

Einem Team um Zhen Liu von der Chinese Academy of Sciences (CAS) in Shanghai zufolge wurden die Embryoide im Labor aus sogenannten pluripotenten Stammzellen erzeugt und ähnelten der von durch Befruchtung entstandenen Embryonen von Javaneraffen im Stadium von acht bis neun Tagen.

Anzeichen einer frühen Schwangerschaft

Pluripotente Stammzellen können im Labor „aus praktisch jedem Zelltyp hergestellt werden – sei es aus Zellen der Haarwurzel, aus dem Blut, aus der Haut oder sogar aus dem Urin, in dem sich Zellen der Harnwege befinden“, erklärte Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen im Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen, dem SMC. 

Ein Teil dieser künstlichen Embryonen wurde am achten Tag in „Leihmütter“ transplantiert, während ein anderer Teil in der Zellkultur verblieb. Bei drei von acht Affenweibchen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hormonelle Anzeichen einer frühen Schwangerschaft nachweisen.

Allerdings beobachteten sie keine weitere Entwicklung der Embryoide im Körper der Affenmütter. In der Zellkultur dagegen entwickelten sich einzelne künstliche Embryonen bis zum achtzehnten Tag weiter, bevor sie kollabierten.

„Erstaunliche Fähigkeit der Selbstorganisation“

Aus Sicht der Forschenden zeigen die Experimente eine „erstaunliche Fähigkeit der Selbstorganisation von Säugetier-Embryoiden im Reagenzglas“. Sie sehen den Nutzen ihres neuen Tiermodells darin, die frühe Embryonalentwicklung und die Einnistung von Embryonen in die Gebärmutter bei Primaten untersuchen zu können. Dadurch könnten Experimente an menschlichen, synthetischen Embryonen vermieden und ethische Bedenken entschärft werden.

Der rasante Fortschritt in der Forschung lässt es möglich erscheinen, dass sich Embryoide zukünftig auch zu lebensfähigen Organismen entwickeln könnten.

Rüdiger Behr, Leiter der Forschungsplattform Degenerative Erkrankungen im Leibniz-Institut für Primatenforschung

Bisher sind Experimente mit menschlichen Embryonen weltweit beschränkt. Durch künstliche Befruchtung gewonnene menschliche Embryonen dürfen maximal bis zu 14 Tage nach der Befruchtung oder bis zur Bildung des sogenannten Primitivstreifens, eine frühembryonale Zellstruktur, im Reagenzglas erzeugt werden.

Allerdings hat die Wissenschaftsorganisation „International Society for Stem Cell Research“ 2021 empfohlen, diese 14-Tage-Regel für ausgewählte Fälle zu lockern. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz bisher Experimente an menschlichen Embryonen. Die rechtliche Einordnung von synthetischen, aus Stammzellen reprogrammierten Embryonen, bleibt allerdings weltweit unklar.

Übertragung nicht erfolgreich

Deutsche Forscher werteten die Ergebnisse als wichtige Erkenntnisse; es handele sich aber nicht um einen Durchbruch. „Das, was wir von künstlichen Affen-Embryonen lernen können, gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für uns Menschen“, sagte Rüdiger Behr.

Allerdings sei die Übertragung der künstlichen Affen-Embryonen auf „Leihmütter“ nicht grundsätzlich erfolgreich gewesen. So hätten sich die Embryoiden in der Gebärmutter nicht stabil eingenistet; es gebe keinen Ansatz von Organentwicklung. „Die Embryoide wurden stattdessen offenbar resorbiert – von den Gebärmutterzellen abgebaut – und waren damit verschwunden. Aber die Studie zeigt, dass Affen-Embryoide zumindest eine biochemisch nachweisbare, sehr frühe Schwangerschaft induzieren konnten.“

Ein aus Javaneraffen-Stammzellen hergestelltes Embryoid.
Ein aus Javaneraffen-Stammzellen hergestelltes Embryoid.

© Zhen Liu et al. Chinese Academy of Sciences (CAS) in Shanghai

„Es kann heute nicht ausgeschlossen werden, dass Embryoide im Vergleich zu echten Embryonen grundlegende Unterschiede aufweisen, die einer vollständigen Entwicklung der Embryoide zu einem lebensfähigen Organismus im Wege stehen“, sagte Behr. „Aber der rasante Fortschritt in der Embryonen- und Embryoid-Forschung lässt es möglich erscheinen, dass sich Embryoide zukünftig auch zu lebensfähigen Organismen entwickeln könnten.“

Ein weiterer großer Meilenstein wird es sein, synthetische Embryonen auch in anderen Spezies herzustellen. Die vorliegende Arbeit kann jedoch nur einen sehr kleinen Teil dazu beitragen.

Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, betonte, Affen-Embryonen seien menschlichen Embryonen evolutionär deutlich näher als Maus-Embryonen. Das bedeute aber auch, dass es deutlich komplizierter sei, künstliche Affen-Embryonen herzustellen. Da die künstlichen Embryonen nicht überlebensfähig gewesen seien, liefere das Experiment keine wesentlichen, zusätzlichen Erkenntnisse.

„Ein wirklicher Meilenstein wird es sein, wenn synthetische Embryonen die Organogenese erfolgreich durchlaufen können“, sagte Spielmann. Damit gemeint ist der Zeitraum von Tag 9 bis 13, in der sämtliche Organe angelegt werden. „Dies würde die Tür öffnen, vollständig synthetische Organe herzustellen und diese im Labor zu untersuchen.“

Derzeit würden alle Experimente vor diesem kritischen Zeitfenster scheitern. „Ein weiterer großer Meilenstein wird es sein, synthetische Embryonen auch in anderen Spezies herzustellen. Die vorliegende Arbeit kann jedoch nur einen sehr kleinen Teil dazu beitragen“, so der Forscher. (mit KNA)

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