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Rotes und grünes Feuerwerk über dem Brandenburger Tor

© Ralf Hirschberger/dpa

Feuerwerk zum Jahreswechsel: Wo bleibt der Bio-Böller?

Jahr für Jahr schleudern Feuerwerkskörper schädliche Chemikalien in die Luft. An Alternativen wird kaum geforscht.

Es glitzert, es funkelt, es knallt. Sobald am Silvesterabend ab 18 Uhr privates Feuerwerk offiziell gezündet werden darf, gibt es kaum noch eine Ecke in Berlin, wo nicht Böller geworfen und Raketen in Sektflaschen gestellt werden – zur akustischen und optischen Erbauung. Eine umstrittene Tradition, nicht zuletzt aufgrund ihres chemischen Kerns. Denn wer in der Nacht zum ersten Januar auf Berlins Straßen unterwegs ist, wird unweigerlich daran erinnert, dass Feuerwerk nicht nur schönes Funkeln und ohrenbetäubende Geräusche produziert, sondern auch Luft und Straßen verschmutzt. Warum also gibt es nicht längst weniger schädliche Alternativen: Bio-Böller, Öko-Raketen oder Knaller light?

Anlass zum chemischen Abrüsten gäbe es genug: Der an Silvester freigesetzte Feinstaub entspricht mindestens 15 Prozent der im ganzen Jahr durch Personenverkehr freigesetzten Menge – mit allen dazugehörigen Gesundheitsrisiken. Die schönen Farben der Raketen kommen durch Metallsalzverbindungen zustande, vor denen mit Warnhinweisen wie "Verursacht schwere Augenreizungen" und "Gesundheitsschädlich beim Einatmen" gewarnt wird. Raketenreste müssten daher eigentlich, auch wegen der für die Explosion zuständigen Stoffe, als Sondermüll entsorgt werden. Wie viele Menschen gesundheitliche Schäden durch die im Feuerwerk enthaltenen Stoffe davontragen, wird kaum erforscht und ist weitgehend unbekannt. Gut zählbar sind nur körperliche Verletzungen, etwa die 8000 Menschen, die jedes Jahr zu Silvester Gehörschäden erleiden, bei rund einem Drittel davon bleibende.

Einzelne Versuche weniger schädliche Raketen zu entwickeln gibt es

Ein bisschen ökologischer als früher ist Feuerwerk heutzutage schon: Einst gängige Substanzen wie Blei, Quecksilber oder roter Phosphor sind aufgrund ihrer Giftigkeit und Gefährlichkeit inzwischen verboten. Um Farbeffekte zu erzielen, werden mittlerweile meist Strontium- und Bariumnitrat, sowie Kupfersalze und Chlorverbindungen eingesetzt. Versuche, auch diese Stoffe durch harmlosere zu ersetzen, gibt es aber bisher nur vereinzelt. Ein Team der Ludwig-Maximilians-Universität München etwa entwickelt schon seit einigen Jahren Effektladungen mit Borkarbiden für grünes Licht und experimentiert mit Kupferladungen, um blaue Effekte zu erzielen – alles Stoffe, die ohne die sonst üblichen Chlorverbindungen zur Farbverstärkung auskommen. "Diese Chemikalien sind für die Schilddrüse sehr giftig", erklärt Thomas Klapötke, der Leiter des Forschungsteams. Außerdem entstünden beim Abbrand polychlorierter organischer Materialien wie Poly(vinyl)chlorid die gefährlichen polychlorierten Biphenyle (PCBs), polychlorierte Dibenzo-p-dioxine (PCDDs) und polychlorierte Dibenzofurane (PCDFs). "Diese sind hochtoxisch und krebserregend", sagt Klapötke. Dieses Jahr entwickelte er mit seinem Team ein Lithiumsalz für rote Effekte. Es soll das ebenfalls potentiell gesundheitsschädliche Strontiumchlorid ersetzen.

Bislang ist die Forschung jedoch primär für das amerikanische Militär gedacht: Soldaten, die mit Leuchtraketen umgehen, kommen mit den verbrennenden Metallsalzen regelmäßiger in Kontakt als der Durchschnittsbürger einmal im Jahr an Silvester. Weil sie also vermutlich stärker durch die Schadstoffe belastet werden, gibt es dort Interesse an alternativen Techniken.

