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Die Aufmerksamkeitslogik der Plattformen stehe dem „Ziel einer gut informierten Öffentlichkeit mehr im Wege“ als mangelnde Kommunikationsskills Forschender, schreibt die BBAW.

© dpa

Fall für die Ombudsstelle: Wenn Forschende bei Twitter zu dick auftragen

Wissenschaft besser kommunizieren? Institutionelle Selbstdarstellungen einschränken und journalistische Medien unterstützen – das empfiehlt ein Akademiebericht.

Ein Kommentar von Holger Wormer

Wissenschaftler können alles. Ob Biologin, Informatiker oder Philosophin – die Talente sind vielfältig: Internationale High-Impact-Forschung, fesselnde Vorlesungen, Industrietransfer, Selbstverwaltung, Drittmittelakquise und Projektmanagement.

Wer so begabt ist, kann auch gleich noch eine virtuose Kommunikation mit der Öffentlichkeit übernehmen: Präzise TV-Statements, Gastbeiträge in klassischen Medien, Jonglage mit Social-Media-Kanälen und Auftritte in Kinder-Unis und „Langen Nächten“. Zur Belohnung winken weitere Fördermittel – wenn die Kommunikationsvisionen nicht gar verpflichtendes Element eines jeden noch so abstrakten Förderantrags werden.

© TU Dortmund

Mit diesem politischen Wunschdenken räumt die Arbeitsgruppe „Implikationen der Digitalisierung für die Qualität der Wissenschaftskommunikation“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die am heutigen Mittwoch in Berlin ihren Abschlussbericht (pdf hier) vorstellt, ein Stück weit auf.

Wissenschaftskommunikation, so eine der Kernthesen, sei eben nicht nur eine Frage des Engagements und der Professionalität von Forschenden und ihren Institutionen. Vielmehr hänge Qualität und Wirkung entscheidend von den Kommunikationsstrukturen, also vom Zustand des Mediensystems ab. „Es erscheint zunehmend unrealistisch, dass das Ziel einer möglichst zuverlässig und wissenschaftsbasiert informierten Gesellschaft durch bloße Konzentration auf Binnenaspekte im Wissenschaftssystem selbst (wie etwa Förderanreize für Institutionen und Schulungen von Wissenschaftlern) erreicht werden kann“, so der Bericht.

Zahlreiche Defizite in der öffentlichen Kommunikation von Wissenschaft

Ein Plädoyer gegen mehr öffentliche Kommunikation der Wissenschaft ist das Papier nicht. Es stellt jedoch zahlreiche Defizite bei deren Qualitätssicherung fest, setzt auf Freiwilligkeit und wendet sich gegen eine stetige Kommunikationspflicht für Forschende, die als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gewertet werden und wenig öffentlichkeitswirksame Disziplinen benachteiligen könnte.

Vor allem aber stellt es in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Frage nach der Effizienz dessen, was die Eigenkommunikation der Wissenschaft allein (von Ausnahmen wie einem Pandemie-Podcast abgesehen) überhaupt erreichen kann.

Ein auf Plattform-Monopole zulaufendes Mediensystem, in dem das Streuen von Desinformation oder von leicht verdaubarem Unsinn ökonomisch lohnender ist als die Verbreitung seriöser Informationen, steht dem Ziel einer gut informierten Öffentlichkeit mehr im Wege als die Schwierigkeiten eines hochspezialisierten Forschenden, allgemeinverständlich zu formulieren.

Regulierung und gezielte Förderung

Künftige Maßnahmen müssten daher die politischen, ökonomischen, regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen des Mediensystems in den Blick nehmen, da diese den größten Einfluss auf den Erfolg der Wissenschaftskommunikation haben. Regulierung und gezielte Förderung werden dabei als Kernelemente angesehen. Maßnahmen wie das geplante Gesetz über digitale Dienste der EU („Digital Services Act“), sollten dazu durch nationale Co-Regulierung der großen Plattformen ergänzt werden. Nutzerinnen und Nutzer müssten beispielsweise besser nachvollziehen können, nach welchen Kriterien ihnen bestimmte Informationsangebote angezeigt werden, etwa durch transparente Auswahlalgorithmen.

Wildwuchs institutioneller Selbstdarstellungen zwischen Hochglanzbroschüren und Social-Media-Kanälen mit ihren oft überschaubaren Reichweiten einschränken.

Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus TU Dortmund

Seriöse Wissensangebote sollten auch durch den Aufbau gemeinwohlorientierter Plattformen und von selbstständigen journalistischen Organisationen besser auffindbar werden. Zudem empfiehlt das Papier eine qualitätsorientierte Förderung des unter Finanzierungsdruck geratenen (auch freien) Journalismus und dessen digitaler Transformation, wobei die notwendige Staatsferne etwa nach dem Vorbild der Forschungsförderung sichergestellt werden könnte.

Die Korrekturen im Mediensystem sollen begleitet werden von Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Wissenschaft selbst. Hierzu wird empfohlen, den Wildwuchs institutioneller Selbstdarstellungen zwischen Hochglanzbroschüren und Social-Media-Kanälen mit ihren oft überschaubaren Reichweiten einzuschränken – zugunsten einer Konzentration auf wissenschaftliche Informationen im Wortsinne und die Unterstützungsfunktion für journalistische Medien.

Was die Institutionen produzieren, bedürfte einer besseren redaktionellen Qualitätssicherung, die sich an journalistischen wie wissenschaftlichen Standards orientiert – und so auch mehr Vertrauen schafft als Marketing. Öffentliche Kommunikation der Wissenschaft müsse zudem konsequenter an die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis angelehnt werden: Wer als Forschender in der TV-Show oder auf Twitter zu dick aufträgt mit einer Studie oder nicht deutlich macht, ob er oder sie als Privatperson oder als Experte spricht, könnte dann ein Fall für die Ombudsstelle der eigenen Uni werden.

Das setzt ein Umdenken voraus – auf Seiten der Rektorate und Präsidien ebenso wie in der Wissenschaftspolitik, die für das Ziel einer besseren Wissenschaftskommunikation den Schulterschluss mit der Medienpolitik suchen muss. Denn: Wissenschaftler können nicht immer alles. Und wissenschaftliche Institutionen auch nicht.

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