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Blickfang. Erst Teleskope wie das Paranal Observatorium in der Atacama-Wüste in Chile ermöglichen den Blick ins Innere der Milchstraße.

© ESO/Y. Beletsky

Mit Physik-Nobelpreis ausgezeichnet: Erforschung der dunkelsten Geheimnisse des Universums

Drei Nobelpreis-Geehrte haben die Existenz von Schwarzen Löchern nachgewiesen. Das nächste Ziel ist es, Einstein zu widerlegen.

Vieles am jährlich zelebrierten Nobelpreis-Spektakel wirkt angestaubt. Etwa der holzvertäfelte Saal mit den alten Bildern im Stockholmer Karolinska Institut, in dem die Preisträger bekannt gegeben werden. Auch die Themen wirken mitunter aus der Zeit gefallen, wie beim Nobelpreis für Physik, der Dienstagmittag zwei Männern und einer Frau für den Nachweis von etwas zuerkannt wurde, das längst zum Allgemeingut gehört: der Existenz Schwarzer Löcher.

Roger Penrose wies nach, dass sie eine direkte Konsequenz der Einsteinschen Relativitätstheorie sind. Reinhard Genzel und Andrea Ghez entdeckten das supermassive Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße – genannt Sagittarius A*.

Dass es Schwarze Löcher gibt, bezweifelt kaum noch jemand – erst recht, seit im vergangenen Jahr ein Forschungsteam das erste Bild eines solchen Schwerkraftgiganten veröffentlicht hat.

Obschon die Arbeiten der Geehrten Jahrzehnte zurückliegen, sind sie maßgebliche Treiber für die Wissenschaft, bis heute und darüber hinaus.

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Gerade an Schwarzen Löchern könnten Forscherinnen und Forscher jene Ungenauigkeiten aufspüren, die – salopp gesagt – Einstein widerlegen und den Weg zu einer Erklärung der Welt weisen, die noch besser ist als dessen Allgemeine Relativitätstheorie.

Unvorstellbar dicht und massereich

Denn Schwarze Löcher sind extreme Orte, so unvorstellbar dicht und massereich, dass nicht einmal Licht ihrer Schwerkraftwirkung entkommen kann. Alles, was hinter den sogenannten Ereignishorizont gerät, lässt sich nicht mehr beobachten und bleibt für immer dort verschwunden.

Für ein Schwarzes Loch, das so schwer ist wie die Sonne, würde der Ereignishorizont inklusive Loch gerade drei Kilometer Durchmesser haben. Bezogen auf die Masse der Erde wären es neun Millimeter. Dies gibt eine Ahnung davon, dass die uns bekannten physikalischen Gesetze an diesen Orten auf das Heftigste herausgefordert werden.

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Selbst Albert Einstein bezweifelte, dass es sie wirklich gibt. 1965 zeigte der britische Theoretiker Roger Penrose, dass sich diese Objekte bilden können und beschrieb ihre Eigenschaften. Er entwickelte das Konzept einer „gefangenen Fläche“, die alle Strahlung nach innen auf das Zentrum zwingt. Bezogen auf ein Schwarzes Loch bedeutet das, dass Licht und Materie nur in einer Richtung den Ereignishorizont überwinden. Nämlich nach innen. Zeit und Raum tauschen ihre Rollen, eine Rückkehr aus dem Schwarzen Loch ist unmöglich.

Soweit zur Theorie. Den praktischen Nachweis erbrachten Reinhard Genzel und Andrea Ghez mit ihren Teams. Seit den 1990er-Jahren beobachteten sie das Zentrum unserer Milchstraße. Je näher Sterne um das mutmaßlich vorhandene Schwarze Loch kreisen, umso schneller sollte ihre Bewegung sein. Indem die Teams die Position der Sterne wieder und wieder präzise vermessen, können sie deren Bewegung nachvollziehen.

Das schwache Licht eines Sterns durch Gas- und Nebelwolken hindurch 16 Jahre lang verfolgt

Dies ist keineswegs trivial. Die Astronomen müssen leuchtstarke Sterne finden, deren Licht über gut 26.000 Lichtjahre auszumachen ist, durch alle Gas- und Nebelwolken hindurch und vor allem auch durch die Atmosphäre der Erde. Die Luft über den Teleskopen ist nicht perfekt in Ruhe. Es gibt Strömungen, warme und kühle Regionen, die wie Linsen wirken: Das Licht eines Sterns erscheint auf den Messgeräten nicht als Punkt, sondern als verwaschener Fleck.