Welche Mengen Metallsalze in der Luft landen wird nicht gemessen

Welchen Risiken der Böller- und Raketenfan ausgesetzt ist, ist jedoch kaum erforscht. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) wollte sich auf Anfrage "nicht einmal eine Schätzung erlauben", wie groß die Mengen an Metallsalzen sind, die an Silvester in der Luft verbrennen. Das Umweltbundesamt (UBA) wies darauf hin, dass es für Strontium, Kupfer- und Bariumverbindungen keine Grenzwerte in der Luft gibt, da sie nicht zum Messprogramm der Ländermessnetze gehören, und konnte sich zu möglichen Beeinträchtigungen nicht äußern. Doch schon 2008 stellten Wissenschaftler der Technischen Universität Wien im Schnee des Neujahrsmorgens eine 600-fach erhöhte Bariumkonzentration fest. Das Erdalkalimetall ist bekannt dafür, bei Inhalation Asthmaanfälle und Muskelschwäche hervorzurufen. Am Arbeitsplatz gibt es im Gegensatz zur Silvesterluft deshalb einen Grenzwert für die Bariumbelastung der Atemluft.

Mindestens 4500 Tonnen Feinstaub in nur einer Nacht

Besser dokumentiert ist die Belastung mit Feinstaub: Mindestens 4500 Tonnen landen pro Jahreswechsel in Deutschland in der Luft. Da das Umweltbundesamt diese Zahl jedoch nicht direkt misst, sondern aus der Anzahl der in Deutschland verkauften Feuerwerkskörper berechnet, schätzt die Behörde, dass die reellen Werte um "noch etwa 25 bis 30 Prozent höher" sind und verweist auf die große Menge der in Nachbarländern und im Onlinehandel erworbenen Böller.

Die Frage ist also: Lässt sich feinstaubfreies Feuerwerk herstellen? Dazu müsste man das Schwarzpulver ersetzen, das den meisten Feinstaub produziert. Es hat die gute Eigenschaft, dass es nicht schlagartig explodiert, sondern eher "schiebt". Dabei wird jedoch sehr viel Gas und Rauch produziert, ein Effekt der schon vor hunderten von Jahren ein Problem darstellte – als Schwarzpulver als Schießpulver eingesetzt wurde. "Leider konnte der Feind immer sehen, woher der Schuss kam", sagt Christian Lohrer, Sprengstoffexperte bei der BAM. Schon damals hätten Forscher daher begonnen, Explosivstoffe mit nicht sichtbarem Rauch zu entwickeln. Diese Alternativen basierten, wie auch einige Bühnenfeuerwerkskörper, meist auf Nitrozellulose, einer hochexplosiven Verbindung, die auch als Schießbaumwolle bekannt ist.

Wirklich rauchfreies Feuerwerk gibt es nicht

Doch beim Versuch "feinstaubfreie" Pyrotechnik herzustellen, wird lediglich der Anteil sichtbarer Partikel reduziert, sagt Lohrer. Rauch werde dennoch freigesetzt – die Partikel sind nur so klein, dass man sie nicht mehr sieht. "Populärwissenschaftlich wird das gern als rauchfrei verkauft, ist es aber nicht", sagt Lohrer. Diese alternativen Entwicklungen seien im Moment deshalb nicht nur sehr teuer, sondern aus gesundheitlicher Sicht auch nicht von Vorteil. "Sieht man den Rauch, kann man zumindest kurz die Luft anhalten." Man könne die vorhandenen Komponenten auch nicht einfach ersetzen. Denn da, wo Verbrennungsreaktionen mit Sauerstoff stattfinden, gebe es eben auch Reaktionsprodukte, also Gase und Kleinstpartikel.

Feuerwerk zu verbieten oder zumindest einzuschränken wäre die umwelt- und gesundheitsfreundlichste Lösung

Echtes Öko-Feuerwerk wird es also auf absehbare Zeit nicht geben. Ohnehin sei die Diskussion um das Silvesterfeuerwerk und die damit einhergehende Feinstaub- und Müllbelastung "in der Regel im Januar schon wieder durch", sagt Lohrer – ohne dass nachhaltig Konsequenzen gezogen würden.

"Feuerwerk und Umweltschutz, das geht für mich erstmal nicht zusammen", sagt Ute Dauert vom UBA. Sie sieht eine "regelrechte Zweiteilung der Gesellschaft" in pro und contra privaten Feuerwerks. Im Moment wäre ein Verbot auch nicht so einfach durchzusetzen: Dass am 31.12. auch privat Pyrotechnik gezündet werden darf, ist im Sprengstoffgesetz verankert. Die vorhandenen Einschränkungen, Raketen nicht in der Nähe von Seniorenheimen oder Kirchen zu zünden, würden kaum eingehalten. Dennoch appelliert Dauert im Namen des UBA im Hinblick auf Luftbelastung, Verletzungen und Müll, das private Feuerwerk zumindest einzuschränken.

Sarah Reim

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