
© Jorge Sereno
Europäische Fledermäuse jagen gezielt Vögel: „Als würde ich beim Joggen ein 35 Kilo schweres Tier fangen und fressen“
Längst nicht nur Insekten gehören zum Beuteschema von Fledermäusen. Dänische und spanische Forschende haben entdeckt, dass die Tiere im Flug auch Singvögel überfallen – und fressen.
Stand:
Die größten Fledermäuse Europas machen neben Insekten auch Jagd auf Vögel. Das fand ein Forscherteam der Universität Aarhus und der Doñana Biological Station in Sevilla heraus. In geringer Höhe, gut zu beobachten, fangen die Riesenabendsegler vor allem Insekten. Im Fachmagazin „Science“ berichtet das Team, dass die Fledermäuse in größeren Höhen von mehreren hundert Metern auch andere Beute jagen – nämlich Singvögel auf der Wanderung.
Für die Studie hat sich das Team gewissermaßen auf den Rücken von 14 Fledermäusen begeben und sie mit kleinen „Rucksäcken“ ausgestattet. Über Mini-Sender konnten die Forscher Bewegung, Beschleunigung und Flughöhe der Fledermäuse aufzeichnen und alle Geräusche, inklusive der Echoortungsrufe, mithören.
Jagd in der Dunkelheit – mit Technik und Taktik
So kam eine Jagdtechnik ans Licht, die in absoluter Dunkelheit stattfindet, wie Studienautorin Laura Stidsholt erklärt: „Durch die Nutzung von Ultraschall-Lokalisierung, langwierigen Verfolgungsjagden und dem Essen der Beute in der Luft können die Fledermäuse nachtaktive wandernde Sperlingsvögel in großen Höhen jagen.“ Für die meisten Raubtiere bleibe diese Nahrungsquelle weitgehend unzugänglich.

© Elena Tena
Die Sperlinge sind extrem wendig. Tagsüber sind sie mit Ausweichmanövern wie ausdauernden Sprints, Loopings und Spiralen in der Lage, sogar Raubvögeln wie Falken zu entkommen.
Das gleiche Verhalten wenden sie auch nachts an. Hinzu kommt: Ein Sperling wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus. „Das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilo schweres Tier fangen und fressen“, verdeutlicht Stidsholt von der Universität Aarhus.
Aber Flügelfunde, Kotanalysen und andere Studien zeigen: Irgendwie gelingt es den Fledermäusen trotzdem, die Vögel zu fangen. Wie genau, war die letzten 25 Jahre ein Rätsel, das nun dank der Mini-Sender auf dem Rücken der Fledermäuse geklärt werden konnte.
Hunderte Angriffe aufgezeichnet
„Insgesamt verzeichneten wir 611 Angriffe“, so die Forschenden. Davon seien 609 durch wenige Summtöne, kurze Verfolgungsjagden und geringe Höhen, knapp 50 Metern über dem Boden gekennzeichnet gewesen. Solche Angriffe entsprechen dem Flugmuster vieler europäischer Fledermäuse bei der Insektenjagd.
Zwei Angriffe jedoch stachen besonders hervor. Für sie stiegen die Fledermäuse auf eine Höhe von über 400 Metern auf und begaben sich dann – nach dem Lokalisieren der Beute durch Ultraschall-Echolokalisierungsrufe auf niedrigen Frequenzen – sturzartig nach unten. Anders als Insekten können Vögel die Ortungsrufe der Fledermäuse nicht hören und erkennen die Gefahr erst im letzten Moment.
Sturzflug auf das Rotkehlchen
Die erste Fledermaus verfolgte ihre Beute rund 30 Sekunden im Sturzflug, während sie ununterbrochen Angriffslaute ausstieß. Doch der Vogel entkam.
Die zweite Fledermaus war erfolgreicher: Nach fast dreiminütiger Verfolgung fing sie ein Rotkehlchen. Das Mikrofon zeichnete 21 Notrufe des Vogels auf, dann Stille, gefolgt von 23 Minuten Kaugeräuschen der Fledermaus, die jetzt in geringer Höhe flog. Um das Rotkehlchen in der Luft zu verzehren, biss ihm die Fledermaus vermutlich die Flügel ab. So senkte sie Luftwiderstand und Gewicht.
Strategien, die sonst nur Raubvögel nutzen
Die Auswertung der Daten zeigt: Für den Angriff auf Vögel und auf große Insekten nutzen die Fledermäuse offenbar sehr ähnliche akustisch-motorische Strategien. Die Struktur der Rufe, Dreh- und Rollwinkel im Flug sowie das Verzehren der Beute in der Luft sind vergleichbar. Was sich unterscheidet, ist die Jagddauer: Während sie bei den Insekten unter 10 Sekunden liegt, dauert sie bei den Vögeln bis zu mehreren Minuten.
„Es weckt zwar Mitgefühl für die Beute, aber es ist Teil der Natur. Wir wussten, dass wir etwas Außergewöhnliches dokumentiert hatten, wonach wir so lange gesucht hatten“, beschreibt Elena Tena, Mitautorin der Studie.
Grund zur Sorge, die Fledermäuse könnten die Singvögel-Population bedrohen, gibt es laut Forschenden glücklicherweise nicht. Dafür seien die Riesenabendsegler viel zu selten. (dpa)
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