Auge des Schwerkraftstrudels. Im Zentrum der Milchstraße zieht ein Schwarzes Loch, Sagittarius A*, alle Materie an.
Auge des Schwerkraftstrudels. Im Zentrum der Milchstraße zieht ein Schwarzes Loch, Sagittarius A*, alle Materie an.

© Nasa

„Es war ein Wettbewerb der Systeme“, erinnert sich Genzel am Dienstag auf einer improvisierten Pressekonferenz an seinem Institut für Extraterrestrische Physik der Max-Planck-Gesellschaft. „Andrea und ihr Team mit dem Keck-Observatorium auf Hawaii, wir mit der Europäischen Südsternwarte in Chile.“

Beide Gruppen entwickeln die Technik immer weiter, um schärfere Bilder zu bekommen. Dank digitaler Lichtsensoren und adaptiver Optik bekommen sie am Ende rund tausendmal bessere Bilder als zu Beginn der Messreihen. Indem mehrere Teleskope zusammengeschaltet werden, lässt sich die Auflösung abermals steigern. „Heute sind wir so gut, dass wir eine 1-Euro-Münze auf dem Mond erkennen würden“, sagt Genzel.

Neben hervorragender Technik spielt auch die Zeit eine große Rolle. Der Stern S-02 etwa, dessen Weg die Astronomen genau verfolgen, hat Sagittarius A* erst nach 16 Jahren einmal umrundet. Was natürlich nichts ist im Vergleich zu den weiter draußen kreisenden Sternen wie etwa unsere Sonne: Die braucht mehr als 200 Millionen Jahre für eine Umrundung.

Materie von rund vier Millionen Sonnenmassen

Die Bewegungsprofile, die S-02 und rund 30 weitere Sterne nahe des Zentrums der Milchstraße hinterlassen, passten hervorragend zu den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Daraus folgerten die Forscher, dass dort ein Schwarzes Loch sein muss, in dem sich Materie von rund vier Millionen Sonnenmassen in einer Region so groß wie unser Sonnensystem drängt.

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Nun, da sie die höchste Ehrung zugesprochen bekommen haben, sollte die jahrelange kollegiale Konkurrenz zwischen Ghez und Genzel ein Ende haben, sagt der Garchinger Forscher, der an diesem Tag besonders gute Laune und Optimismus versprüht. „Ich würde künftig gern mit ihr gemeinsam weitermachen.“

Zu tun gäbe es genug, denn: „Die Allgemeine Relativitätstheorie, so heilig sie sein mag, sie ist nur ein Übergang.“ Irgendwann werde eine Gruppe kommen und eine Verbesserung vorschlagen.

Sind Schwarze Löcher der Schlüssel zu einer neuen Physik?

Zahlreiche Forscher hoffen darauf, mit Hilfe Schwarzer Löcher die Grenzen der Einsteinschen Theorie zu finden. Denn was da im Innern der Schwerkraftgiganten geschieht, kann sie nicht erklären. Wo zeigt sie Schwächen? Neben der optischen Astronomie, wie sie Genzel und Ghez betreiben, wird dazu auch Radioastronomie und Gravitationswellenastronomie genutzt. An irgendeiner Stelle müssen sich Messwerte deutlich von den Vorhersagen der Theorie unterscheiden.

„Wo das ist, weiß jetzt noch keiner“, sagt der Radioastronom Heino Falcke von der Radboud Universität Nimwegen. Seine Hoffnung: Bereits in der Nähe des Schwarzen Lochs könnte es die gesuchten Abweichungen geben. Daher untersuchen er und weitere Forscher mit dem Teleskopverbund „Event Horizon Telescope“ (EHT) verschiedene Schwarze Löcher sehr genau, studieren ihre Rotation und deren Einfluss auf die Umgebung. Er ist zuversichtlich, dass die Kollaboration etwas aufspüren wird, „wenn da was ist“. Das wird aber dauern, bisher haben alle Daten des EHT Einstein bestätigt.

Demnächst könnte es eine weitere Bestätigung geben, zwar nicht für Einstein, aber zwei andere Nobelpreisträger: Genzel und Ghez. Denn das EHT beobachtet auch das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Die Auswertung der Daten sei allerdings schwieriger als für M87, dessen Bild im April 2019 veröffentlicht wurde, berichtet Anton Zensus vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Da hatten wir relativ schnell ein belastbares Ergebnis, für Sagittarius A* benötigen wir mehr Zeit für Simulationen und Checks, um uns wirklich sicher zu sein“, erläutert er. „In absehbarer Zeit“, werde es etwas geben, sagt er. Vielleicht klappt es ja sogar noch vor dem 10. Dezember. An diesem Tag werden Penrose, Genzel und Ghez ihre Nobelpreise überreicht.

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